"bb) Allerdings weist die Berufung zu Recht darauf hin, dass der Fahrer eines Einsatzfahrzeuges mit eingeschaltetem Blaulicht und Martinshorn nur dann darauf vertrauen darf, dass die anderen Verkehrsteilnehmer der Verpflichtung des § 38 Abs. 1 Satz 2 StVO nachkommen, sofort freie Bahn zu schaffen, wenn er nach den Umständen annehmen darf, dass ihn alle anderen Verkehrsteilnehmer wahrgenommen und sich auf das Einsatzfahrzeug eingestellt haben (vgl. BGHZ 63, 327, 331; KG, VRS 100, 329). Dafür muss er ihnen eine kurz zu bemessende, aber doch hinreichende Zeit einräumen (vgl. KG aaO). Das folgt aus § 35 Abs. 1 StVO, wonach die Sonderrechte nur unter gebührender Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgeübt werden dürfen (§ 35 Abs. 8 StVO). Die dem Sonderrechtsfahrer obliegende Sorgfaltspflicht ist danach umso größer, je mehr seine gegen die StVO verstoßende Fahrweise, die zu der zu erfüllenden hoheitlichen Aufgabe nicht außer Verhältnis stehen darf, die Unfallgefahr erhöht (KG, NZV 2008, 147; vgl. auch Hentschel aaO § 35 StVO Rn. 8; Burmann aaO § 35 Rn. 17, jeweils mwN.). Diesem Sorgfaltsmaßstab ist der Zeuge ... als Fahrer des Notarzteinsatzfahrzeuges gerecht geworden. Die Erstbeklagte befand sich unmittelbar vor dem Einsatzfahrzeug und hatte - wie auch die Berufung einräumt - bereits aus einer Entfernung von mehr als 25 m unbeschränkte Sicht auf das sich von hinten nähernde Einsatzfahrzeug. Grundsätzlich darf ein Fahrer eines Einsatzwagens annehmen, dass Fahrzeuge in der Nähe (50 m) Blaulicht und Einsatzhorn wahrnehmen (vgl. KG aaO; OLG Bremen, VersR 1974, 577; Hentschel aaO § 38 Rn. 10). Aufgrund des Abstands zum Einsatzfahrzeug bestand für die Erstbeklagte auch hinreichende Zeit, sich auf das Einsatzfahrzeug einzustellen. Der Zeuge ... durfte nach diesen Umständen annehmen, dass die Erstbeklagte ihn wahrgenommen hatte und er durfte mit freier Bahn rechnen. Dieses Vertrauen war entgegen der Auffassung der Berufung auch nicht dadurch eingeschränkt, dass die Erstbeklagte an der Fahrbahnmittelinie stehen geblieben und nicht rechts herangefahren ist. Das Vertrauen des Fahrers eines Einsatzfahrzeuges, dass die übrigen Verkehrsteilnehmer freie Bahn schaffen, ist nicht erst dann geschützt, wenn die Verkehrsteilnehmer erkennbar dem Gebot des § 38 Abs. 1 Satz 2 StVO Folge leisten. Es knüpft vielmehr an die berechtigte Erwartung des Fahrers eines Einsatzfahrzeuges an, dass die Verkehrsteilnehmer, die die Signale des Einsatzfahrzeuges wahrgenommen haben und sich auf das Fahrzeug einstellen können, dem Gebot entsprechend handeln werden. Es würde dem Sinn der Regelung des § 35 Abs. 5 a StVO zuwiderlaufen, wenn man die Inanspruchnahme von Sonderrechten davon abhängig machen wollte, dass die übrigen Verkehrsteilnehmer sich entsprechend dem Gebot des § 38 Abs. 1 Satz 2 StVO verhalten. Der Fahrer eines Einsatzfahrzeuges müsste dann von der Inanspruchnahme der Sonderrechte absehen, wenn gegen das Gebot des § 38 Abs. 1 Satz 2 StVO verstoßen würde. Damit würde die Möglichkeit, in Notfallsituationen von Sonderrechten Gebrauch zu machen, in unzulässiger Weise eingeschränkt, wenn nicht sogar aufgehoben. Der Gesetzgeber wollte aber gerade durch § 38 Abs. 1 Satz 2 StVO vermeiden, dass die höchsteilige Fahrt eines Wegerechtsfahrzeugs aufgehalten oder verzögert wird (vgl. BGHZ 63, 327, 332). Der Zeuge ... brauchte deshalb nicht abzuwarten, bis die Erstbeklagte nach rechts fuhr, sondern durfte darauf vertrauen, dass sie an der Fahrbahnmittelinie stehen bleiben und nicht auf die Gegenfahrbahn einfahren würde. Ob etwas anderes gelten kann, wenn der Fahrer des Einsatzfahrzeuges mit einem unmittelbar bevorstehenden Verkehrsverstoß der anderen Verkehrsteilnehmer rechnen muss, bedarf hier keiner Entscheidung. Denn die Erstbeklagte hat - wie die Zeugen ... und ... übereinstimmend in ihrer Vernehmung geschildert haben - zum Abbiegen erst angesetzt, als der Einsatzwagen bereits an das Beklagtenfahrzeug herangefahren war, so dass der Zeuge ... auch nicht mehr unfallvermeidend hätte reagieren können." |