Müllwagen - Passieren mit 2 m Abstand oder in Schrittgeschwindigkeit
"Das Gericht schließt sich der Ansicht an, dass ein Kraftfahrer, der ein Müllfahrzeug passieren will, entweder einen Mindestabstand von 2m oder Schrittgeschwindigkeit einzuhalten hat (vgl. OLG Hamm, NJW-RR 1988, 866, 867; OLG Hamm, VRS 35, 58, 60; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. A:, § 35 StVO, Rd......." [vollständiges Zitat anzeigen]
"Das Gericht schließt sich der Ansicht an, dass ein Kraftfahrer, der ein Müllfahrzeug passieren will, entweder einen Mindestabstand von 2m oder Schrittgeschwindigkeit einzuhalten hat (vgl. OLG Hamm, NJW-RR 1988, 866, 867; OLG Hamm, VRS 35, 58, 60; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. A:, § 35 StVO, Rdn. 13). Mit dem OLG Hamm ist das Gericht der Ansicht, dass in Anlehnung an die vom BGH (vgl. NJW 1968, 1532) für an Haltestellen stehende Busse aufgestellten Regeln dem Kraftfahrer auch beim Passieren von Müllfahrzeugen eine solche vorsichtige Fahrweise abzuverlangen ist (vgl. OLG Hamm, NJW-RR 1988, 866, 867). Entscheidend ist dabei, dass der Kraftfahrer damit rechnen muss, dass die Müllwerker - verkehrswidrig - den Verkehrsraum seitlich des Müllwagens betreten, um sich erst von dort den Überblick über den Verkehrsraum zu verschaffen. Ein solches Fehlverhalten wird begünstigt durch das Bedürfnis nach kurzen Wegen und schneller Arbeitsweise (vgl. OLG Hamm, a.a.O.). Vor allem stumpft der tägliche Umgang mit den Gefahren des Strassenverkehrs ab, haben die Müllwerker ihr Augenmerk auf ihre Arbeitsverrichtungen zu lenken und müssen ein bestimmtes Arbeitspensum verrichten, das auch zu Eile führt, welches die Verkehrsgefahren verkennen oder übersehen lässt (vgl. OLG Hamm, VRS 35, 58, 60). Aufgrund dieser Umstände ist es geboten, die Rechtsprechung für an Haltestellen stehende Busse auch hinsichtlich stehender Müllfahrzeuge und von hinten herannahender Fahrzeuge anzuwenden."
vgl. LG Münster, Urteil vom 26.04.2002 - 16 O 83/02
Spurwechsel nur unter Beachtung de Sicherheitsabstands statthaft
"Daraus, dass der Beklagte Ziff. 1 weiter vorträgt, er sei schneller gefahren als der Kläger (S. 3 der Berufungsbegründung), ist abzuleiten, dass die Ausgangsgeschwindigkeit des Beklagten Ziff. 1 etwa 30 bis 40 km/h betragen haben muss. Nach der Grundregel halber Tachowert als einzuhaltender Mindesta......." [vollständiges Zitat anzeigen]
"Daraus, dass der Beklagte Ziff. 1 weiter vorträgt, er sei schneller gefahren als der Kläger (S. 3 der Berufungsbegründung), ist abzuleiten, dass die Ausgangsgeschwindigkeit des Beklagten Ziff. 1 etwa 30 bis 40 km/h betragen haben muss. Nach der Grundregel halber Tachowert als einzuhaltender Mindestabstand (BGH NJW 1968, 450; Hentschel/König/Dauer, a.a.O., § 2 StVO Rn. 6) hätte daher eine Lücke von ca. 30 m vorhanden sein müssen, um einen ausreichenden Sicherheitsabstand nach vorn und nach hinten einhalten zu können."
vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 07.04.2010 - 3 U 216/09
unklare Verkehrslage bei langsamem, blinkenden Fahrzeug
"unter Berücksichtigung der an der Unfallstelle zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h sowie dem Umstand, dass das Fahrzeug links geblinkt hat und sich auch zur Mitte hin eingeordnet hatte, lag für den Beklagten zu 1) in jedem Fall eine unklare Verkehrssituation vor, so dass er nicht ohne weite......." [vollständiges Zitat anzeigen]
"unter Berücksichtigung der an der Unfallstelle zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h sowie dem Umstand, dass das Fahrzeug links geblinkt hat und sich auch zur Mitte hin eingeordnet hatte, lag für den Beklagten zu 1) in jedem Fall eine unklare Verkehrssituation vor, so dass er nicht ohne weiteres mit seinem Motorrad zum Überholen ansetzen durfte, sondern vielmehr eine Zeit hinter dem "....." herfahren müssen, um zu eruieren, welche Absichten der Kläger hegt."
vgl. LG Kassel, Urteil vom 23.11.2016 - 6 O 253/15
Vorbeifahren an Bussen: 30 km/h erhöhen die Betriebsgefahr
"Dies war vorliegend der Fall. Bereits aus dem Wortlaut des § 20 Abs. 1 StVO folgt, dass an haltenden Linienomnibussen nur vorsichtig vorbeizufahren ist. Dies intendiert die gesetzgeberische Wertung, welche beinhaltet, dass es sich dabei um ein Fahrmanöver handelt, aus welchem eine abstrakt erhöhte Gef......." [vollständiges Zitat anzeigen]
"Dies war vorliegend der Fall. Bereits aus dem Wortlaut des § 20 Abs. 1 StVO folgt, dass an haltenden Linienomnibussen nur vorsichtig vorbeizufahren ist. Dies intendiert die gesetzgeberische Wertung, welche beinhaltet, dass es sich dabei um ein Fahrmanöver handelt, aus welchem eine abstrakt erhöhte Gefährlichkeit erwächst. Zu der dem Kraftfahrzeug ohnehin innewohnenden Betriebsgefahr von 20 % (st. Rspr. u.a. des Senats, vgl. etwa Urteil vom 15.05.2018 – 14 U 175/17 – juris, Urteil vom 27.09.2001 – 14 U 296/00 – juris) kommt insoweit ein weiterer gefahrträchtiger Umstand hinzu.
Dieser Umstand war auch erwiesenermaßen ursächlich für den Schaden, ansonsten hätte er außer Ansatz bleiben müssen (vgl. BGH, Urteile vom 10. Januar 1995 - VI ZR 247/94, VersR 1995, 357 f.; vom 21. November 2006 - VI ZR 115/05, VersR 2007, 263 Rn. 15 m.w.N.; König, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, Kommentar, 45. Aufl. 2019, § 17 StVG Rn. 5 f. m.w.N.), was eine erhöhte Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs in dieser konkreten Unfallsituation rechtfertigt.
Ausgehend von der gesetzgeberischen Wertung einer abstrakten Gefährdungssituation hat sich diese ausgewirkt, indem es zu einer Kollision zwischen dem vorbeifahrenden klägerischen Fahrzeug und dem Linienbus gekommen ist, der in den fließenden Verkehr einfahren wollte. Der Kläger ist insoweit mit den gutachterlich festgestellten 30 km/h zwar noch „vorsichtig“ im Sinne des § 20 Abs. 1 StVO gefahren, so dass ihm kein Verschulden zur Last gelegt werden kann. Er hatte mit dieser Geschwindigkeit aber dennoch die Obergrenze der vom Gesetzgeber geforderten vorsichtigen Fahrweise erreicht, was sich in der konkreten Situation gefahrerhöhend niedergeschlagen hat. Denn er konnte mit der gefahrenen Geschwindigkeit nicht mehr unfallvermeidend reagieren, als der Linienbus zum Einfahren in den fließenden Verkehr angesetzt hat, und ist seitlich in den Linienomnibus hineingefahren."
vgl. OLG Celle, Urteil vom 10.11.2021 - 14 U 96/21
Vorbeifahrt am Bus: wenn nicht langsam möglich, dann muss gewartet werden
"Der Beklagte zu 1 ist jedoch nicht mit der gebotenen Vorsicht an dem Bus vorbeigefahren, da er nach den insoweit gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO bindenden und auch nicht angegriffen Feststellungen des Landgerichts aufgrund der Feststellungen des Sachverständigen und der Angabe des Beklagten zu 1, er sei......." [vollständiges Zitat anzeigen]
"Der Beklagte zu 1 ist jedoch nicht mit der gebotenen Vorsicht an dem Bus vorbeigefahren, da er nach den insoweit gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO bindenden und auch nicht angegriffen Feststellungen des Landgerichts aufgrund der Feststellungen des Sachverständigen und der Angabe des Beklagten zu 1, er sei mit etwa 15 bis 20 km/h gefahren, mit mindestens 15 km/h an dem Bus vorbeigefahren ist. Damit hat er - wie der Unfall eindrücklich zeigt - nicht jede Gefährdung der aussteigenden und von ihm wahrgenommenen Kinder ausgeschlossen. Nach den bindenden Feststellungen des Landgerichts wäre der Unfall schon bei Einhaltung der Schrittgeschwindigkeit vermieden worden. Soweit sich die Beklagten dahin einlassen, dass es technisch nicht möglich sei, mit einem "normalen Fahrzeug" 6 km/h zu fahren, kann der Senat dies aufgrund seiner langjährigen Erfahrung als Spezialsenat bereits ausschließen. Jedenfalls hätte der Beklagte zu 1 dann aber zum Ausschluss jeder Gefahr schlicht stehen bleiben müssen."
vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 27.02.2024 - 7 U 120/22
Vorbeifahrt an Bus: querende Kinder möglich
"Der Beklagte zu 1 hatte die aus dem Bus aussteigenden Kinder, zu denen auch der zum Unfallzeitpunkt 12jährige Kläger gehörte, erkannt. Der Beklagte zu 1 hat den Kläger vor der Kollision mit seinem Fahrzeug zwar nach seinen Angaben nicht gesehen. Er hat in seiner persönlichen Anhörung am 16.06.2021 ......." [vollständiges Zitat anzeigen]
"Der Beklagte zu 1 hatte die aus dem Bus aussteigenden Kinder, zu denen auch der zum Unfallzeitpunkt 12jährige Kläger gehörte, erkannt. Der Beklagte zu 1 hat den Kläger vor der Kollision mit seinem Fahrzeug zwar nach seinen Angaben nicht gesehen. Er hat in seiner persönlichen Anhörung am 16.06.2021 im hiesigen Verfahren aber selbst angegeben, dass "einige Kinder ausgestiegen" seien (Protokoll vom 16.06.2021 Seite 5 Abs. 1, eGA I-170). In seiner persönlichen Anhörung am 19.03.2021 im Parallelverfahren hat der Beklagte zu 1 sogar noch bekundet, dass "viele Kinder ausgestiegen" seien (Protokoll vom 19.03.2021 Seite 2 Abs. 1, Bl. 209 der elektronischen Gerichtsakte 8 O 66/20 LG Hagen). Der Busfahrer hat entsprechend als Zeuge im Parallelverfahren bekundet, dass der Bus "rappelvoll" gewesen sei, an der streitgegenständlichen Haltestelle seien 20 bis 30 Kinder ausgestiegen (Protokoll vom 19.03.2021 Seite 6 Abs. 5, Bl. 213 der elektronischen Gerichtsakte 8 O 66/20 LG Hagen). Im hiesigen Verfahren hat der Zeuge V. in seiner Vernehmung am 16.06.2021 ausgesagt, dass der Bus sehr voll mit Kindern gewesen sei und sehr viele Kinder an der streitgegenständlichen Haltestelle ausgestiegen seien (Protokoll vom 16.06.2021 Seite 6 Abs. 9, eGA I-171).
Der Beklagte zu 1 musste vor diesem Hintergrund und angesichts der im Sachverständigengutachten dargestellten beengten Verkehrsführung und Randbebauung jederzeit mit die Straße querenden und plötzlich hinter dem Bus hervortretenden Kindern rechnen und damit jede Gefährdung der Kinder ausschließen."
vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 27.02.2024 - 7 U 120/22
weit höheres Verschulden des vorbeifahrenden Kfz ggü. querendem Schulkind an Bushaltetelle
"cc) Vor diesem Hintergrund ist die vom Landgericht angenommene Haftungsquote jedenfalls nicht zulasten der Beklagten zu beanstanden. Eine Abwägung der gegenseitigen Verursachungsbeiträge ergibt jedenfalls eine deutlich überwiegende Haftung der Beklagtenseite.
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Dass verkehrswidrige Verhalten ......." [vollständiges Zitat anzeigen]
"cc) Vor diesem Hintergrund ist die vom Landgericht angenommene Haftungsquote jedenfalls nicht zulasten der Beklagten zu beanstanden. Eine Abwägung der gegenseitigen Verursachungsbeiträge ergibt jedenfalls eine deutlich überwiegende Haftung der Beklagtenseite.
Dass verkehrswidrige Verhalten des (wohl einsichtsfähigen), aber jedenfalls nach § 3 Abs. 2a StVO besonders schutzwürdigen Klägers tritt hinter dem groben Verstoß des Beklagten zu 1 gegen § 20 Abs. 1 StVO und gegen § 3 Abs. 2a StVO deutlich zurück.
Dem steht auch die von den Beklagten angeführte Rechtsprechung nicht entgegen. Die Entscheidung des 9. Zivilsenats des OLG Hamm betraf eine 17jährige, also einen Sachverhalt außerhalb des Anwendungsbereichs des § 3 Abs. 2a StVO (vgl. OLG Hamm Urt. v. 13.4.2010 - 9 U 62/08, NZV 2010, 566; ebenso unpassend OLG Hamm Beschl. v. 26.4.2012 - 6 U 59/12, NJW-RR 2012, 1236). Auch die Entscheidung des Kammergerichts betrifft angesichts der konkreten Verkehrsverhältnisse eine völlig andere Situation (vgl. KG Urt. v. 5.3.1987 - 22 U 4399/86, VerkMitt 1987, Nr. 101). Ebenso betreffen die Entscheidung des OLG München gänzlich andere Fallgestaltungen; § 3 Abs. 2a StVO kam dort nicht zur Anwendung (vgl. OLG München Urt. v. 5.5.2017 - 10 U 1750/15, NJW-RR 2017, 1305; OLG München Urt. v. 10.11.2017 - 10 U 491/17, BeckRS 2017, 130754; siehe auch OLG München Urt. v. 11.4.2014 - 10 U 4757/13, BeckRS 2014, 10204, wo kein Verstoß gegen § 3 Abs. 2a StVO festgestellt werden konnte). So lag es auch in der zitierten Entscheidung des BGH, weil im dortigen Fall kein Kind beteiligt war (vgl. BGH Urt. v. 28.3.2006 - VI ZR 50/05, r+s 2006, 298)."
vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 27.02.2024 - 7 U 120/22