zur Startseite




Abbremsen bei Lichtzeichenwechsel bis Stillstand ist erlaubt



AG Hildesheim, Urteil vom 07.08.2008 - 47 C 119/08 (externer Link):

"Dagegen hätte der Kläger, wie die Zeugen V. und P. glaubhaft bekundeten, die Lichtzeichenanlage noch - ohne seine Fahrgeschwindigkeit erhöhen zu müssen - bei Gelblicht passieren können, als die Ampel von Grün auf Gelb umsprang, da er sich mit seinem Fahrzeug zu diesem Zeitpunkt bereits nahe der Haltelinie befand. Doch ist das abrupte Abbremsen eines Fahrzeuges, das sich einer Lichtzeichenanlage nähert, bei Umschalten der Ampel von Grün auf Gelb kein von § 4 Abs. 1 S. 2 StVO untersagtes „starkes Abbremsen ohne zwingenden Grund“. Dies gilt auch dann, wenn ein Passieren der Lichtzeichenanlage bei Gelblicht noch möglich erscheint."


Abstand muss so groß sein, dass bei plötzlichem Abbremsen unfallvermeidende Reaktion möglich



AG Hildesheim, Urteil vom 07.08.2008 - 47 C 119/08 (externer Link):

"Doch muss ein Verkehrsteilnehmer jederzeit damit rechnen, dass ein Vorausfahrender plötzlich bremst: Gemäß § 4 Abs. 1 S. 1 StVO muss der Abstand von einem vorausfahrenden Fahrzeug in der Regel so groß sein, dass auch dann hinter ihm gehalten werden kann, wenn es plötzlich gebremst wird. Gerade vor Lichtzeichenanlagen ist jederzeit wegen der Möglichkeit eines Umschaltens der Anlage mit einem plötzlichen Abbremsen von Vorausfahrenden zu rechnen (vgl. LG Landau, Urteil vom 31.08.2004, 1 S 109/04; OLG Düsseldorf, DAR 1975, 303; KG Berlin, VM 1983, 13; Hentschel- König , Straßenverkehrsrecht, 39. Auflage München 2007, § 4 StVO Rn. 7, 11; Geigel- Zieres , Der Haftpflichtprozess, 25. Auflage München 2008, 27. Kap. Rn. 146). Es liegt mithin kein atypischer Geschehensablauf vor, der den Beweis des ersten Anscheins für ein Verschulden des Beklagten zu 1) entkräftet, zumal der Kläger - wie nachstehend näher dargelegt wird - nicht ohne zwingenden Grund stark abbremste (zur Erschütterung des Anscheinsbeweises bei grundlosem Abbremsen vgl. OLG Frankfurt, NJW 2007, 87)."


Abstellen eines Wohnmobils im allgemeinen Deliktsrecht



OLG Karlsruhe, Urteil vom 29.06.2005 - 1 U 247/04 (externer Link):

"a) Nach § 276 BGB hat derjenige für einen verursachten Schaden einzustehen, der entweder vorsätzlich oder fahrlässig handelte. Ein vorsätzliches Verhalten des Beklagten zu 1 scheidet von vorneherein aus.

Dem Beklagten zu 1 ist aber auch kein Fahrlässigkeitsvorwurf zu machen. Fahrlässig handelt derjenige, der die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Dabei gilt im Zivilrecht kein individueller, sondern ein auf die allgemeinen Verkehrsbedürfnisse ausgerichteter objektiver Sorgfaltsmaßstab (vgl. BGH NJW 2000, 2812). Maßstab für das Verschulden ist, welche Sorgfalt von einem Handelnden in der Lage des Beklagten zu 1 erwartet werden konnte. Welches Verhalten im Konkreten verlangt werden kann, bestimmt sich nach dem Maß von Umsicht und Sorgfalt, das nach dem Urteil besonnener und gewissenhafter Angehöriger des in Betracht kommenden Verkehrskreises, hier also eines ein Wohnmobil auf einem Privatparkplatz abstellenden Fahrers, zu fordern ist (vgl. BGH NJW 1972, 151)."


Abwägung nach § 17 StVG



LG Aachen, Urteil vom 23.02.2023 - 1 O 219/22 (externer Link):

"Die nach § 17 Abs. 1, Abs. 2 StVG vorzunehmende Abwägung führt zu einer Alleinhaftung des Beklagten zu 1). Bei Unfällen zwischen zwei Kraftfahrzeugen ist die Haftungsverteilung gemäß § 17 Abs. 1, 2 StVG durch Abwägen der wechselseitig verwirklichten Betriebsgefahren unter Berücksichtigung von auf Fahrfehlern beruhenden Mitverursachungsbeiträgen zu ermitteln. Im Verhältnis der Fahrzeughalter untereinander hängt die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Diese Abwägung ist allein aufgrund der unstreitigen, zugestandenen oder erwiesenen Tatsachen vorzunehmen (vgl. BGH, NVZ 2005, 407)."


Abzug Neu für Alt: Motorradkleidung



LG Köln, Urteil vom 19.04.2024 - 14 O 65/21 (externer Link):

"Eine Vorteilsanrechnung im Wege des Abzugs "Neu für Alt", der vom Gericht nach § 287 ZPO geschätzt werden kann, ist hier mit 50% angemessen. Der Kläger trägt selbst vor, dass er regelmäßig mit seinem Motorrad fährt. In einem solchen Fall erscheint eine Lebensdauer einer Motorradhose von 4-5 Jahren als realistisch, jedoch auch optimistisch. Insoweit erscheint der Abzug der Hälfte des Neupreises als realistische Schadenshöhe."


Abzug Neu für Alt: Warnweste



LG Köln, Urteil vom 19.04.2024 - 14 O 65/21 (externer Link):

"Nach dem Vortrag des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 03.08.2021 hat er die Warnweste zu einem Preis von etwa 15,00 € gekauft. Da eine Warnweste wohl eine lange Lebensdauer hat, kann hier in freier Schätzung nach § 287 ZPO ein Abzug "Neu für Alt" vorgenommen werden, der einen Schadensbetrag von 10,- € als angemessen erscheinen lässt."


Alleinhaftung bei Nichthaltung der eigenen Fahrspur



LG Aachen, Urteil vom 06.07.2023 - 12 O 398/22 (externer Link):

"(cc) Nach allem ist das Gericht davon überzeugt, dass der Kläger zu 1) im Zuge des Abbiegevorgangs einen (teilweisen) Fahrspurwechsel durch Überfahren der Trennlinie vorgenommen hat und es hierdurch zum Unfall gekommen ist. Damit hat der Kläger gegen § 7 Abs. 5 StVO verstoßen. Dass er einen Abbiegevorang beabsichtigt und angekündigt hätte, hat er bereits nicht vorgetragen, sondern bestritten, einen Wechsel überhaupt vorgenommen zu haben. Ohnehin konnte ein Wechsel der Fahrspur zum fraglichen Zeitpunkt nicht ohne Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer vonstattengehen, wie es § 7 Abs. 5 StVO allerdings voraussetzt, weil sich der Beklagte zu 1) mit seinem Fahrzeug praktisch neben dem klägerischen Fahrzeug befand und insofern kein Einscheren an der fraglichen Stelle möglich war."


Allgemeines zur Unabwendbarkeit



LG Köln, Urteil vom 19.04.2024 - 14 O 65/21 (externer Link):

"Unabwendbar ist ein Ereignis, welches auch durch die äußerst mögliche Sorgfalt nicht abgewendet werden kann, wozu ein am Maßstab des Idealfahrers orientiertes sachgemäßes, geistesgegenwärtiges Handeln gehört, welches alle möglichen Gefahrenmomente berücksichtigt (vergleiche Henschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl. 2017, StVG § 17 Rn. 22). Hierbei ist nicht nur maßgeblich, wie ein Idealfahrer in der konkreten Gefahrensituation reagiert hätte, sondern auch, ob er in eine solche Gefahrensituation überhaupt geraten wäre (BGH NJW 1992, 1684, 1685). § 17 Abs. 3 StVG verlangt, dass der Idealfahrer in seiner Fahrweise auch die Erkenntnisse berücksichtigt, die nach allgemeiner Erfahrung geeignet sind, Gefahrensituationen nach Möglichkeit zu vermeiden (BGH NJW 1992, 1684, 1685; OLG Jena BeckRS 2022, 5234 Rn. 31). Maßstab ist ein sachgemäßes, geistesgegenwärtiges Handeln erheblich über den Maßstab der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt i.S.v. § 276 BGB hinaus (BGH NZV 2005, 305, 306 m.w.N.). Dies ist daher auch unabhängig von der Feststellung eines Verstoßes gegen eine in der StVO kodifizierte Sorgfaltspflicht. Die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der ein unabwendbares Ereignis begründenden Tatsachen obliegt jeweils demjenigen, der sich zu seinen Gunsten darauf beruft (vergleiche Henschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl. 2017, StVG § 17 Rn. 23)."


Amtshaftung aus § 839 BGB besteht neben dem Anspruch aus StVG



LG München I, Urteil vom 26.05.2009 - 17 O 1695/09 (externer Link):

"Der parallel bestehende Anspruch der Klagepartei aus § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG erfährt ebenfalls keine Kürzung über die gegenüber § 254 BGB bestehende Spezialregelung des § 17 StVG; auf die obigen Ausführungen wird Bezug genommen."


Anhalten bei Gelblicht, wenn möglich



BGH, Urteil vom 07.02.2012 - VI ZR 133/11 (externer Link):

"Das Berufungsgericht hat allerdings festgestellt, dass der Beklagte zu 1 in die Kreuzung eingefahren ist, obwohl die Lichtzeichenanlage für ihn schon längere Zeit Gelb zeigte. Darin hat es mit Recht einen Verstoß gegen § 37 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 StVO gesehen, wonach das Wechsellichtzeichen Gelb an einer Kreuzung anordnet, auf das nächste Zeichen zu warten. Hiergegen hat der Beklagte zu 1 verstoßen, denn das Berufungsgericht nimmt an, dass er in die Kreuzung eingefahren ist, obwohl die Lichtzeichenanlage für ihn schon mehrere Sekunden lang Gelb zeigte. Im Hinblick darauf ist es davon ausgegangen, dass es ihm möglich gewesen wäre, seinen Pkw vor der Kreuzung anzuhalten, wozu er mithin auch verpflichtet gewesen wäre."


Anscheinsbeweis (keiner) bei kontaktlosem Unfall bzgl. überschneller Annäherung des Wartepflichtigen



OLG Hamm, Urteil vom 09.05.2023 - 7 U 17/23 (externer Link):

"Ein Anscheinsbeweis kommt in Betracht, wenn ein typischer Geschehensablauf feststeht, der nach der Lebenserfahrung den Schluss auf einen ursächlichen Zusammenhang oder ein schuldhaftes Verhalten rechtfertigt (BGH Beschl. v. 28.2.2023 - VI ZR 98/22, BeckRS 2023, 6492 Rn. 12). Ein Anscheinsbeweis kann im Hinblick auf § 8 StVO zwar grundsätzlich zu Lasten des Wartepflichtigen in Betracht kommen, wenn es zu einem Zusammenstoß gekommen ist (vgl. Freymann in Geigel, Haftpflichtprozess, 28. Aufl. 2020, § 8 StVO Rn. 258 m. w. N.). Jedenfalls aber lässt sich die geforderte Typizität im Streitfall, in dem es keinen Zusammenstoß gab, der Beklagte zu 2 sogar unstreitig jedenfalls einen halben Meter vor der gestrichelten Linie zum Stehen gekommen ist und konkrete Angaben zur Annäherungsgeschwindigkeit fehlen, nicht aus den örtlichen Gegebenheiten und den Bewegungsrichtungen der Beteiligten herleiten. Auch im Übrigen bestehen aus den sogleich dargelegten Gründen keine Anhaltspunkte für eine durch den Beklagten zu 2 herbeigeführte kritische Verkehrslage."


Anscheinsbeweis - Erschütterung erfordert atypischen Geschehensablauf



AG Hildesheim, Urteil vom 07.08.2008 - 47 C 119/08 (externer Link):

"Es liegt mithin kein atypischer Geschehensablauf vor, der den Beweis des ersten Anscheins für ein Verschulden des Beklagten zu 1) entkräftet, zumal der Kläger - wie nachstehend näher dargelegt wird - nicht ohne zwingenden Grund stark abbremste (zur Erschütterung des Anscheinsbeweises bei grundlosem Abbremsen vgl. OLG Frankfurt, NJW 2007, 87)."


Anscheinsbeweis - Grundsatz



BGH, Urteil vom 10.10.2023 - VI ZR 287/22 (externer Link):

"aa) Die Frage, ob ein Anscheinsbeweis eingreift, unterliegt der Prüfung durch das Revisionsgericht (vgl. Senatsurteile vom 1. August 2023 - VI ZR 82/22, juris Rn. 26; vom 13. Dezember 2016 - VI ZR 32/16, NJW 2017, 1177 Rn. 9 mwN). Ein Anscheinsbeweis kommt in Betracht, wenn ein typischer Geschehensablauf feststeht, der nach der Lebenserfahrung den Schluss auf einen ursächlichen Zusammenhang oder ein schuldhaftes Verhalten rechtfertigt (vgl. Senatsurteil vom 1. August 2023 - VI ZR 82/22, juris Rn. 26; Senatsbeschluss vom 28. Februar 2023 - VI ZR 98/22, NJW-RR 2023, 700 Rn. 12; jew. mwN)."


Anscheinsbeweis - Zurückhaltung geboten



BGH, Urteil vom 10.10.2023 - VI ZR 287/22 (externer Link):

"Zudem ist bei der Anwendung des Anscheinsbeweises grundsätzlich Zurückhaltung geboten, weil er es erlaubt, bei typischen Geschehensabläufen aufgrund allgemeiner Erfahrungssätze auf einen ursächlichen Zusammenhang oder ein schuldhaftes Verhalten zu schließen, ohne dass im konkreten Fall die Ursache bzw. das Verschulden festgestellt ist (vgl. Senatsurteil vom 15. Dezember 2015 - VI ZR 6/15, NJW 2016, 1098 Rn. 14 mwN)."


Anscheinsbeweis beim Auffahrunfall an Lichtzeichenanlage



AG Hildesheim, Urteil vom 07.08.2008 - 47 C 119/08 (externer Link):

"16a) Unstreitig fuhr der Beklagte zu 1) auf das Fahrzeug des Klägers auf, als der Kläger sein Fahrzeug bei Umschalten der Wechsellichtzeichenanlage von Grün auf Gelb abbremste und anhielt. Bereits der „Beweis des ersten Anscheins“ spricht deshalb für ein Verschulden des Klägers (vgl. LG Landau, Urteil vom 31.08.2004, 1 S 109/04). Denn typischerweise beruht ein Auffahrunfall darauf, dass der Auffahrende unaufmerksam, zu schnell oder mit zu geringem Sicherheitsabstand zu dem Vorausfahrenden fuhr (vgl. Hentschel- König , Straßenverkehrsrecht, 39. Auflage München 2007, § 4 StVO Rn. 18; Geigel- Zieres , Der Haftpflichtprozess, 25. Auflage München 2008, 27. Kap. Rn. 147). Da sämtliche Zeugen sowie der Kläger und der Beklagte zu 1) übereinstimmend bekundet haben, dass beide Fahrzeuge vor dem Umschalten der Lichtzeichenanlage mit etwa 50 km/h, der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, fuhren, spricht der Beweis des ersten Anscheins vorliegend für ein Verschulden des Beklagten zu 1) wegen zu geringen Abstandes (Verstoß gegen § 4 Abs. 1 S. 1 StVO) oder Unaufmerksamkeit (Verstoß gegen § 1 Abs. 1 StVO)."


Anscheinsbeweis für Überholmänover



LG Köln, Urteil vom 19.04.2024 - 14 O 65/21 (externer Link):

"aa) Angesichts des unstreitigen Kollisionsablaufs und des Schadensbildes der beteiligten Fahrzeuge streitet vorliegend ein Anscheinsbeweis für einen Verstoß der Beklagten zu 1) gegen § 5 Abs. 4 S. 2 und S. 6 StVO, also eines Überholens mit zu geringem Seitenabstand und Behinderung des Überholten beim Wiedereinscheren. Dabei verkennt das Gericht nicht, dass ein Anscheinsbeweis gegen den Überholenden nicht generell anzunehmen ist; ein solcher kommt aber je nach Einzelfall in Betracht (grundlegend BGH NJW 1975, 312; siehe auch Kuhnke NZV 2018, 447, 449 f.). Ein solcher besonderer Einzelfall liegt vorliegend vor.



Denn vorliegend steht fest, dass die Kollision derart erfolgt ist, dass sich der Kläger als Motorradfahrer im städtischen Verkehr rechts vom Pkw der Beklagten befand und es zu einer Berührung zwischen dem hinteren rechten Teil des Pkw und des linken Lenkers des klägerischen Motorrads kam, infolge dessen der Motorradfahrer stürzte. Auch steht fest, dass die örtlichen Begebenheiten der Straße ein "Überholen von rechts" durch Motorräder nicht problemlos zuließen, weil die Straße am rechten Rand von einem Bürgersteig mit erhöhtem Randstein begrenzt war, über den ein Motorrad nicht ohne Weiteres fahren konnte. In einem solchen Fall besteht eine Typizität dahingehend, dass der Pkw ein Überholmanöver vorgenommen hat und dabei entweder zu keiner Zeit ausreichenden Seitenabstand hatte oder spätestens beim Einscheren den Seitenabstand nicht beachtete. Jegliche andere Begründung der Kollision erscheint als derart unwahrscheinlich, dass insoweit eine Erschütterung des Anscheinsbeweises notwendig wäre."


Anscheinsbeweis gegen den Öffner der Tür



LG Karlsruhe, Urteil vom 01.09.2006 - 3 O 390/05 (externer Link):

"a) Bei der Abwägung ist zu Lasten der Beklagten ein schuldhafter Verstoß des Beklagten Ziff. 1 gegen § 14 Abs. 1 StVO zu berücksichtigen. Kommt es - wie hier - in unmittelbarem örtlichem und zeitlichem Zusammenhang mit einem Ein- oder Aussteigen (§ 14 Abs. 1 StVO) zu einem Verkehrsunfall, spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der Ein- oder Aussteigende seine gesetzlichen Sorgfaltspflichten verletzt hat (KG, DAR 2004, 585; 2005, 217; OLG Hamm, NZV 2000, 209, 210; AG Tettnang, Schaden-Praxis 2005, 47, 48). Diesen haben die Beklagten nicht zu erschüttern vermocht. Vielmehr ist das Gericht davon überzeugt, dass der Beklagte Ziff. 1 die Kollision durch ein unachtsames Öffnen der Fahrertür verursacht hat."


Anscheinsbeweis nicht bei Sonderkonstellationen



BGH, Urteil vom 10.10.2023 - VI ZR 287/22 (externer Link):

"Zwar kann bei einem Unfall im Zusammenhang mit dem Rückwärtseinfahren aus einem Grundstück auf eine Straße grundsätzlich der erste Anschein dafür sprechen, dass der rückwärts Einfahrende seinen Sorgfaltspflichten nicht nachkam und den Unfall dadurch (mit)verursachte. Jedoch liegt hier die für die Anwendung des Anscheinsbeweises erforderliche Typizität schon deshalb nicht vor, weil die Beklagte zu 1 die Einbahnstraße in unzulässiger Weise rückwärts befuhr. Es existiert kein Erfahrungssatz, wonach sich der Schluss aufdrängt, dass unter diesen Umständen den rückwärts aus der Grundstückszufahrt auf die Einbahnstraße einfahrenden Kläger ein Verschulden trifft (vgl. OLG Köln, VersR 1992, 332, 333; Freymann in Geigel, Haftpflichtprozess 28. Aufl., Kap. 27 Rn. 319; siehe weiter OLG Düsseldorf, Urteil vom 15. Mai 2012 - 1 U 127/11, juris Rn. 37 f.; König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht 47. Aufl., § 10 StVO Rn. 11 f.; Scholten, ZfSch 2022, 252)."


Anscheinsbeweis nur, wenn keine Besonderheiten



BGH, Urteil vom 10.10.2023 - VI ZR 287/22 (externer Link):

"Die Anwendung des Anscheinsbeweises setzt auch bei Verkehrsunfällen einen Geschehensablauf voraus, bei dem sich nach der allgemeinen Lebenserfahrung der Schluss aufdrängt, dass ein Verkehrsteilnehmer seine Pflicht zur Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt verletzt hat; es muss sich um einen Sachverhalt handeln, für den nach der Lebenserfahrung eine schuldhafte Verursachung typisch ist. Es reicht allerdings allein das "Kerngeschehen" als solches dann als Grundlage eines Anscheinsbeweises nicht aus, wenn weitere Umstände des Unfallereignisses bekannt sind, die als Besonderheiten gegen die bei derartigen Fallgestaltungen gegebene Typizität sprechen. Denn es muss das gesamte feststehende Unfallgeschehen nach der Lebenserfahrung typisch dafür sein, dass derjenige Verkehrsteilnehmer, zu dessen Lasten im Rahmen des Unfallereignisses der Anscheinsbeweis Anwendung finden soll, schuldhaft gehandelt hat. Ob der Sachverhalt in diesem Sinne im Einzelfall wirklich typisch ist, kann nur aufgrund einer umfassenden Betrachtung aller tatsächlichen Elemente des Gesamtgeschehens beurteilt werden, die sich aus dem unstreitigen Parteivortrag und den getroffenen Feststellungen ergeben. Zudem ist bei der Anwendung des Anscheinsbeweises grundsätzlich Zurückhaltung geboten, weil er es erlaubt, bei typischen Geschehensabläufen aufgrund allgemeiner Erfahrungssätze auf einen ursächlichen Zusammenhang oder ein schuldhaftes Verhalten zu schließen, ohne dass im konkreten Fall die Ursache bzw. das Verschulden festgestellt ist (vgl. Senatsurteil vom 15. Dezember 2015 - VI ZR 6/15, NJW 2016, 1098 Rn. 14 mwN)."


Anscheinsbeweis: Erschütterung



LG Köln, Urteil vom 19.04.2024 - 14 O 65/21 (externer Link):

"Erschüttert ist der Anscheinsbeweis, wenn die ernsthafte (reale) Möglichkeit eines anderen als des erfahrungsgemäßen Geschehensablaufs besteht (BGH NJW 1953, 584; BGH, NJW-RR 1986, 384). Die Tatsachen, aus denen diese ernsthafte Möglichkeit hergeleitet wird, müssen unstreitig oder (voll) bewiesen sein (BGH NJW 1952, 1137; NJW 1953, 584). Zweifel gehen zulasten dessen, gegen den der Anscheinsbeweis streitet. Bei erfolgreicher Erschütterung besteht wieder die beweisrechtliche Normallage (s. dazu BGH NJW 1951, 653; NJW 1952, 1137)."


Anscheinsbeweis: Verstoß gegen Sichtfahrgebot oder Unaufmerksamkeit



OLG Celle, Urteil vom 05.08.2020 - 14 U 37/20 (externer Link):

"(2) Des Weiteren ist zu Lasten des Klägers zu berücksichtigen, dass er entweder gegen § 3 Abs. 1 S. 2, S. 4 StVO (Verstoß gegen das Sichtfahrgebot) oder aufgrund Unaufmerksamkeit gegen § 1 Abs. 2 StVO verstoßen hat. Insofern spricht gegen den Kläger ein Anscheinsbeweis. Denn nach dem Ergebnis der ergänzenden Anhörung des Sachverständigen durch den Senat ist anzunehmen, dass der Kläger entweder den liegengebliebenen Beklagten-Pkw nicht so rechtzeitig erkennen konnte, um noch rechtzeitig reagieren zu können. Soweit die Beklagten insofern auf Ausführungen im Urteil vom 22. Januar 2020 – 14 U 150/19 – verweisen, ist dem zuzustimmen sein. Dort hat der Senat Folgendes ausgeführt:

„(…) Nach ständiger Rechtsprechung darf ein Kraftfahrzeugführer bei Dunkelheit – auch auf der Autobahn und auf der Überholspur – grundsätzlich nur so schnell fahren, dass er innerhalb der überschaubaren Strecke anhalten kann (Senat, Urteil vom 05. September 2007 – 14 U 71/07, Rn. 9 mwN, juris).(…)

Zwar braucht sich ein Kraftfahrer auf Autobahnen wegen der dortigen besonderen Gegebenheiten nicht in demselben Umfang wie auf anderen Straßen auf das Vorhandensein aller möglichen Hindernisse einzustellen. So muss etwa mit auf der Fahrbahn liegenden Reifenteilen, herausragenden Holzteilen, unbeleuchteten Splitterhaufen oder ähnlichen kleineren Hindernissen, deren Erkennbarkeit in atypischer Weise besonders erschwert ist, nicht gerechnet werden (vgl. BGH, VersR 1984, 741, juris-Rn. 12 m. w. N.). Ungesichert auf der Fahrbahn liegengebliebene Fahrzeuge gehören dazu jedoch nicht, selbst wenn sie unbeleuchtet sind und selbst dann nicht, wenn sie mit einem Tarnanstrich versehen sind (vgl. u.a. BGH, Urteil vom 23. Juni 1987 – VI ZR 188/86, Rn. 13, juris; vgl. Senat – 14 U 71/07 aaO, Rn. 10 mwN).“

(Senat, Urteil vom 22. Januar 2020 – 14 U 150/19 –, Rn. 69, 71, juris = NJW-RR 2020, 533 = RuS 2020, 172)

Oder aber der Kläger war unaufmerksam und hat deshalb das liegengebliebene Beklagtenfahrzeug zu spät wahrgenommen und deshalb zu spät reagiert. Hierfür könnte sprechen, dass nach den Ausführungen des Sachverständigen gerade die vom Kläger ausgeführte Lenkbewegung zunächst in Richtung des Beklagtenfahrzeugs darauf hindeutet, dass der Kläger anfangs auf das am Fahrbahnrand liegengebliebene Fahrzeug des Zeugen H., bei dem das Warnblinklicht eingeschaltet war, fokussiert gewesen sein könnte."


Anschnallpflicht ist drittschützende Pflicht; die Nichtbefolgung kann haftungsbegründend sein



OLG Köln, Urteil vom 27.08.2024 - 3 U 81/23 (externer Link):

"Die Schaffung eines individuellen Schadensersatzanspruchs durch § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 21a Abs. 1 StVO ist im Lichte des haftungsrechtlichen Gesamtsystems erforderlich und tragbar.

Der eindeutige drittschützende Charakter des § 21a Abs. 1 StVO bedingt es, dem durch die Verletzung der Anschnallpflicht Geschädigten einen Individualanspruch zu gewähren. Dies ist die haftungsrechtliche Folge in Sachverhalten, in denen der Geschädigte nicht zugleich der Anschnallpflichtige ist.

Besteht wie hier eine gesetzliche Vorschrift, die ein Handeln nicht nur zum Eigenschutz des Verpflichteten, sondern auch zum Schutz der Rechtsgüter Dritter verlangt, ist es nur konsequent, dem Verpflichteten im Falle eines eigenen Schadens die Verletzung der Vorschrift als Mitverschulden gegen sich selbst entgegenzuhalten und ihm im Falle der Schädigung des geschützten Dritten eine Haftung für diese Schäden aufzuerlegen.

Die so begründete Verschuldenshaftung des vorschriftswidrig nicht angeschnallten Insassen erscheint im Lichte des haftungsrechtlichen Gesamtsystems der Vorschriften des StVG und der StVO auch tragbar.

Auch wenn regelmäßig in vergleichbaren Haftungskonstellationen ein Anspruch auch gegen den Fahrzeugführer oder andere Verkehrsteilnehmer und insofern eine Haftung aus Gefährdungshaftung mit gesetzlicher Versicherungspflicht in Betracht kommen mag, ist eine Haftung des Anschnallpflichtigen nicht systemwidrig. Die Haftung setzt Verschulden voraus und unterliegt einer Schadensursächlichkeitsprüfung.

Der Umstand, dass Verkehrsteilnehmer im Straßenverkehr bei schuldhaften Pflichtverstößen für kausale, zurechenbare Schäden haften, belegt insoweit eine sich in das System einfügende Haftung (so z.B. OLG Saarbrücken, Urt. v. 13.04.2010, 4 U 425/09, juris: Haftung des auf die Fahrbahn tretenden Fußgängers für Schäden des dadurch zu Fall gekommenen Motorradfahrers; ebenso: LG Mönchengladbach, Urt. v. 29.03.2012, 1 O 1/06, juris)."


Anwaltskosten grundsätzlich erstattungsfähig



OLG Hamm, Urteil vom 07.11.2023 - 7 U 131/22 (externer Link):

"Bei Verkehrsunfällen wird dem Geschädigten nur in einfach gelagerten Fällen, in denen die Haftung dem Grund und der Höhe nach klar ist, zugemutet, den Schädiger zunächst selbst in Anspruch zu nehmen (Freymann/Rüßmann in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., § 249 BGB (Stand: 08.08.2023), Rn. 255). Dies war vorliegend nicht der Fall. Zwar stand die alleinige Haftung der Beklagtenseite dem Grunde nach fest; allerdings stand die Unfallursächlichkeit für einen etwaigen Schaden in Streit. Die Klägerin durfte sich insoweit unmittelbar der Hilfe eines Rechtsanwalts bedienen. Dass im weiteren Verfahren nunmehr nicht festgestellt werden kann, dass ein Achsschaden am klägerischen Fahrzeug vorliegt und dieser durch den streitgegenständlichen Unfall verursacht worden ist, kann die Beklagten im Hinblick auf die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nicht entlasten. Denn dass das Beklagtenfahrzeug den Felgenstern des Klägerfahrzeuges beschädigt hat und der Verdacht eines Achsschadens vorlag, steht fest. Zur weiteren Aufklärung durfte sich die Klägerin anwaltlicher Hilfe bedienen. Diese Sachlage ist durch die Beklagtenseite verursacht worden, so dass diese die vorgerichtlich angefallenen Rechtsanwaltskosten zu tragen hat.



Der Gegenstandswert für die Gebührenhöhe richtet sich jedoch nach der objektiv berechtigten Forderungshöhe (Freymann/Rüßmann in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., § 249 BGB (Stand: 08.08.2023), Rn. 259). Berechtigt war hier lediglich die Unkostenpauschale in Höhe von 25,00 Euro und die Freistellung von den Privatgutachterkosten in Höhe von 1.051,13 Euro (siehe dazu noch unten unter 3.). Bei einem Gegenstandswert von 1.076,13 Euro ergeben sich insoweit unter Anrechnung einer 0,65-fachen Geschäftsgebühr vorgerichtlich angefallene Rechtsanwaltskosten in Höhe von insgesamt 117,88 Euro brutto (1,3-fache Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2300 VV RVG in Höhe von 165,10 Euro abzgl. 0,65-fache Geschäftsgebühr von 82,55 Euro zzgl. 20 Prozent Auslagenpauschale in Höhe von 16,51 Euro zzgl. 19 Prozent Umsatzsteuer in Höhe von 18,82 Euro)."


Begründung des merkantilen Minderwerts



BGH, Urteil vom 16.07.2024 - VI ZR 243/23 (externer Link):

"a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs handelt es sich beim merkantilen Minderwert um eine Minderung des Verkaufswerts, die trotz völliger und ordnungsgemäßer Instandsetzung eines bei einem Unfall erheblich beschädigten Kraftfahrzeuges allein deshalb verbleibt, weil bei einem großen Teil des Publikums eine den Preis beeinflussende Abneigung gegen den Erwerb unfallbeschädigter Kraftfahrzeuge besteht (Senatsurteil vom 23. November 2004 - VI ZR 357/03, BGHZ 161, 151, 159, juris Rn. 16; BGH, Beschluss vom 8. Dezember 2021 - VIII ZR 280/20, NJW 2022, 935 Rn. 25; jeweils mwN). Grund ist, dass auch bei instandgesetzten Unfallfahrzeugen verborgene technische Mängel nicht auszuschließen sind und das Risiko höherer Schadensanfälligkeit infolge nicht fachgerechter Reparatur besteht. Damit erzielen Unfallfahrzeuge auf dem Gebrauchtwagenmarkt einen geringeren Preis als unfallfreie. Diese Wertdifferenz stellt einen unmittelbaren Sachschaden dar (vgl. Senatsurteile vom 23. November 2004 aaO; vom 3. Oktober 1961 - VI ZR 238/60, BGHZ 35, 396, 397 f., juris Rn. 4 f.; vom 30. Mai 1961 - VI ZR 139/60, VersR 1961, 707, 708).

"


Beobachtungspflicht des Kraftfahrers



BGH, Urteil vom 04.04.2023 - VI ZR 11/21 (externer Link):

"Der Kraftfahrer ist dabei grundsätzlich auch bei breiteren Straßen verpflichtet, die gesamte Straßenfläche vor sich zu beobachten (vgl. Senatsurteil vom 24. Februar 1987 - VI ZR 19/86, NJW 1987, 2378, juris Rn. 18 mwN).

Dementsprechend muss ein Kraftfahrer am Fahrbahnrand befindliche oder vor ihm die Fahrbahn überquerende Fußgänger im Auge behalten und in seiner Fahrweise erkennbaren Gefährdungen Rechnung tragen (vgl. Senatsurteile vom 24. Februar 1987 - VI ZR 19/86, NJW 1987, 2377, juris Rn. 18 mwN; vom 7. Juli 1959 - VI ZR 154/58, VersR 1959, 833; vom 11. Dezember 1956 - VI ZR 267/55, VersR 1957, 128). "


berührungsloser Unfall



OLG Hamm, Urteil vom 09.05.2023 - 7 U 17/23 (externer Link):

"Allerdings reicht die bloße Anwesenheit eines im Betrieb befindlichen Kraftfahrzeugs an der Unfallstelle für eine Haftung nicht aus. Insbesondere bei einem sogenannten "Unfall ohne Berührung" ist daher Voraussetzung für die Zurechnung des Betriebs des Kraftfahrzeugs zu einem schädigenden Ereignis, dass über seine bloße Anwesenheit an der Unfallstelle hinaus das Fahrverhalten seines Fahrers in irgendeiner Art und Weise das Fahrmanöver des Unfallgegners beeinflusst hat, mithin, dass das Kraftfahrzeug durch seine Fahrweise (oder sonstige Verkehrsbeeinflussung) zu der Entstehung des Schadens beigetragen hat (BGH Urt. v. 22.11.2016 - VI ZR 533/15, r+s 2017, 95 Rn. 14 m. w. N.).

Dabei ist im Straßenverkehrsrecht anerkannt, dass maßgeblicher Zeitpunkt für Ursächlichkeit und Zurechnungszusammenhang der Eintritt der konkreten kritischen Verkehrslage ist, die unmittelbar zum Schaden führt. Die kritische Verkehrslage beginnt für einen Verkehrsteilnehmer dann, wenn die ihm erkennbare Verkehrssituation konkreten Anhalt dafür bietet, dass eine Gefahrensituation unmittelbar entstehen kann. Das gilt auch für die Gefährdungshaftung gemäß § 7 Abs. 1 StVG (BGH Urt. v. 22.11.2016 - VI ZR 533/15, r+s 2017, 95 Rn. 17 m. w. N.; vgl. dazu auch Senat Beschl. v. 10.3.2022 - 7 U 3/22, NJOZ 2022, 1286 = juris Ls. 2 und Rn. 26; OLG München Urt. v. 30.6.2017 - 10 U 4051/16, BeckRS 2017, 116969 = juris Rn. 23)."


berührungsloser Unfall / Betriebsgefahr durch Veranlassung



BGH, Urteil vom 21.09.2010 - VI ZR 263/09 (externer Link):

"1. Zutreffend geht das Berufungsgericht allerdings davon aus, dass die Halterhaftung gemäß § 7 Abs. 1 StVG und die Haftung des Fahrers aus vermutetem Verschulden gemäß § 7 Abs. 1 i.V.m. § 18 StVG auch dann eingreifen können, wenn es nicht zu einer Berührung zwischen den am Unfallgeschehen beteiligten Kraftfahrzeugen gekommen ist. Eine Haftung kommt grundsätzlich nämlich auch dann in Betracht, wenn der Unfall mittelbar durch das andere Kraftfahrzeug verursacht worden ist. Allerdings reicht die bloße Anwesenheit des Kraftfahrzeugs an der Unfallstelle dafür nicht aus. Vielmehr muss das Kraftfahrzeug durch seine Fahrweise (oder sonstige Verkehrsbeeinflussung) zu der Entstehung des Schadens beigetragen haben (Senatsurteile vom 11. Juli 1972 - VI ZR 86/71, VersR 1972, 1074, 1075; vom 4. Mai 1976 - VI ZR 193/74, VersR 1976, 927 und vom 19. April 1988 - VI ZR 96/87, VersR 1988, 641). Dieses kann etwa der Fall sein, wenn der Geschädigte durch den Betrieb eines Kraftfahrzeugs zu einer Reaktion wie z.B. zu einem Ausweichmanöver veranlasst wird und dadurch ein Schaden eintritt. In einem solchen Fall kann der für eine Haftung erforderliche Zurechnungszusammenhang je nach Lage des Falles zu bejahen sein.

(...)

Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats kann nämlich auch ein Unfall infolge einer voreiligen - also objektiv nicht erforderlichen - Abwehr- oder Ausweichreaktion gegebenenfalls dem Betrieb des Kraftfahrzeugs zugerechnet werden, das diese Reaktion ausgelöst hat (vgl. Senatsurteile vom 29. Juni 1971 - VI ZR 271/69, VersR 1971, 1060, 1061; vom 19. April 1988 - VI ZR 96/87, aaO und vom 26. April 2005 - VI ZR 168/04, VersR 2005, 992, 993). Es ist auch nicht erforderlich, dass die von dem Geschädigten vorgenommene Ausweichreaktion aus seiner Sicht, also subjektiv erforderlich war oder sich gar für ihn als die einzige Möglichkeit darstellte, um eine Kollision zu vermeiden. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kommt es für die Bejahung des Zurechnungszusammenhangs insbesondere nicht darauf an, ob der Kläger einen Zusammenstoß mit dem Pkw des Beklagten zu 2 auf andere Weise, etwa durch Abbremsen, hätte verhindern können.

(...)

Ob die Ausweichreaktion notwendig oder aber wenigstens subjektiv vertretbar war, ist in Fällen, in denen es nicht zu einer Berührung mit dem anderen Kraftfahrzeug gekommen ist, unerheblich. Die Voraussetzungen von § 7 Abs. 1 StVG wären selbst dann erfüllt, wenn der Kläger (verkehrswidrig) versucht hätte, die beiden Pkw gleichzeitig, nämlich als diese während des Überholvorgangs auf gleicher Höhe waren, zu überholen. Anders wäre es nur, wenn das Überholmanöver des Beklagten zu 2 das des Klägers in keinerlei Weise beeinflusst hätte. Das ist auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen, wonach das Ausweichmanöver dem Pkw des Beklagten zu 2 galt, jedoch auszuschließen. War das Überholmanöver dieses Pkw der Anlass für das den Unfall auslösende Ausweichmanöver des Klägers, hat sich der Unfall "bei dem Betrieb" des von dem Beklagten zu 2 gesteuerten Kraftfahrzeugs ereignet."


Betrieb des Fahrzeuges: auch der am Hang rollende PKW



LG Lübeck im Urteil vom 02.11.2023, Az. 14 S 113/22 (externer Link):

"(2) Entgegen der amtsgerichtlichen Feststellungen erfolgte diese Beschädigung des klägerischen Fahrzeuges durch das Beklagtenfahrzeug auch „bei dem Betrieb“ des Beklagtenfahrzeuges im Sinne von § 7 I StVG. Das Tatbestandsmerkmal „bei dem Betrieb“ erfordert nicht, dass der Schaden gleichsam durch ein noch „in Bewegung“ befindliches Kraftfahrzeug verursacht wurde. Nach ständiger Rechtsprechung liegt das Tatbestandsmerkmal „bei dem Betrieb“ immer dann vor, wenn sich die von dem Kraftfahrzeug ausgehende Gefahr auf den Schadensablauf ausgewirkt hat, wenn also das Schadensereignis in irgendeiner Weise durch das Kraftfahrzeug mitgeprägt worden ist (MüKoStVR/Engel, 1. Aufl. 2017, StVG § 7 Rn. 13-17 m.w.N.). Hierzu ist es nicht erforderlich, dass „motorische Kräfte“ auf den Wagen einwirken (a.a.O.). Umfasst sind daher nicht nur die in Bewegung befindlichen Kraftfahrzeuge, sondern auch solche, die in verkehrsbeeinflussender Weise halten, ruhen oder abgestellt sind. Gerade nicht abgestellt wird darauf, ob der Motor in Gang gesetzt ist oder der Motor gerade erst außer Betrieb gesetzt wurde (a.a.O.). Entsprechend hat der Bundesgerichtshof auch bereits entschieden, dass ein Fahrzeug auch dann noch „im Betrieb“ ist, wenn es – wie hier – vorübergehend geparkt wurde, wobei es nicht darauf ankommt, ob das Fahrzeug auf einer dem öffentlichen Verkehr dienenden Straßenfläche, oder auf privatem Gelände abgestellt war (BGH, Urteil vom 25.10.1994 - VI ZR 107/94 = NZV 1995, 19)."


Betrieb eines Fahrzeuges



BGH, Urteil vom 12.12.2023 - VI ZR 77/23 (externer Link):

"aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist ein Schaden bereits dann "bei dem Betrieb" eines Kraftfahrzeugs entstanden, wenn sich in ihm die von dem Kraftfahrzeug ausgehenden Gefahren ausgewirkt haben, d.h. wenn bei der insoweit gebotenen wertenden Betrachtung das Schadensgeschehen durch das Kraftfahrzeug (mit)geprägt worden ist. Erforderlich ist aber stets, dass es sich bei dem Schaden, für den Ersatz verlangt wird, um eine Auswirkung derjenigen Gefahren handelt, hinsichtlich derer der Verkehr nach dem Sinn der Haftungsvorschrift schadlos gehalten werden soll, d.h. die Schadensfolge muss in den Bereich der Gefahren fallen, um derentwillen die Rechtsnorm erlassen worden ist. Für die Zurechnung der Betriebsgefahr kommt es damit grundsätzlich maßgeblich darauf an, dass die Schadensursache in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeugs steht (vgl. nur Senatsurteil vom 18. Juli 2023 - VI ZR 16/23, WM 2023, 2062 Rn. 12 mwN).

Bei Kraftfahrzeugen mit Arbeitsfunktionen ist es erforderlich, dass ein Zusammenhang mit der Bestimmung des Kraftfahrzeuges als eine der Fortbewegung und dem Transport dienende Maschine (vgl. § 1 Abs. 2 StVG) besteht. Eine Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG entfällt daher jedenfalls dann, wenn die Fortbewegungs- und Transportfunktion des Kraftfahrzeuges keine Rolle mehr spielt und das Fahrzeug nur noch als Arbeitsmaschine eingesetzt wird oder bei Schäden, in denen sich eine Gefahr aus einem gegenüber der Betriebsgefahr eigenständigen Gefahrenkreis verwirklicht hat. Wann haftungsrechtlich nur noch die Funktion als Arbeitsmaschine infrage steht, lässt sich nur im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände entscheiden. Dabei ist es unter Schutzzweckgesichtspunkten von Bedeutung, ob der Arbeitseinsatz auf oder in örtlicher Nähe zu Straßenverkehrsflächen stattfindet (vgl. Senatsurteil vom 18. Juli 2023 - VI ZR 16/23, WM 2023, 2062 Rn. 13 f. mwN).

Eine Verbindung mit dem "Betrieb" des Kraftfahrzeuges i.S.v. § 7 Abs. 1 StVG hat der Senat beim stehenden Fahrzeug auch dann bejaht, wenn das Kraftfahrzeug in innerem Zusammenhang mit seiner Funktion als Verkehrs- und Transportmittel - gegebenenfalls mit Hilfe einer speziellen Entladevorrichtung - entladen wird. Der Halter haftet auch in diesen Fällen für die Gefahr, die das Kraftfahrzeug beim Entladen in dem in Anspruch genommenen Verkehrsraum für andere Verkehrsteilnehmer darstellt. Hierhin fällt nicht nur die Gefahr durch das entladende Kraftfahrzeug als solches, sondern auch diejenige, die von den Entladevorrichtungen und dem Ladegut ausgeht (Senatsurteil vom 8. Dezember 2015 - VI ZR 139/15, BGHZ 208, 140 Rn. 14 mwN für das Entladen von Heizöl aus einem Tanklastwagen)."


Betriebsgefahr (keine), wenn das Kfz schon länger ordnungsgemäß abgestellt war



OLG Karlsruhe, Urteil vom 29.06.2005 - 1 U 247/04 (externer Link):

"2. Ein Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten zu 1 besteht auch nicht nach § 18 StVG. Eine Einstandspflicht scheitert - ungeachtet der Verschuldensfrage - schon daran, dass der Schaden, wie das Landgericht Heidelberg mit zutreffender Begründung der - inzwischen rechtskräftigen - Abweisung der gegen die zweitbeklagte Halterin und den drittbeklagten Pflichtversicherer gerichteten Ansprüche aus § 7 StVG, § 3 PflVG ausgeführt hat,nicht beim Betrieb eines Kraftfahrzeugseingetreten ist. Allerdings ist das Haftungsmerkmal "bei dem Betrieb" entsprechend dem umfassenden Schutzzweck der Vorschrift weit auszulegen. Die Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG umfasst daher alle durch den Kraftfahrzeugverkehr beeinflussten Schadensabläufe. Es genügt, dass sich eine von dem Kraftfahrzeug ausgehende Gefahr ausgewirkt hat und das Schadensgeschehen in dieser Weise durch das Kraftfahrzeug mitgeprägt worden ist (vgl. BGHZ 105, 65, 66; 107, 359, 366; 115, 84, 86 und BGH VersR 2005, 566, 567). Ob dies der Fall ist, muss mittels einer am Schutzzweck der Haftungsnorm orientierten wertenden Betrachtung beurteilt werden. An diesem erforderlichen Zurechnungszusammenhang fehlt es, wenn die Schädigung nicht mehr eine spezifische Auswirkung derjenigen Gefahren ist, für die die Haftungsvorschrift den Verkehr schadlos halten will (BGH Urt. v. 26.04.2005 - VI ZR 168/04 m.w.N.).

Ansprüche nach dem Straßenverkehrsgesetz sind nur dann gegeben, wenn sich bei dem Schaden die spezifischen Gefahren des Kraftfahrzeugverkehrs ausgewirkt haben (vgl. dazu Wussow/Baur, Unfallhaftpflichtrecht, 15. Aufl. Kap 17 TZ 6 m.w.N.; vgl. auch BGH Urt. v. 26.04.2005 - VI ZR 168/04 - m.w.N.). Zwar kann ein sich im Verkehrsraum befindendes Kraftfahrzeug (oder ein Anhänger) noch dem Schutzbereich des § 7 StVG unterfallen. So gelten beispielsweise ordnungswidrig im Verkehrsraum abgestellte Fahrzeuge (z.B. unerlaubt in der zweiten Reihe oder auf der falschen Seite haltend oder in eine Fahrbahn hinein ragend) als "im Betrieb" (vgl. Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. Aufl. § 7 StVG Rdnr. 5 m.w.N.; OLG Karlsruhe NZV 1990, 189). Mit dem verkehrsmäßig ordnungsgemäßen Abstellen eines Kraftfahrzeugs auf einem Privatgrundstück endet jedoch der Betrieb (vgl. Geigel/Kunschert, Der Haftpflichtprozess, 24. Aufl., Rn. 56 m.w.N.). Der Erstbeklagte hat das Wohnmobil am späten Abend des 1. September 2003 von der öffentlichen Straße entfernt und vollständig auf dem Privatgrundstück des Klägers abgestellt. Als in den Morgenstunden des 2. September die Markise ausfuhr, parkte das Fahrzeug dort noch immer bei abgestelltem Motor."


Betriebsgefahr - Türöffnen gehört dazu



LG Karlsruhe, Urteil vom 01.09.2006 - 3 O 390/05 (externer Link):

"Das Kraftfahrzeug des Beklagten Ziff. 1 befand sich im Betrieb im Sinne von § 7 Abs. 1 StVG, denn der Schaden an dem PKW des Klägers ist durch die dem KFZ-Betrieb typisch innewohnende Gefährlichkeit adäquat verursacht worden, die von dem Fahrzeug ausgehenden Gefahren haben sich bei seiner Entstehung ausgewirkt (vgl. Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. Aufl., § 7 StVG Rn. 4/ 8)."


Betriebsgefahr bei Kraftfahrzeugen mit Arbeitsfunktion



BGH, Urteil vom 12.12.2023 - VI ZR 77/23 (externer Link):

"Bei Kraftfahrzeugen mit Arbeitsfunktionen ist es erforderlich, dass ein Zusammenhang mit der Bestimmung des Kraftfahrzeuges als eine der Fortbewegung und dem Transport dienende Maschine (vgl. § 1 Abs. 2 StVG) besteht. Eine Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG entfällt daher jedenfalls dann, wenn die Fortbewegungs- und Transportfunktion des Kraftfahrzeuges keine Rolle mehr spielt und das Fahrzeug nur noch als Arbeitsmaschine eingesetzt wird oder bei Schäden, in denen sich eine Gefahr aus einem gegenüber der Betriebsgefahr eigenständigen Gefahrenkreis verwirklicht hat. Wann haftungsrechtlich nur noch die Funktion als Arbeitsmaschine infrage steht, lässt sich nur im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände entscheiden. Dabei ist es unter Schutzzweckgesichtspunkten von Bedeutung, ob der Arbeitseinsatz auf oder in örtlicher Nähe zu Straßenverkehrsflächen stattfindet (vgl. Senatsurteil vom 18. Juli 2023 - VI ZR 16/23, WM 2023, 2062 Rn. 13 f. mwN)."


Betriebsgefahr beim Entladen



BGH, Urteil vom 12.12.2023 - VI ZR 77/23 (externer Link):

"Der Halter haftet auch in diesen Fällen für die Gefahr, die das Kraftfahrzeug beim Entladen in dem in Anspruch genommenen Verkehrsraum für andere Verkehrsteilnehmer darstellt. Hierhin fällt nicht nur die Gefahr durch das entladende Kraftfahrzeug als solches, sondern auch diejenige, die von den Entladevorrichtungen und dem Ladegut ausgeht (Senatsurteil vom 8. Dezember 2015 - VI ZR 139/15, BGHZ 208, 140 Rn. 14 mwN für das Entladen von Heizöl aus einem Tanklastwagen)."


Betriebsgefahr besteht nach Unfallereignis fort



OLG Celle, Urteil vom 05.08.2020 - 14 U 37/20 (externer Link):

"a) Gemäß § 7 Abs. 1 StVG i. V. m. § 115 VVG ist zunächst Voraussetzung einer Haftung der Beklagten, dass der Unfall des Klägers „bei dem Betrieb“ des Fahrzeugs des Beklagten 1) erfolgte (zu den Grundsätzen für dieses Tatbestandsmerkmal s. u.a. die Ausführungen im Urteil des Senats vom 22. Januar 2020 – 14 U 150/19 –, dort Rn. 41ff., juris). Das Tatbestandsmerkmal ist hier letztlich unproblematisch zu bejahen, auch wenn ein gewisser Zeitraum zwischen Erst- und Zweitunfall lag und der Beklagte zu 1) sein Fahrzeug bereits verlassen hatte, als der Kläger mit seinem Fahrzeug kollidierte. Ohne den Erstunfall wäre es zum streitgegenständlichen Unfall nicht gekommen."


Betriebsgefahr des Müllwagens



BGH, Urteil vom 12.12.2023 - VI ZR 77/23 (externer Link):

"bb) Nach diesen Grundsätzen ist der Pkw der Klägerin bei dem Betrieb des Müllabfuhrfahrzeugs des Beklagten zu 2 beschädigt worden. Dieses ist zwar auch ein Kraftfahrzeug mit Arbeitsfunktion, der Unfall steht aber in einem haftungsrechtlich relevanten Zusammenhang mit der Bestimmung des Müllabfuhrfahrzeugs als eine dem Transport von Müll dienende Maschine. Zur Erfüllung der Transportfunktion sind Mülltonnen zum Müllabfuhrfahrzeug zu bringen, dort zu entleeren und wieder zurückzustellen. Die Gefahr, die in diesem Zusammenhang von einer gerade entleerten Mülltonne auf der Straße für andere Verkehrsteilnehmer ausgeht, ist damit dem Betrieb des Müllabfuhrfahrzeugs zuzurechnen."


Betriebsgefahr des verboten abgestellten Fahrzeuges



LG München I, Urteil vom 26.05.2009 - 17 O 1695/09 (externer Link):

"Das Fahrzeug war vorliegend nämlich nicht ordnungsgemäß geparkt. Ein nicht ordnungsgemäß geparktes, weil in den Verkehr hineinragendes Fahrzeug wirkt jedoch im fließenden Verkehr. Es bildet gleich einem nur kurzfristig haltenden Fahrzeug ein Hindernis, von dem Gefahren für den fließenden Verkehr ausgehen können (vgl. insoweit zur Argumentation OLG Karlsruhe, Urt. v. 29.06.2005, 1 U 247/04, Abs. 22 f.)."


Betriebsgefahr des verboten abgestellten Fahrzeuges kann zurücktreten, wenn ausreichend Platz vorhanden



LG München I, Urteil vom 26.05.2009 - 17 O 1695/09 (externer Link):

"Bei der Abwägung der Verursachungsbeiträge trat der Sorgfaltspflichtverstoß der Klägerin hinter dem Sorgfaltspflichtverstoß des Fahrers der Beklagtenpartei zurück.

Die Straße war nämlich so breit, dass ein so enges Anfahren an die Fahrzeugseite des klägerischen Fahrzeugs, wie es die Beklagtenpartei vorgetragen hat, nicht erforderlich gewesen wäre. Weiterhin haben dies auch die anwesenden Zeugen T. und K. so gesehen. Vielmehr ist der Müllwagen aus schlichter Unachtsamkeit dicht an den Wagen der Klagepartei herangefahren und hat diesen dann schließlich beim Anfahren gestreift.

Die Berechnungen des Sachverständigen haben ergeben, dass auch bei einem Parken mit einem unterstellten Seitenabstand von 50 cm noch ausreichend Platz gewesen wäre, um den Müllwagen zu beladen und zugleich Fahrzeuge passieren zu lassen. Der Sachverständige Dipl.-Ing. L. hat dies überzeugend ausgeführt und mit den überreichten Skizzen verdeutlicht. Danach war es zweifellos so, dass die Durchfahrt mit einem weiteren LKW möglich gewesen wäre, hätte der Fahrer der Beklagtenpartei einen ordnungsgemäßen Seitenabstand zu dem Wagen der Klägerin gehalten. Dass die Passage insoweit eng gewesen wäre, ist regelmäßig bei der Kreuzung zweier Lastkraftwagen auf einer innerorts beidseitig beparkten Straße hinzunehmen."


Betriebsgefahr eines Motorrades



BGH, Urteil vom 01.12.2009 - VI ZR 221/08 (externer Link):

"aa) Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. Senatsurteile vom 5. März 1957 - VI ZR 59/56 - VersR 1957, 334, 336; vom 13. Juli 1971 - VI ZR 245/69 - VersR 1971, 1043 f.) kommt bei der Bewertung der von einem Kraftrad ausgehenden Betriebsgefahr nicht etwa ganz allgemein dem Umstand wesentliche Bedeutung zu, dass dessen Fahrer selber nicht durch eine Karosserie geschützt ist. Die allgemeine Betriebsgefahr eines Fahrzeugs wird vor allem durch die Schäden bestimmt, die dadurch Dritten drohen. Dem Fahrer eines nach seiner Bauart für den Verkehr zugelassenen, in verkehrstüchtigem Zustand befindlichen Fahrzeugs kann bei der Abwägung nicht zur Last gelegt werden, dass er schon wegen dieser Bauart und der geringeren Eigensicherung, die ihm das Fahrzeug bietet, bei Zusammenstößen mit anderen Fahrzeugen Verletzungen in höherem Maße ausgesetzt ist als in einem Fahrzeug, das in dieser Hinsicht größere Sicherheit bietet (vgl. auch Jordan, in: 20. Deutscher Verkehrsgerichtstag 1982, S. 189, 209 ff.; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 40. Aufl., § 17 StVG Rn. 7).



bb) Als ein die Betriebsgefahr eines Motorrads erhöhender Umstand kann zwar grundsätzlich dessen Instabilität und die daraus resultierende Sturzgefahr in Betracht kommen (vgl. OLG Köln, VRS 66 [1984], 255, 258 mit NA-Beschluss des Senats vom 14. Februar 1984 - VI ZR 94/83; KG, NZV 2002, 34, 35; OLG Düsseldorf, DAR 2005, 217, 219; Jordan aaO, S. 190, 203 ff.; Hentschel/König/Dauer aaO), sofern und soweit sich diese nachweislich als Unfallursache ausgewirkt hat (vgl. OLG Köln aaO; Jordan aaO, S. 203). Weder die vom Berufungsgericht gewählte Formulierung noch die von ihm getroffenen Feststellungen lassen aber erkennen, dass es bei seiner Würdigung hierauf abgestellt hat."


Betriebsgefahr eines PKW sind ca. 20%



LG Kassel, Urteil vom 08.03.2013 - 5 O 118/12 (externer Link):

"Ein sog. Idealfahrer hätte also in der Situation bei den gegebenen Sicht- und Straßenverhältnissen den Unfall wahrscheinlich vermeiden können. Dies rechtfertigt im konkreten Fall nach Einschätzung des Gerichts unter Würdigung der dargelegten Umstände die Betriebsgefahr von 20 %."


Betriebsgefahr geht vom verboten abgestellten Fahrzeug aus



LG Kassel, Urteil vom 08.03.2013 - 5 O 118/12 (externer Link):

"Denn auch das verbotswidrig geparkte Fahrzeug befindet sich im „Betrieb“ (König, in: Hentschel, 41. Aufl. 2011, § 7 StVO Rn. 5). Das vorschriftswidrige Abstellen des Fahrzeugs an einer Stelle, die nicht für das Parken zugelassen, sondern für den fließenden Verkehr vorgesehen ist, bewirkt ein Hindernis für den fließenden Verkehr, mit welchem andere Kraftfahrzeugführer an dieser Stelle nicht zu rechnen brauchen. Dadurch entsteht eine für den Kraftfahrzeugverkehr typische Gefahrensituation."


Betriebsgefahr kann bei länger geöffneter Tür zurücktreten



LG Aachen, Urteil vom 23.02.2023 - 1 O 219/22 (externer Link):

"Die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs tritt vollständig hinter den Verstoß des Beklagten zu 1) gegen das allgemeine Rücksichtsgebot gemäß § 1 Abs. 2 StVO zurück. Der Beklagte hat im Rahmen seiner informatorischen Anhörung selbst erklärt, dass er die Tür nicht gesehen habe und er schuld gewesen sei. Er sei drauf gefahren. Insbesondere spricht für eine Unaufmerksamkeit, dass er nach seiner eigenen Erklärung aufgrund der Baustelle 30-40 km/h gefahren ist. Trotz dieser geringen Geschwindigkeit hat er die über einen längeren Zeitraum geöffnete Fahrzeugtür nicht erkannt. Zwar ist das klägerische Fahrzeug ein schwarzer Golf, aber die Straße ist an der Unfallstelle gerade. Zudem war die Fahrzeugtür von innen mit einem Reflektor beleuchtet. Aufgrund dieser Gesamtumstände ist das Gericht, unabhängig von den Wetterbedingungen, von guten Sichtverhältnissen überzeugt."


Betriebsgefahr Kfz höher als Motorrad



LG Köln, Urteil vom 19.04.2024 - 14 O 65/21 (externer Link):

"Da hier vorliegend ein PKW und ein Motorrad in den Unfall verwickelt waren, ist bereits die Ausgangsquote angesichts der höheren Betriebsgefahr, die von einem PKW aufgrund seiner Größe, Schwere und Stabilität im Vergleich zu einem zweirädigen Motorrad ausgeht, höher zu bewerten. Eine genaue Quotierung der ungleichen Betriebsgefahr kann jedoch unterbleiben, weil die Beklagten im Ergebnis zu 100% haften."


Betriebsgefahr: Abwägung: PKw und Motorrad



LG Köln, Urteil vom 19.04.2024 - 14 O 65/21 (externer Link):

"Da hier vorliegend ein PKW und ein Motorrad in den Unfall verwickelt waren, ist bereits die Ausgangsquote angesichts der höheren Betriebsgefahr, die von einem PKW aufgrund seiner Größe, Schwere und Stabilität im Vergleich zu einem zweirädigen Motorrad ausgeht, höher zu bewerten. Eine genaue Quotierung der ungleichen Betriebsgefahr kann jedoch unterbleiben, weil die Beklagten im Ergebnis zu 100% haften."


Beweislast des Geschädigten für Vorhandensein und Unfallbedingtheit von Schäden



BGH, Urteil vom 16.01.2024 - VI ZR 253/22 (externer Link):

"Der Geschädigte trägt die Darlegungs- und Beweislast für das Vorhandensein und die Unfallbedingtheit der jeweiligen Fahrzeugschäden und dafür, dass die abgerechneten Instandsetzungsarbeiten Teil der Reparatur dieser Unfallschäden sind. Insoweit kann er sich weder auf das Werkstattrisiko noch auf eine sich als unzutreffend erweisende Einschätzung des von ihm eingeschalteten Privatgutachters berufen."


Dashcam als zugelassenes Beweismittel



LG Aachen, Urteil vom 06.07.2023 - 12 O 398/22 (externer Link):

"(bb) Die Verwertung des Dashcam-Videos war als Beweismittel auch zulässig.

(1) Keine Partei - insbesondere nicht der Kläger - hat der Verwertung der Dashcam-Videos widersprochen.

(2) Es kann auch dahinstehen, ob die streitgegenständliche Videoaufzeichnungen nach den geltenden datenschutzrechtlichen Bestimmungen unzulässig sind Selbst wenn dies der Fall wäre, wäre ihre Verwertung als Beweismittel dennoch zulässig. Das ergibt sich aus einer vorzunehmenden Güterabwägung (ausführlich BGH, Urteil vom 15. Mai 2018 - VI ZR 233/17 -, BGHZ 218, 348-377, Rn. 39, juris).

(a) Auf der einen Seite stehen das Interesse des (Gegen-)Beweisführers - hier des Beklagten zu 1) - an der Durchsetzung seiner zivilrechtlichen Ansprüche un seines im Grundgesetz verankerten Anspruch auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Interesse an einer funktionierenden Zivilrechtspflege und an einer materiell richtigen Entscheidung nach freier Beweiswürdigung. Auf der anderen Seite steht das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung (BGH, Urteil vom 15. Mai 2018 - VI ZR 233/17 -, BGHZ 218, 348-377, Rn. 40 m.w.N., juris).

(b) Zwar begründet die Dashcam-Aufnahme, durch die das Fahrzeug des Klägers mit dessen Kraftfahrzeugkennzeichen in und kurz nach der Unfallsituation aufgenommen und diese Sequenz abgespeichert worden ist, einen Eingriff in das Recht des Klägers, der durch die Nutzung als Beweismittel fortgesetzt wird (BGH, Urteil vom 15. Mai 2018 - VI ZR 233/17 -, BGHZ 218, 348-377, Rn. 41 f., juris).

(c) Der Eingriff ist allerdings nicht rechtswidrig, da die schutzwürdigen Belange des Beklagten zu 1) das Schutzinteresse des Klägers überwiegen. In der Rechtsprechung sind wegen der Eigenart des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als eines Rahmenrechts, dessen Reichweite nicht absolut feststeht, Abwägungskriterien u.a. nach Maßgabe einer abgestuften Schutzwürdigkeit bestimmter Sphären, in denen sich die Persönlichkeit verwirklicht, herausgearbeitet worden. Danach genießen besonders hohen Schutz die sogenannten sensitiven Daten, die der Intim- und Geheimsphäre zuzuordnen sind. Geschützt ist aber auch das Recht auf Selbstbestimmung bei der Offenbarung von persönlichen Lebenssachverhalten, die lediglich zur Sozial- und Privatsphäre gehören. Allerdings hat der Einzelne keine absolute, uneingeschränkte Herrschaft über "seine" Daten; denn er entfaltet seine Persönlichkeit innerhalb der sozialen Gemeinschaft. In dieser stellt die Information, auch soweit sie personenbezogen ist, einen Teil der sozialen Realität dar, der nicht ausschließlich dem Betroffenen allein zugeordnet werden kann. Vielmehr ist über die Spannungslage zwischen Individuum und Gemeinschaft im Sinne der Gemeinschaftsbezogenheit und -gebundenheit der Person zu entscheiden (BGH, Urteil vom 15. Mai 2018 - VI ZR 233/17 -, BGHZ 218, 348-377, Rn. 44 m.w.N.).

(d) Bei der gebotenen Abwägung ist zunächst zu berücksichtigen, dass der Kläger lediglich in seiner Sozialsphäre betroffen ist. Aufgezeichnet wurde ein Unfallgeschehen unter Beteiligung seines Kraftfahrzeugs. Das Geschehen ereignete sich im öffentlichen Straßenraum, in den er sich freiwillig begeben hat. Er hat sich durch seine Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr selbst der Wahrnehmung und Beobachtung durch andere Verkehrsteilnehmer ausgesetzt. Rechnung zu tragen ist zudem der häufigen besonderen Beweisnot, die der Schnelligkeit des Verkehrsgeschehens geschuldet ist. Wenn überhaupt Zeugen vorhanden sind, ist der Beweiswert ihrer Aussagen angesichts der Flüchtigkeit des Unfallgeschehens und der Gefahr von Rekonstruktions- und Solidarisierungstendenzen regelmäßig gering; unfallanalytische Gutachten setzen verlässliche Anknüpfungstatsachen voraus, an denen es häufig fehlt. Zu berücksichtigen ist weiter, dass die Aufnahmen auch Feststellungen zum Fahrverhalten des Aufzeichnenden erlauben und grundsätzlich auch zu Gunsten des Beweisgegners sprechen und verwertet werden können.

Der mögliche Eingriff in die allgemeinen Persönlichkeitsrechte anderer Verkehrsteilnehmer, Fußgänger, Radfahrer oder anderer Kraftfahrer bzw. Insassen führt nicht zu einer anderen Gewichtung. Zwar besteht durch permanent und anlasslos aufzeichnende Videokameras in zahlreichen Privatfahrzeugen für das informationelle Selbstbestimmungsrecht der übrigen Verkehrsteilnehmer ein Gefährdungspotential, da durch die bestehenden Möglichkeiten von Gesichtserkennungssoftware, Weiterleitung und Zusammenführung der Daten zahlreicher Aufzeichnungsgeräte nicht auszuschließen ist, dass letztlich Bewegungsprofile individueller Personen erstellt werden könnten. Dem ist jedoch nicht durch Beweisverwertungsverbote im Zivilprozess zu begegnen. Zwar ist nicht zu verkennen, dass die Möglichkeit einer Beweisverwertung Anreize für die Nutzung von Dashcams setzen kann, doch ist ihr Gefahrenpotential nicht im Zivilprozess einzugrenzen oder (zusätzlich) zu sanktionieren. Deshalb ist es für die Frage der Verwertbarkeit des Beweismittels nicht von Bedeutung, dass der Teil der Aufzeichnung, der nicht im Prozess vorgelegt worden oder für die Unfallrekonstruktion nicht erheblich ist, möglicherweise zu Eingriffen in das allgemeine Persönlichkeitsrecht dritter Personen führt.

Dem danach nicht so schwerwiegenden Eingriff in das Recht des Klägers steht nicht nur ein "schlichtes" Beweisinteresse gegenüber. Denn jedes Beweisverwertungsverbot beeinträchtigt nicht nur die im Rahmen der Zivilprozessordnung grundsätzlich eröffnete Möglichkeit der Wahrheitserforschung und damit die Durchsetzung der Gerechtigkeit und die Gewährleistung einer funktionstüchtigen Zivilrechtspflege, sondern auch durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Rechte der auf Durchsetzung ihres Anspruchs klagenden Parteien. Es besteht auch ein individuelles Interesse der Partei eines Zivilprozesses an der Findung der materiellen Wahrheit bis hin zur Abwehr eines möglichen Prozessbetruges (zum Ganzen: BGH, Urteil vom 15. Mai 2018 - VI ZR 233/17 -, BGHZ 218, 348-377, Rn. 43 ff. m.w.N., juris).

(e) In der Konsequenz war die Verwertung der Dashcam-Aufzeichnungen hier zulässig. Dabei war im konkreten Einzelfall zusätzlich zu berücksichtigen, dass dem Beklagten zu 1) hier insbesondere auch keine anderen Beweismittel zur Verfügung standen, um den Gegenbeweis zu führen und seine (vollständige oder quotale) Haftung zu widerlegen, wohingegen der Kläger mit dem Zeugen I. über ein Beweismittel verfügte."


Einbieger muss stets mit (auch regelwidrig) überholenden Verkehrsteilnehmern rechnen



LG Tübingen, Urteil vom 10.12.2013 - 5 O 80/13 (externer Link):

"Die Beklagte Zf. 1 hat schuldhaft gegen § 10 StVO verstoßen, der höchste Sorgfaltspflichten begründet. Sie bog aus einem Parkplatzgrundstück über einen abgesenkten Bordstein nach links in die Straße ein, durch eine Lücke in einer Kolonne hindurch, die ihr die erforderliche Sicht nach links genommen hat. Sie hat sich auch nicht etwa einweisen lassen. Zugleich hat sie gegen das allgemeine Rücksichtnahmegebot verstoßen. Wer durch eine Kolonnenlücke einbiegt, muss mit überholendem Verkehr, auch regelwidrig Kolonnen auf der Gegenfahrbahn überholenden Verkehr rechnen (KG Berlin, 12 U 1032/95, Urteil v. 4.3.1996). Korrekt wäre allenfalls ein zentimeterweises Hineintasten gewesen, durch das Kollisionen vermieden werden können (KG Berlin a.a.O.)"


Einmündung



OLG Hamm, Urteil vom 09.05.2023 - 7 U 17/23 (externer Link):

"Eine Kreuzung ist dabei der Ort, an dem Fahrbahnen verschiedener Straßen, die sich u. U. jenseits fortsetzen, zusammentreffen (vgl. BGH Urt. v. 5.2.1974 - VI ZR 195/72, NJW 1974, 949 = juris Rn. 10). Eine Einmündung ist jedes Zusammentreffen von Straßen mit nur einer Fortsetzung (vgl. BGH Urt. v. 5.2.1974 - VI ZR 195/72, NJW 1974, 949 = juris Rn. 10)."


Einsteigeregeln gelten auch beim Einladen



BGH, URteil vom 06.10.2009, VI ZR 316/08 (externer Link):

"Die Sorgfaltsanforderung des § 14 Abs. 1 StVO erfasst auch Situationen, in denen der Insasse eines Kraftfahrzeugs sich im unmittelbaren Zusammenhang mit einem Ein- oder Aussteigevorgang bei geöffneter Tür in das Kraftfahrzeug beugt, um etwa Gegenstände ein- oder auszuladen oder einem Kind beim Ein- oder Aussteigen zu helfen. Kommt es dabei zur Berührung der geöffneten Fahrzeugtür mit einem in zu geringem Abstand vorbeifahrenden LKW, kann eine hälftige Schadensteilung gerechtfertigt sein. "


Entziehungszinsen ab Schadenereignis



AG Frankfurt am Main, Urteil vom 03.04.2018 - 31 C 3053/17 (83) (externer Link):

"Mit der Beschädigung des Fahrzeugs der Klägerin ist nach dem unbestrittenen Vortrag der Klägerin eine Wertminderung in Höhe von EUR 600,00 eingetreten, sodass dieser Vortrag nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden gilt. Durch die Wertminderung ist eine dauerhafte Entziehung gegeben. Die Zinspflicht beginnt regelmäßig mit dem Schadenereignis und endet mit Beschaffung des Ersatzgutes bzw. der Zahlung der Entschädigung (vgl. BGH, NJW 1965, 392 ; OLG Hamm, OLGR 2009,163). Nach § 246 BGB beträgt die Zinshöhe 4%.

Die Beklagte hat den Wertminderungsbetrag in Höhe von EUR 600,00 mit Zahlungseingang am 22.05.2017 an die Klägerin überwiesen. Für den Zeitraum vom 24.02.2017 (Schadensereignis) bis zum 21.05.2017 (Tag vor Zahlungseingang der geltend gemachten Wertminderung bei der Klägerin) stehen der Klägerin damit grundsätzlich Entziehungszinsen in Höhe von 4% auf den Wertminderungsbetrag von EUR 600,00 zu.

(......)

(...)da sie Verzugszinsen ab dem 18.05.2017 geltend macht und eine zeitgleiche Entstehung von Verzugs- und Entziehungszinsen nicht möglich ist."


Ersatzfahrzeug - Abzug wegen Ersparnis der Nutzung des eigenen Fahrzeugs



AG Fürth, Urteil vom 20.01.2021 - 1 C 372/20 (externer Link):

"Allerdings muss sich die Klägerin eine Eigenersparnis in Höhe von 5 % (89,25 €) anrechnen lassen. Es ist nicht schlüssig dargelegt, dass ein Fahrzeug aus einer niedrigeren Mietklasse angemietet wurde. Aus dem Vortrag der Klägerin geht eher hervor, dass aufgrund der Erforderlichkeit des Transports der Tauchausrüstung ein gleichwertiges Fahrzeug angemietet wurde."


Ersatzwagenkosten können im Notfall auch teurer sein



AG Fürth, Urteil vom 20.01.2021 - 1 C 372/20 (externer Link):

"Der Geschädigte kann vom Schädiger und dessen Haftpflichtversicherer nach § 249 BGB als erforderlichen Herstellungsaufwand grundsätzlich den Ersatz derjenigen Mietwagenkosten verlangen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten durfte. Der Geschädigte ist hierbei nach dem aus dem Grundsatz der Erforderlichkeit hergeleiteten Wirtschaftlichkeitsgebot gehalten, im Rahmen des ihm Zumutbaren von mehreren möglichen Wegen den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung zu wählen. Das bedeutet, dass er von mehreren auf dem örtlich relevanten Markt - nicht nur für Unfallgeschädigte - erhältlichen Tarifen für die Anmietung eines vergleichbaren Ersatzfahrzeugs (innerhalb eines gewissen Rahmens) grundsätzlich nur den günstigeren Mietpreis als zur Herstellung objektiv erforderlich ersetzt verlangen kann (vgl. BGH NJW 16, 2402 Rn 6 m. w. N.).

Nach dem von der Beklagten gehaltenen Vortrag, dem die Klägerin nicht entgegengetreten ist, belief sich der für ein gruppengleiches Mietfahrzeug nach "Fracke" ermittelte "Normaltarif" auf 1.268,15 Euro. Allerdings kann der Geschädigte im Hinblick auf die gebotene subjektbezogene Schadensbetrachtung einen den Normaltarif übersteigenden Betrag dann ersetzt verlangen, wenn ihm unter Berücksichtigung seiner individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie der gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten unter zumutbaren Anstrengungen auf dem in seiner Lage zeitlich und örtlich relevanten Markt kein wesentlich günstigerer Tarif zugänglich war (BGH NJW 05, 1933; NJW 09, 58 Rn 14). Insofern kann sich die Erforderlichkeit eines höheren Tarifs daraus ergeben, dass es dem Geschädigten auf Grund einer besonderen Eilbedürftigkeit in der konkreten Anmietsituation nicht zuzumuten war, sich vor Anmietung nach günstigeren Tarifen zu erkundigen (vgl. BGH NJW 13, 1870 Rn 22). Auf die Frage, ob es sich bei dem in Rechnung gestellten Tarif um einen "Unfallersatztarif" oder einen "Normaltarif" gehandelt hat, kommt es dabei nicht an (BGH NJW 09, 58 Rn 14).

(...)

Vor diesem unstreitig gebliebenen Hintergrund hat das Gericht keine Bedenken, hier eine Not- bzw. Eilsituation anzunehmen, welche die Annahme auch eines überhöhten Tarifs durch die Klägerin rechtfertigt (vgl. BGH NJW 10, 2569 Rn 16; 07, 2122 Rn 19). Hinzu kommt, dass der der Klägerin in Rechnung gestellte Betrag lediglich ca. 40 % über dem von der Beklagten vorgetragenen "Normaltarif" liegt. Die Beklagte selbst hat einen Aufschlag von 20 % akzeptiert. Ein relevantes Kriterium, wonach in der Situation der Klägerin ein Aufschlag von 20 % gerechtfertigt ist, ein Aufschlag von 40 % aber nicht, hat sie nicht genannt. Sie hat auch nicht dargelegt, dass der Klägerin in der konkreten Anmietsituation ein günstigerer Normaltarif "ohne Weiteres" zugänglich gewesen wäre (vgl. BGH NJW 07, 1676 Rn 7; NJW 08, 2910 Rn 26; NJW-RR 10, 679 Rn 10).

Darauf, ob es sich bei dem angemieteten Fahrzeug um einen "Werkstattersatzwagen" oder ein "Selbstfahrervermietfahrzeug" gehandelt hat, kommt es nicht an, da Maßstab für den ersatzfähigen Schaden nicht die Kostenkalkulation des Mietwagenunternehmens, sondern die auf dem örtlich relevanten Markt erhältlichen Tarife (sprich: der Marktpreis) für die Anmietung eines Ersatzfahrzeugs sind (vgl. BGH NJW 16, 2402 Rn 6 m. w. N.). Ob das Mietwagenunternehmen aufgrund seiner spezifischen Kostenstruktur einen höheren oder niedrigeren Gewinn macht als vergleichbare Unternehmen, ist im Verhältnis von Schädiger und Geschädigten eines Verkehrsunfalls unerheblich."


Erschütterung des Anscheinsbeweises



LG Köln, Urteil vom 19.04.2024 - 14 O 65/21 (externer Link):

"Erschüttert ist der Anscheinsbeweis, wenn die ernsthafte (reale) Möglichkeit eines anderen als des erfahrungsgemäßen Geschehensablaufs besteht (BGH NJW 1953, 584; BGH, NJW-RR 1986, 384). Die Tatsachen, aus denen diese ernsthafte Möglichkeit hergeleitet wird, müssen unstreitig oder (voll) bewiesen sein (BGH NJW 1952, 1137; NJW 1953, 584). Zweifel gehen zulasten dessen, gegen den der Anscheinsbeweis streitet. Bei erfolgreicher Erschütterung besteht wieder die beweisrechtliche Normallage (s. dazu BGH NJW 1951, 653; NJW 1952, 1137)."


Ersetzungsbefugnis



BGH, Urteil vom 16.01.2024 - VI ZR 253/22 (externer Link):

"a) Ist wegen Beschädigung einer Sache Schadensersatz zu leisten, so kann der Geschädigte gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen (sogenannte "Ersetzungsbefugnis"). Im Ausgangspunkt ist sein Anspruch auf Befriedigung seines Finanzierungsbedarfs in Form des zur Wiederherstellung objektiv erforderlichen Geldbetrags gerichtet (vgl. nur Senatsurteile vom 26. April 2022 - VI ZR 147/21, NJW 2022, 2840 Rn. 12; vom 17. Dezember 2019 - VI ZR 315/18, NJW 2020, 1001 Rn. 14).

Der Geschädigte ist nach schadensrechtlichen Grundsätzen in der Wahl der Mittel zur Schadensbehebung frei. Er darf zur Schadensbeseitigung grundsätzlich den Weg einschlagen, der aus seiner Sicht seinen Interessen am besten zu entsprechen scheint. Denn Ziel der Schadensrestitution ist es, den Zustand wiederherzustellen, der wirtschaftlich gesehen der hypothetischen Lage ohne das Schadensereignis entspricht (Senatsurteile vom 13. Dezember 2022 - VI ZR 324/21, VersR 2023, 330 Rn. 10; vom 17. Dezember 2019 - VI ZR 315/18, NJW 2020, 1001 Rn. 14).

Der Geschädigte kann jedoch vom Schädiger nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB als erforderlichen Herstellungsaufwand nur die Kosten erstattet verlangen, die vom Standpunkt eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten zur Behebung des Schadens zweckmäßig und notwendig erscheinen. Er ist nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot gehalten, im Rahmen des ihm Zumutbaren den wirtschaftlichsten Weg der Schadensbehebung zu wählen, sofern er die Höhe der für die Schadensbeseitigung aufzuwendenden Kosten beeinflussen kann. Allerdings ist bei der Beurteilung, welcher Herstellungsaufwand erforderlich ist, auch Rücksicht auf die spezielle Situation des Geschädigten, insbesondere auf seine Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie auf die möglicherweise gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten zu nehmen (sog. subjektbezogene Schadensbetrachtung, st. Rspr., vgl. nur Senatsurteile vom 13. Dezember 2022 - VI ZR 324/21, VersR 2023, 330 Rn. 11; vom 17. Dezember 2019 - VI ZR 315/18, NJW 2020, 1001 Rn. 15 mwN).

Darüber hinaus gilt für die Ersetzungsbefugnis des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB das Verbot, sich durch Schadensersatz zu bereichern. Der Geschädigte soll zwar volle Herstellung verlangen können (Totalreparation), aber an dem Schadensfall nicht "verdienen" (st. Rspr., vgl. nur Senatsurteile vom 29. Oktober 2019 - VI ZR 45/19, VersR 2020, 174 Rn. 11; vom 18. Oktober 2011 - VI ZR 17/11, NJW 2012, 50 Rn. 6 mwN). Die dem Geschädigten zur Verfügung zu stellenden Mittel müssen so bemessen sein, dass er, sofern er wirtschaftlich vernünftig verfährt, durch die Ausübung der Ersetzungsbefugnis weder ärmer noch reicher wird, als wenn der Schädiger den Schaden gemäß § 249 Abs. 1 BGB beseitigt (Senatsurteile vom 26. April 2022 - VI ZR 147/21, NJW 2022, 2840 Rn. 12; vom 29. Oktober 1974 - VI ZR 42/73, BGHZ 63, 182, 184, juris Rn. 9)."


Ersetzungsbefugnis



BGH, Urteil vom 16.01.2024 - VI ZR 253/22 (externer Link):

"a) Ist wegen Beschädigung einer Sache Schadensersatz zu leisten, so kann der Geschädigte gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen (sogenannte "Ersetzungsbefugnis"). Im Ausgangspunkt ist sein Anspruch auf Befriedigung seines Finanzierungsbedarfs in Form des zur Wiederherstellung objektiv erforderlichen Geldbetrags gerichtet (vgl. nur Senatsurteile vom 26. April 2022 - VI ZR 147/21, NJW 2022, 2840 Rn. 12; vom 17. Dezember 2019 - VI ZR 315/18, NJW 2020, 1001 Rn. 14)."


Ersetzungsbefugnis - Wirtschaftlichtkeitspostulat und Bereicherungsverbot



BGH, Urteil vom 16.01.2024 - VI ZR 253/22 (externer Link):

"Der Geschädigte kann jedoch vom Schädiger nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB als erforderlichen Herstellungsaufwand nur die Kosten erstattet verlangen, die vom Standpunkt eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten zur Behebung des Schadens zweckmäßig und notwendig erscheinen. Er ist nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot gehalten, im Rahmen des ihm Zumutbaren den wirtschaftlichsten Weg der Schadensbehebung zu wählen, sofern er die Höhe der für die Schadensbeseitigung aufzuwendenden Kosten beeinflussen kann. Allerdings ist bei der Beurteilung, welcher Herstellungsaufwand erforderlich ist, auch Rücksicht auf die spezielle Situation des Geschädigten, insbesondere auf seine Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie auf die möglicherweise gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten zu nehmen (sog. subjektbezogene Schadensbetrachtung, st. Rspr., vgl. nur Senatsurteile vom 13. Dezember 2022 - VI ZR 324/21, VersR 2023, 330 Rn. 11; vom 17. Dezember 2019 - VI ZR 315/18, NJW 2020, 1001 Rn. 15 mwN).

Darüber hinaus gilt für die Ersetzungsbefugnis des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB das Verbot, sich durch Schadensersatz zu bereichern. Der Geschädigte soll zwar volle Herstellung verlangen können (Totalreparation), aber an dem Schadensfall nicht "verdienen" (st. Rspr., vgl. nur Senatsurteile vom 29. Oktober 2019 - VI ZR 45/19, VersR 2020, 174 Rn. 11; vom 18. Oktober 2011 - VI ZR 17/11, NJW 2012, 50 Rn. 6 mwN). Die dem Geschädigten zur Verfügung zu stellenden Mittel müssen so bemessen sein, dass er, sofern er wirtschaftlich vernünftig verfährt, durch die Ausübung der Ersetzungsbefugnis weder ärmer noch reicher wird, als wenn der Schädiger den Schaden gemäß § 249 Abs. 1 BGB beseitigt (Senatsurteile vom 26. April 2022 - VI ZR 147/21, NJW 2022, 2840 Rn. 12; vom 29. Oktober 1974 - VI ZR 42/73, BGHZ 63, 182, 184, juris Rn. 9)."


Freistellung auch bei Abtretung



OLG Hamm, Urteil vom 07.11.2023 - 7 U 131/22 (externer Link):

"Die in dem Gutachtenauftrag vom 04.01.2021 vereinbarte Abtretung (eGA I-61) steht dem nicht entgegen. Davon abgesehen, dass die formularmäßig und damit als AGB zu wertende Abtretungsvereinbarung wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot aus § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB unwirksam sein dürfte (vgl. BGH Urt. v. 7.2.2023 - VI ZR 137/22, Rn. 35, juris, unter Verweis auf BGH Urt. v. 18.2.2020 - VI ZR 135/19, NJW 2020, 1888, Rn. 10), steht selbst eine wirksame Abtretung des auf die Sachverständigenkosten entfallenden Schadensersatzanspruchs dem Freistellungsanspruch nicht entgegen. Denn verlangt der Geschädigte vom Schädiger - wie hier - die Freistellung von der Honorarforderung des von ihm beauftragten Sachverständigen, richtet sich sein Anspruch grundsätzlich danach, ob und in welcher Höhe er mit der Verbindlichkeit, die er gegenüber dem Sachverständigen eingegangen ist, beschwert ist (vgl. BGH Urt. v. 13.12.2022 - VI ZR 324/21, Rn. 12, juris, unter Verweis auf BGH Urt. v. 6.11.1973 - VI ZR 27/73, BGHZ 61, 346, 347, juris Rn. 5). Insoweit ist der zwischen dem Geschädigten und dem Sachverständigen geschlossene Werkvertrag maßgeblich, der den Geschädigten - auch unabhängig von einer Inanspruchnahme des Schädigers - dazu verpflichtet, dem Sachverständigen gegenüber das Honorar zu begleichen. Von dieser Verbindlichkeit ist der Geschädigte vom Schädiger freizustellen. Denn der Geschädigte, der in Wahrnehmung seiner Ersetzungsbefugnis (§ 249 Abs. 2 Satz 1 BGB) berechtigter Weise ein Schadensgutachten bei einem Sachverständigen in Auftrag gibt, muss vom Schädiger die Freistellung von der ihm hieraus gegenüber dem Sachverständigen entstehenden Verbindlichkeit verlangen können (BGH Urt. v. 13.12.2022 - VI ZR 324/21, Rn. 12, juris) und zwar unabhängig von einer etwaigen sicherungsweisen Abtretung des Schadensersatzanspruchs."


Frustrationsschaden im Deliktsrecht nicht erstattungsfähig



AG Fürth, Urteil vom 20.01.2021 - 1 C 372/20 (externer Link):

"Der Klägerin steht gegen die Beklagte aufgrund des streitgegenständlichen Verkehrsunfalls kein Anspruch auf Ersatz der verauslagten Tauchkosten zu. Durch den Unfall sind nicht die Tauchgänge selbst entfallen, sondern lediglich die Möglichkeit von deren Wahrnehmung durch die Klägerin und deren Sohn. Diese wurden somit lediglich in ihrer Dispositionsfreiheit beeinträchtigt. Hierin ist jedoch kein Vermögensschaden zu sehen, sondern ein immaterieller Schaden, der jedoch nicht Gegenstand des Rechtsstreits ist. Darüber hinaus ist der Klägerin nicht die Verfügungsmöglichkeit über die Tauchgänge verloren gegangen. Es stand ihr frei, diese - sei es entgeltlich, sei es unentgeltlich - an Dritte weiterzugeben.

Auch soweit durch die unterbliebene Wahrnehmung der Tauchgänge die dafür getätigten Aufwendungen nutzlos geworden sind, sind diese nicht als Schaden erstattungsfähig. Der Unfall hat nämlich nichts an der Vermögenslage der Klägerin geändert, weil die Kosten bereits zuvor verauslagt worden waren. Entfallen ist lediglich die Möglichkeit der Wahrnehmung der Gegenleistung. Ließe man dies jedoch zur Schadensbegründung ausreichen, würde dies zu einer unübersehbaren Ausdehnung der Ersatzpflicht führen. Der Ersatz von "Vertrauensschäden" ist im Deliktsrecht nicht vorgesehen. Die Erwartung, die Gegenleistung für sämtliche getätigten Aufwendungen realisieren zu können, ist nicht geschützt (vgl. BGH NJW 71, 796 - Jagdpacht; NJW 87, 831; OLG Hamm NJW 98, 2292; Palandt/Grüneberg, BGB, § 249 Rn 61)."


Gutachterkosten sind nach Haftungsquote zu erstatten



BGH, Urteil vom 07.02.2012 - VI ZR 133/11 (externer Link):

"Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts dient die Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht allein dem Nachweis des vom Schädiger zu tragenden Schadensanteils. Sie liegt auch im eigenen Interesse des Geschädigten, weil das Gutachten ihm Gewissheit über das Ausmaß des Schadens und die von ihm zu tragenden Kosten verschafft. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den Grundsätzen zur Erstattungsfähigkeit vorgerichtlicher Anwaltskosten, denn bei dieser Schadensposition handelt es sich um eine Nebenforderung, deren Höhe sich erst bestimmen lässt, wenn die Hauptforderung konkretisiert ist. Das trifft 14 auf Sachverständigenkosten nicht zu, denn diese sind, wie oben ausgeführt, dem Sachschaden zuzurechnen und damit auch Bestandteil der Hauptforderung (vgl. Senatsurteil vom 23. Januar 2007 - VI ZR 67/06, aaO Rn. 10 ff.; OLG Düsseldorf, aaO). Zudem hängt ihre Höhe nicht in gesetzlich bestimmter Weise vom Umfang des übrigen Schadens ab. Während bei den Anwaltskosten eine Berücksichtigung der Mitverantwortung des Geschädigten nicht durch eine Quotelung der Kosten, sondern durch eine Quotelung des Streitwerts erfolgt, der nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz die Höhe der Rechtsanwaltsgebühren bestimmt, kennt das für den Ersatz von Sachverständigenkosten maßgebende Schadensersatzrecht eine solche Differenzierungsmöglichkeit nicht. Hier kann die Mitverantwortung des Geschädigten für die Schadensentstehung nicht anders als durch eine Quotelung dieser Kosten Berücksichtigung finden (OLG Düsseldorf, aaO). Einer solchen Quotelung steht auch die sogenannte Differenzhypothese nicht entgegen, wonach die Frage, ob ein zu ersetzender Vermögensschaden vorliegt, grundsätzlich durch einen Vergleich der infolge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen Vermögenslage mit derjenigen, die sich ohne dieses Ereignis ergeben hätte, zu beurteilen ist (vgl. Senatsurteile vom 18. Januar 2011 - VI ZR 325/09, BGHZ 188, 78 Rn. 8 und vom 15. November 2011 - VI ZR 4/11, z.V.b., jeweils mwN), denn diese Grundsätze betreffen allein die Frage der Schadenshöhe, nicht die Frage der Haftungsverteilung (OLG Düsseldorf, aaO; a.A.: AG Siegburg, aaO; Poppe DAR 2005, 669). Im Falle einer nur quotenmäßigen Haftung des Schädigers hat dieser dem Geschädigten dessen Sachverständigenkosten mithin im Umfang der Haftungsquote zu erstatten (vgl. auch OLG Hamm DAR 2012, 20; OLG München, Urteil vom 27. Mai 2010 - 10 U 3379/09, juris Rn. 24 f.; OLG Hamm, NJW-RR 2011, 464, 465)."


Gutachterkosten sind Schaden eines Unfallbeteiligten



BGH, Urteil vom 07.02.2012 - VI ZR 133/11 (externer Link):

"(1) Wird ein Fahrzeug bei einem Verkehrsunfall beschädigt, hat der Schädiger dem Geschädigten nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB den zur Wiederherstellung der beschädigten Sache erforderlichen Geldbetrag zu zahlen. Soweit zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs eine Begutachtung durch einen Sachverständigen erforderlich und zweckmäßig ist, gehören die Kosten eines vom Geschädigten eingeholten Schadensgutachtens zu den mit dem Schaden unmittelbar verbundenen und gemäß § 249 Abs. 1 BGB auszugleichenden Vermögensnachteilen (vgl. Senatsurteile vom 30. November 2004 - VI ZR 365/03, VersR 2005, 380 und vom 23. Januar 2007 - VI ZR 67/06, VersR 2007, 560 Rn. 11; BGH, Urteil vom 29. November 1988 - X ZR 112/87, NJW-RR 1989, 953, 956). Ebenso können diese Kosten zu dem nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB erforderlichen Herstellungsaufwand gehören, wenn eine vorherige Begutachtung zur tatsächlichen Durchführung der Wiederherstellung erforderlich und zweckmäßig ist (vgl. Senatsurteile vom 6. November 1973 - VI ZR 27/73, VersR 1974, 90, insoweit in BGHZ 61, 346 nicht abgedruckt; vom 12 29. Januar 1985 - VI ZR 59/84, VersR 1985, 441, 442; vom 30. November 2004 - VI ZR 365/03, aaO und vom 23. Januar 2007 - VI ZR 67/06, VersR 2007, 560 Rn. 11; Wortmann, VersR 1998, 1204, 1210 f.). Unter beiden Gesichtspunkten sind diese Kosten grundsätzlich in vollem Umfang erstattungsfähig."


Haftung eines verkehrsstörend geparkten Fahrzeugs



LG Kassel, Urteil vom 08.03.2013 - 5 O 118/12 (externer Link):

"Der bei der Beklagten zu 3) haftpflichtversicherte Mercedes Sprinter hat durch das Parken den Unfall des Klägers zurechenbar schuldhaft verursacht. Es liegt ein Parken außerhalb der vorgesehenen Parkplatzmarkierungen vor und damit ein Verstoß gegen § 12 Abs. 3 Nr. 3 StVO. Auch verdeckte dieses Fahrzeug die Sicht des Klägers und der Beklagten zu 1). Wird in diesem Schutzbereich sichtbehindernd geparkt, kommt eine Mithaftung des verbotswidrig Parkenden in Betracht (etwa LG Mönchengladbach BeckRS 2010, 07182). Die Rechtsprechung hat in ähnlichen Fällen Quoten anerkannt von 20 % (LG Duisburg, Urt. v. 24.03.1994, 5 S8/94 – juris) bis 40 % (OLG Karlsruhe, Urt. v. 04.12.1991, 1 U 156/91 – juris). Die von Klägerseite eingeforderten 100% sind, soweit ersichtlich, noch nie ausgeurteilt worden – sie werden es auch hier nicht.

Denn das Gericht hält im vorliegenden Fall eine Mithaftung von 1/3 für gerechtfertigt (ähnlich LG Mainz, Urt. v. 21.02.1995, 3 S 113/94 – juris).

So ist der Sachverständige in seinem Gutachten überzeugend zu dem Ergebnis gelangt, dass sich die späte Erkennbarkeit der Parteien zueinander durch das Fahrzeug des Beklagten zu 3) ergibt. Hätte dies dort nicht gestanden, wäre der Unfall für beide Parteien problemlos vermeidbar gewesen (S. 14 d.GA)."


Haftung nach StVO trotz Privilegierung nach § 839 BGB



BGH, Urteil vom 12.12.2023 - VI ZR 77/23 (externer Link):

"1. Der Klägerin steht gegen den Beklagten zu 2 als Halter des Müllabfuhrfahrzeugs ein Anspruch aus § 7 StVG zu. Dieser steht selbständig neben einem etwaigen Anspruch gegen den Beklagten zu 2 als öffentlich-rechtliche Körperschaft aus Art. 34 GG, § 839 BGB. Auf eine subsidiäre Haftung gemäß § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB kann sich der Beklagte zu 2 im Rahmen seiner Halterhaftung aus § 7 StVG nicht berufen (BGH, Urteile vom 27. Juni 1968 - III ZR 63/65, BGHZ 50, 271, 273 f., juris Rn. 8, 10; vom 27. Januar 1977 - III ZR 173/74, BGHZ 68, 217, 221, juris Rn. 21, 31 (Rn. 31 in BGHZ nicht abgedruckt); vom 13. Dezember 1990 - III ZR 14/90, BGHZ 113, 164, 165, juris Rn. 5)."


Haftungsabwägung - Betriebsgefahr des verboten abgestellten Kfz kann zurücktreten, wenn Anstoß für den anderen unproblematisch vermeidbar



LG München I, Urteil vom 26.05.2009 - 17 O 1695/09 (externer Link):

"Bei der Abwägung der Verursachungsbeiträge trat der Sorgfaltspflichtverstoß der Klägerin hinter dem Sorgfaltspflichtverstoß des Fahrers der Beklagtenpartei zurück.

Die Straße war nämlich so breit, dass ein so enges Anfahren an die Fahrzeugseite des klägerischen Fahrzeugs, wie es die Beklagtenpartei vorgetragen hat, nicht erforderlich gewesen wäre. Weiterhin haben dies auch die anwesenden Zeugen T. und K. so gesehen. Vielmehr ist der Müllwagen aus schlichter Unachtsamkeit dicht an den Wagen der Klagepartei herangefahren und hat diesen dann schließlich beim Anfahren gestreift.

Die Berechnungen des Sachverständigen haben ergeben, dass auch bei einem Parken mit einem unterstellten Seitenabstand von 50 cm noch ausreichend Platz gewesen wäre, um den Müllwagen zu beladen und zugleich Fahrzeuge passieren zu lassen. Der Sachverständige Dipl.-Ing. L. hat dies überzeugend ausgeführt und mit den überreichten Skizzen verdeutlicht. Danach war es zweifellos so, dass die Durchfahrt mit einem weiteren LKW möglich gewesen wäre, hätte der Fahrer der Beklagtenpartei einen ordnungsgemäßen Seitenabstand zu dem Wagen der Klägerin gehalten. Dass die Passage insoweit eng gewesen wäre, ist regelmäßig bei der Kreuzung zweier Lastkraftwagen auf einer innerorts beidseitig beparkten Straße hinzunehmen."


Haftungsabwägung - Schutzzweck der Norm (zugunsten des Unfallgegners?) prüfen



LG Tübingen, Urteil vom 10.12.2013 - 5 O 80/13 (externer Link):

"Zwar schützt das Überholverbot nicht regelwidrig einbiegende Fahrzeuge, so dass kein primärer Überholverstoß dem schuldhaften Handeln der Beklagten gegenüberzustellen ist, jedoch der Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot."


Haftungsabwägung bei Unfall zwischen Kfz und Fußgänger



BGH, Urteil vom 04.04.2023 - VI ZR 11/21 (externer Link):

"Da der Kläger bei dem Betrieb des vom Beklagten zu 1 geführten und bei der Beklagten zu 2 haftpflichtversicherten Kraftfahrzeuges verletzt wurde, haben die Beklagten zwar auch ohne den Beweis eines Verschuldens des Beklagten zu 1 grundsätzlich aufgrund der Betriebsgefahr des Fahrzeuges für den unfallbedingten materiellen und immateriellen Schaden gemäß § 7 Abs. 1, § 18 Abs. 1, § 11 StVG, § 115 Abs. 1 VVG einzustehen, weil sie den Beweis der Verursachung durch höhere Gewalt gemäß § 7 Abs. 2 StVG nicht führen können. Da der Kläger weder Halter noch Führer eines beteiligten Fahrzeuges war, kommt eine Anspruchskürzung nach den §§ 17, 18 StVG nicht in Betracht. Die Beklagte zu 2 und der Beklagte zu 1 (letzterer vorbehaltlich einer Entlastung nach § 18 Abs. 1 Satz 2 StVG; Feststellungen zur Haltereigenschaft des Beklagten zu 1 haben die Instanzgerichte nicht getroffen) haften dem Kläger grundsätzlich als Gesamtschuldner in vollem Umfang. Die Haftung kann jedoch im Rahmen der - im Revisionsverfahren nur eingeschränkt überprüfbaren (vgl. dazu etwa Senatsurteil vom 13. Dezember 2016 - VI ZR 32/16, VersR 2017, 374 Rn. 8 mwN) - Abwägung nach § 9 StVG, § 254 Abs. 1 BGB entfallen, wenn die im Vordergrund stehende Schadensursache ein grob verkehrswidriges Verhalten des Geschädigten darstellt (st. Rspr., vgl. Senatsurteile vom 24. September 2013 - VI ZR 255/12, VersR 2014, 80 Rn. 7; vom 13. Februar 1990 - VI ZR 128/89, VersR 1990, 535, 536, juris Rn. 20; vom 18. März 1969 - VI ZR 242/67, VersR 1969, 571, 572, juris Rn. 16; vom 12. Oktober 1965 - VI ZR 81/64, VersR 1966, 39; vom 21. Dezember 1955 - VI ZR 63/55, VersR 1956, 238 f.). Für diese Abwägung ist von Bedeutung, ob den Beklagten zu 1 ein Schuldvorwurf hinsichtlich der Verursachung des Unfalls trifft."


Haftungsabwägung nur aufgrund unstreitiger, zugestandener oder Bewiesener Tatsachen



BGH, Urteil vom 12.12.2023 - VI ZR 77/23 (externer Link):

"Die Entscheidung über eine Haftungsverteilung im Rahmen des § 17 Abs. 2 StVG ist grundsätzlich Sache des Tatrichters und im Revisionsverfahren nur darauf zu überprüfen, ob der Tatrichter alle in Betracht kommenden Umstände vollständig und richtig berücksichtigt und der Abwägung rechtlich zulässige Erwägungen zugrunde gelegt hat. Die Abwägung ist aufgrund aller festgestellten, d. h. unstreitigen, zugestandenen oder nach § 286 ZPO bewiesenen Umstände des Einzelfalls vorzunehmen, wenn sie sich auf den Unfall ausgewirkt haben. In erster Linie ist hierbei das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben; ein Faktor bei der Abwägung ist dabei das beiderseitige Verschulden (st. Rspr., vgl. nur Senatsurteil vom 17. Januar 2023 - VI ZR 203/22, NJW 2023, 1361 Rn. 29 mwN)."


Haftungsabwägung nur bei unmittelbarer Kausalität



LG Köln, Urteil vom 19.04.2024 - 14 O 65/21 (externer Link):

"Soweit der Kläger selbst ein Überholen unmittelbar nach dem Kreisverkehr schildert, so mag dieses Verhalten unvernünftig und nicht nachvollziehbar sein. Nach den obigen Ausführungen war sein Überholvorgang aber bereits abgeschlossen. Selbst wenn dieser seinerseits einen Verstoß gegen § 5 StVO dargestellt haben soll, was hier offen bleiben kann, war dieser für den Sturz nicht unmittelbar kausal. Vielmehr ist letztes Glied der Kausalkette das verbotswidrige Überholen des Beklagten zu 1) und nur dieses ist bei der hier vorgenommenen Quotierung zu beachten. Anderenfalls hätte im Wege einer Gesamtbetrachtung auch noch ein etwaiger Verkehrsverstoß des Beklagten zu 1) im Kreisverkehr aufgeklärt werden müssen, was ersichtlich nicht zweckmäßig ist."


Haftungsabwägung nur bzgl. unfallkausaler Punkte



BGH, Urteil vom 10.10.2023 - VI ZR 287/22 (externer Link):

"1. Die Entscheidung über eine Haftungsverteilung im Rahmen des § 254 BGB oder des § 17 StVG ist grundsätzlich Sache des Tatrichters und im Revisionsverfahren nur darauf zu überprüfen, ob der Tatrichter alle in Betracht kommenden Umstände vollständig und richtig berücksichtigt und der Abwägung rechtlich zulässige Erwägungen zugrunde gelegt hat. Die Abwägung ist aufgrund aller festgestellten, d.h. unstreitigen, zugestandenen oder nach § 286 ZPO bewiesenen Umstände des Einzelfalls vorzunehmen, wenn sie sich auf den Unfall ausgewirkt haben; in erster Linie ist hierbei das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben; ein Faktor bei der Abwägung ist dabei das beiderseitige Verschulden (vgl. Senatsurteile vom 17. Januar 2023 - VI ZR 203/22, NJW 2023, 1361 Rn. 29; vom 8. März 2022 - VI ZR 1308/20, NJW 2022, 1810 Rn. 8 mwN)."


Haftungsabwägung zwischen Einbieger und Überholer



LG Tübingen, Urteil vom 10.12.2013 - 5 O 80/13 (externer Link):

"Eine Abwägung der beiderseitigen Verschuldensbeiträge und der Betriebsgefahren lässt eine Haftungsverteilung von S zu T zu Lasten der Beklagten als angemessen erscheinen, da der Verstoß gegen § 10 StVO (mit der Pflicht zum Gefährdungsausschluss) den Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot und die Betriebsgefahr deutlich überwiegt (vgl. KG Berlin, 12 U 1032/95, Urteil v. 4.3.1996; OLG Hamm 9 U 191/13 und OLG Hamm, 9 U 12/13, Urteil vom 23.4.2013).

Auch das Oberlandesgericht Rostock hat, obwohl es den Verstoß gegen § 10 StVO absolut gesetzt und die These aufstellt hat, der die Kolonne regelwidrig überholende müsse nicht mit Querverkehr durch eine Lücke rechnen, ausdrücklich eine Einschränkung für Fälle des verbotenen Linksüberholens einer Kolonne angenommen (OLG Rostock, 5 U 124/09, Urteil vom 19.2.2010). Vorliegend hat die Klägerin ohne Rücksichtnahme regelwidrig die Kolonne überholt. Die Unzulässigkeit des Überholens stehender Kolonnen ergibt sich stets bereits aus dieser Situation heraus, da die Verkehrslage insoweit unklar ist, als überhaupt nicht vorhersehbar oder abschätzbar ist, wann und wo ein Wiedereinscheren in die Kolonne möglich ist. Ein etwaiges Weiterfahren auf der Mittellinie zwischen Gegenverkehr und Kolonne wäre im Übrigen ebenso regelwidrig, da entweder - links von der Linie - der Gegenverkehr gefährdet würde oder - knapp rechts von der Linie - der gebotene Seitenabstand auf der einen Richtungsspur nicht eingehalten werden kann (vgl. auch KG Berlin, 12 U 1032/95, Urteil vom 4.3.1996, das ausdrücklich klarstellt, dass auch Motorradfahrer zum Überholen einen ganzen freien Fahrstreifen benötigen)."


Haftungsabwägung: Unfallverursachung vs. Knie in Rückenlehne wg. Verletzung der Gurtpflicht durch Mitfahrer



OLG Köln, Urteil vom 27.08.2024 - 3 U 81/23 (externer Link):

"Ein Ausgleichsanspruch der Klägerin gegen die Beklagte besteht vorliegend jedoch nicht, weil bei der gebotenen Abwägung nach §§ 840 Abs. 1, 426 BGB i.V.m. § 254 Abs. 1 BGB der Verursachungs- und Verschuldensbeitrag der Beklagten vollständig hinter denjenigen des Versicherungsnehmers der Klägerin zurücktritt.

Bei dieser Abwägung kommt es - entgegen der Ansicht der Beklagten - auf die Dauer der Verletzung der Anschnallpflicht als geeignetes Kriterium für die Abgrenzung des Verschuldensgrades nicht an. Denn die Anschnallpflicht besteht auch bei kurzzeitigem verkehrsbedingtem Halten, da dies den Vorgang der Fahrt nicht unterbricht (BGH, Urt. v. 12.12.2000, VI ZR 411/99, Rn. 9 ff., juris; OLG Celle NZV 2006, 164; Hühnermann in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, a.a.O., § 21 a, Rn. 3).

Letztlich kommt es aber auch schon aus grundsätzlichen Erwägungen nicht maßgeblich darauf an, wie hoch der Verschuldensgrad der Beklagten beim Verstoß gegen die Anschnallpflicht war.

Denn maßgeblich ist bei der Abwägung insoweit in erster Linie das Maß der Verursachung, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben; das beiderseitige Verschulden ist nur ein Faktor der Abwägung (BGH, Urt. v. 06.12.2022, VI ZR 284/19, Rn. 23; BGH, Urt. v. 18.11.2014, KZR 15/12, Rn. 40, juris; BGH, Urt. v. 13.12.2005 VI ZR 68/04, Rn. 16, juris; BGH, Urt. v. 20.01.1998, VI ZR 59/97, juris). Während es in Fällen des Mitverschuldens des Geschädigten für die Haftungsverteilung entscheidend darauf ankommt, ob das Verhalten des Schädigers oder das des Geschädigten den Eintritt des Schadens in wesentlich höherem Maße wahrscheinlich gemacht hat (BGH, Urt. v. 04.11.2008, VI ZR 171/07, Rn. 15, juris; BGH, Urt. v. 20.01.1998 - VI ZR 59/97, juris Rn. 8), ist bei der Haftungsverteilung zwischen mehreren Schädigern im Innenverhältnis zu fragen, ob das Verhalten des einen oder des anderen Schädigers den Eintritt des Schadens wahrscheinlicher gemacht hat. Die vorzunehmende Abwägung kann zu einer Quotelung, aber auch zur alleinigen Belastung eines Ersatzpflichtigen führen (BGH, Urt. v. 10.07.2014, III ZR 441/13, Rn. 21, juris).

Den maßgeblichen und damit hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit bedeutenderen Verursachungsbeitrag für die konkret hier in Rede stehende Wirbelsäulenverletzung hat der Versicherungsnehmer der Klägerin gesetzt, in dem er in schwerster Weise gegen die StVO verstoßen hat (erheblicher Geschwindigkeitsverstoß und hoch alkoholisiert) und dadurch in den Gegenverkehr geraten ist. Er hat dabei maßgeblich die Gesundheit der Geschädigten verletzt, wobei unstreitig - bis auf die Wirbelsäulenverletzung - alle anderen erheblichen Verletzungen der Geschädigten kausal allein auf das Verhalten des Versicherungsnehmers der Klägerin zurückzuführen sind.

Stellt man auf den Grad der Wahrscheinlichkeit des eingetretenen Schadens ab, so ist es angesichts dieses objektiv erheblichen Verkehrsverstoßes bei hoher Kollisionsgeschwindigkeit deutlich wahrscheinlicher, dass die Geschädigte im Bauch- und Rückenbereich Verletzungen erleidet, für die der Versicherungsnehmer - ggf. auch durch Hinzutreten weiterer kausaler Umstände - haftet. Demgegenüber war es - bei isolierter Betrachtung - wesentlich unwahrscheinlicher, dass bedingt durch den fehlenden Gurt der Beklagten eine Wirbelsäulenverletzung kausal verursacht wird.

Zur Begründung dieser Wahrscheinlichkeitswertung nimmt der Senat auf die bisher entschiedenen Fälle der Haftung des Anschnallpflichtigen im Rahmen der Berücksichtigung des eigenen Mitverschuldens Bezug.

Fälle im Zusammenhang mit dem Verstoß gegen die Gurtanlegepflicht durch den Geschädigten sind - bei Identität von Geschädigtem und Anschnallpflichtigem - vielfach Gegenstand rechtlicher Auseinandersetzungen gewesen (vgl. Rechtsprechungsübersicht bei Greger in: Greger/Zwickel, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 6. Auflage 2021, § 25, Rn. 25.84). Die stets von den konkreten Umständen des Einzelfalls abhängende Bemessung der Haftungsquote des Unfallgegners einerseits und des gurtpflichtigen Geschädigten andererseits reicht dabei bis zu einem 100 %igen Mitverschulden des Gurtpflichtigen bezogen auf die konkret durch den Gurtpflichtverstoß verursachten Verletzungen (BGH, Urt. v. 30.09.1980, VI ZR 213/79, Rn. 18, juris; Greger in: Greger/Zwickel, a.a.O.). Haftet der Unfallverursacher nur aufgrund von § 7 Abs. 1 StVG, kann der Verstoß gegen die Anschnallpflicht bis zu einer auf die Körperschäden und deren Folgen bezogenen Mithaftungsquote von 50%, unter Umständen auch darüber hinaus führen (BGH, a.a.O.). In Ausnahmefällen kann der durch die Verletzung der Anschnallpflicht begründete Beitrag gänzlich zurücktreten.

Dies hat der BGH in einem Fall so gesehen, in dem der stark alkoholisierte Unfallgegner (1,83 Promille) mit seinem Fahrzeug mit hoher Geschwindigkeit zunächst rechts gegen den Bordstein, sodann in die Gegenfahrbahn geriet und hier frontal mit dem Pkw des nicht angeschnallten Geschädigten zusammenstieß (BGH, Urt. v. 20.01.1998, VI ZR 59/97, juris). Ebenso hat das OLG Karlsruhe einen solchen Ausnahmefall angenommen, wenn der Unfallgegner in einer Rechtskurve auf regennasser Fahrbahn die innerorts zulässige Höchstgeschwindigkeit um ca. 80 km/h überschreitet, dadurch die Kontrolle über sein Fahrzeug verliert, auf die Gegenfahrbahn gerät und dort in voller Fahrt mit einem ordnungsgemäß entgegenkommenden Fahrzeug frontal zusammenstößt (OLG Karlsruhe, Urt. v. 06.11.2009, 14 U 42/08, juris).

Ein solcher - vergleichbarer - Ausnahmefall liegt auch hier vor mit der Folge, dass ein etwaiger, durch den Verstoß gegen die Anschnallpflicht der Beklagten begründeter Verursachungsbeitrag gegenüber dem außerordentlich schwerwiegenden Unfallbeitrag des Versicherungsnehmers der Klägerin zurücktritt. Die in der zitierten Rechtsprechung getroffenen Wertungen, die den Mitverschuldensanteil des Geschädigten zurücktreten lassen, sind auch im vorliegenden Fall anwendbar, in dem die gurtanlegepflichtige und die geschädigte Person auseinanderfallen.

Sie gelten insbesondere für eine Wahrscheinlichkeitsbetrachtung hinsichtlich der jeweiligen Schadensverursachung.

Denn vergleichbar den oben genannten Konstellationen hat der Versicherungsnehmer der Klägerin hier die an der Unfallstelle zulässige Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h um mehr als 100% überschritten und befand sich weit über der Grenze zur absoluten Fahruntüchtigkeit (1,7 Promille). Mit dieser objektiv gefährlichen Fahrweise hat der Versicherungsnehmer der Klägerin eine ungewöhnlich hohe Gefahr für schwerwiegende Unfälle begründet. In der von ihm geschaffenen Situation hat sich diese Gefahr verwirklicht, in der sich der Gurtverstoß der Beklagten - hier unterstellt - schadensbegründend (mit) ausgewirkt hat. Sein überaus gefährliches Verhalten hat das Risiko für den Eintritt eines schweren Unfalls und in der Folge auch für die Rückenverletzungen der Geschädigten erst maßgeblich begründet. Demgegenüber tritt der objektive Verursachungsbeitrag der Beklagten, der in einem bloßen Unterlassen der Erfüllung der Anschnallpflicht lag, vollständig zurück.

Es mag zwar Fälle geben, in denen dem Gurtverstoß ein eigener maßgeblicher Mitverursachungsanteil beizumessen ist. Dies mag etwa dann in Betracht kommen, wenn der Insasse aufgrund des fehlenden Gurts bei an sich nicht rechtswidrigen und ungefährlichen Fahrmanövern auf einen anderen Fond-Insassen fällt und diesen verletzt. Mit einer derartigen Konstellation ist der vorliegende Sachverhalt nicht im Ansatz vergleichbar.

Die Gefährlichkeit des Unterlassens der Beklagten wirkte sich hier erst aufgrund der enormen Wucht des Aufpralls des bei der Klägerin versicherten Fahrzeugs auf das gegnerische Fahrzeug in gravierender Weise aus.

Ergänzend kommt hinzu, dass auch das Maß des Verschuldens des Unfallverursachers aufgrund dessen äußerst rücksichtsloser Fahrweise dasjenige der Beklagten klar überwiegt. Der Unfallverursacher hat nicht nur gegen die Vorschriften der §§ 2 Abs. 1, 3 Abs. 1, 41 Abs. 1 in Verbindung mit Zeichen 274 der Anlage 2 StVO verstoßen, sondern auch den Straftatbestand des § 315c Abs. 1 StGB verwirklicht. Demgegenüber wiegt das Verschulden der Beklagten hier nicht schwer."


Haftungsanteil bei zu geringem Seitenabstand



LG Karlsruhe, Urteil vom 01.09.2006 - 3 O 390/05 (externer Link):

"Das Gericht verkennt dabei nicht, dass grundsätzlich bei der Einhaltung eines zu geringen Seitenabstandes seitens des Vorbeifahrenden bei Anhaltspunkten dafür, dass mit einem - auch nur weiteren Öffnen - der Tür gerechnet werden muss, regelmäßig von einer höheren Mithaftung des Vorbeifahrenden auszugehen ist (OLG Hamm, a. a. O.; KG Berlin, DAR 2006, 149; AG Langenfeld, Schaden-Praxis 2000, 409, 410, OLG Hamm 1992, 181, 182; KG Berlin, DAR 2005, 217; vergl. auch OLG Rostock, Schaden-Praxis 1998, 455, 456). Vorliegend ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Zeugin D. - wie oben ausgeführt - in der konkreten Situation keinen zu geringen Seitenabstand schuldhaft eingehalten hat und deshalb lediglich die Betriebsgefahr auf Seiten des Klägers in Ansatz zu bringen ist. Das Gericht schließt sich unter Berücksichtigung der o. g. Umstände der vom Amtsgericht P. vorgenommenen und in der Berufungsinstanz vom Landgericht Karlsruhe - Az. 9 S 608/05 - bestätigten Haftungsverteilung an, auch wenn in diesen Entscheidungen die Frage eines zu geringen Seitenabstandes seitens der Zeugin nicht näher erörtert wurde."


Haftungsteilung bei Kollision zwischen vorbeifahrendem PKW und die Straße betretenden Müllmann



LG Münster, Urteil vom 26.04.2002 - 16 O 83/02 (externer Link):

"Im Rahmen der gemäss § 254 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Abwägung der Mitverursachungs- und Verschuldensbeiträge hielt das Gericht eine jeweils gleich hohe Haftung der Parteien für angemessen. Auf Seiten der Beklagten war zu berücksichtigen, dass den Zeugen U. ein erhebliches, der Beklagten zuzurechnendes Verschulden trifft, weil er, ohne auf den Verkehr zu achten, versuchte, die Strasse zu überqueren. Auf der Seite des Klägers ist neben der Betriebsgefahr des Pkw in Ansatz zu bringen, dass er schuldhaft gegen §§ 1 Abs. 2, 3 Abs. 1 StVO verstieß, indem er die gebotene Schrittgeschwindigkeit erheblich überschritten und dadurch eine für ihn erkennbare Gefährdungslage herbeigeführt hat. Er musste damit rechnen, dass U. aus den oben ausgeführten Gründen nicht ausreichend auf den nachfolgenden Verkehr achtete."


Haftungsverteilung ist Sache des Tatrichters



BGH, Urteil vom 07.02.2012 - VI ZR 133/11 (externer Link):

"Die Entscheidung über eine Haftungsverteilung im Rahmen des § 254 BGB oder des § 17 StVG ist zwar grundsätzlich Sache des Tatrichters und im Revisionsverfahren nur darauf zu überprüfen, ob der Tatrichter alle in Betracht kommenden Umstände vollständig und richtig berücksichtigt und der Abwägung rechtlich zulässige Erwägungen zugrunde gelegt hat (vgl. Senatsurteile vom 13. Dezember 2005 - VI ZR 68/04, VersR 2006, 369 Rn. 16; vom 16. Oktober 2007 - VI ZR 173/06, VersR 2008, 126 Rn. 16; vom 17. November 2009 - VI ZR 58/08, VersR 2010, 270 Rn. 11 und vom 1. Dezember 2009 - VI ZR 221/08, aaO Rn. 13, jeweils mwN; BGH, Urteile vom 20. Juli 1999 - X ZR 139/96, NJW 2000, 217, 219 und vom 14. September 1999 - X ZR 89/97, NJW 2000, 280, 281 f.). Die Abwägung ist aufgrund aller festgestellten, d. h. unstreitigen, zugestandenen oder nach § 286 ZPO bewiesenen (vgl. Senatsurteil vom 26. April 2005 - VI ZR 228/03, VersR 2005, 954, 956) Umstände des Einzelfalls vorzunehmen, wenn sie sich auf den Unfall ausgewirkt haben; in erster Linie ist hierbei das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben (Senatsurteil vom 20. September 2011 - VI ZR 282/10, VersR 2011, 1540 Rn. 14 mwN); das beiderseitige Verschulden ist nur ein Faktor der Abwägung."


höhere Gewalt (keine) beim Fahren gegen öffnende Tür



LG Karlsruhe, Urteil vom 01.09.2006 - 3 O 390/05 (externer Link):

"1. Der Unfall ist allerdings für keine der Parteien durch höhere Gewalt im Sinne des § 7 Abs. 2 StVG verursacht, so dass die Ersatzpflicht der einen oder anderen Seite nicht von vornherein ausgeschlossen ist. Das Kraftfahrzeug des Beklagten Ziff. 1 befand sich im Betrieb im Sinne von § 7 Abs. 1 StVG, denn der Schaden an dem PKW des Klägers ist durch die dem KFZ-Betrieb typisch innewohnende Gefährlichkeit adäquat verursacht worden, die von dem Fahrzeug ausgehenden Gefahren haben sich bei seiner Entstehung ausgewirkt (vgl. Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. Aufl., § 7 StVG Rn. 4/ 8)."


höhere Wertminderung bei Luxusfahrzeug möglich



LG Köln, Urteil vom 05.02.2024 - 16 O 206/22 (externer Link):

"Entgegen der Ansicht der Beklagten genießt das Fahrzeug als Luxusfahrzeug auch keinen Sonderstatus. Denn bei einem merkantilen Minderwert handelt es sich um eine Minderung des Verkaufswerts, die trotz völliger und ordnungsgemäßer Instandsetzung eines bei einem Unfall erheblich beschädigten Kraftfahrzeuges allein deshalb verbleibt, weil bei einem großen Teil des Publikums, vor allem wegen des Verdachts verborgen gebliebener Schäden, eine den Preis beeinflussende Abneigung gegen den Erwerb unfallbeschädigter Kraftfahrzeuge besteht (BGH, Urteil v. 23.11.2004 - VI ZR 357/03, NJW 2005, 277). Bei einem Luxusfahrzeug ist dabei jedoch auch das entsprechende Publikum in den Blick zu nehmen. Dieses nimmt nach den plausiblen Ausführungen des Sachverständigen regelmäßig einen höheren Minderwert an. Die von der Beklagten zitierte Rechtsprechung des Amtsgerichts Köln, Urteil v. 18.11.2011 - 269 C 149/11, ist für den vorliegenden Sachverhalt auch nicht passend. Denn in dem Urteil des Amtsgerichts ging es lediglich um einen Bagatellschaden an einem Luxusfahrzeug. Ein Solcher liegt hier indes unstreitig nicht vor."


inkompatible Schäden stehen einer Überzeugungsbildung entgegen



LG Bochum, Urteil vom 02.05.2023 - 8 O 297/21 (externer Link):

"Zwar ist es grundsätzlich in der Rechtsprechung anerkannt, dass für den Fall, dass ein zumindest abgrenzbarer Teil der seitens der Klägerin geltend gemachten Schäden auf das Unfallereignis zurückzuführen sind, diese ersetzt verlangt werden können (vgl. OLG München NZV 2006, S. 261). Allerdings ist ein solcher Teilschadensersatzanspruch der Klägerin verwehrt, wenn bewiesen ist, dass ein Teil der geltend gemachten Schäden am Unfallfahrzeug nicht auf die Kollision zurückzuführen sind und der Geschädigte zu den nicht kompatiblen Schäden keine Angaben macht, sondern vielmehr das Vorliegen irgendwelcher Vorschäden bestreitet (vgl. KG BeckRS 2007, 12643; KG BeckRS, 02982; vgl. auch Janke, in Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke Straßenverkehrsrecht, 26. Aufl., § 249 Rn. 89 mwN.). Diese Unsicherheit führt zur vollständigen Klageabweisung (vgl. OLG Düsseldorf BeckRS 2017, 104786). Vorliegend ist genau diese Konstellation anzunehmen. Die Klägerin bestreitet das Vorliegen etwaiger Altschäden. Insofern gab der Geschäftsführer der Klägerin an, dass sein Fahrzeug vor dem hier streitgegenständlichen Unfallereignis keine anderweitigen Unfälle erlitten hätte. Auch im Unfallbereich hätte das Fahrzeug keine Altschäden aufgewiesen. Das Fahrzeug sei zum Unfallzeitpunkt ca. ein ¾ Jahr alt gewesen. Er habe das Fahrzeug mit einem Kilometerstand von 800 Kilometern gekauft. Da das unfallgeschädigtes Fahrzeug von Vorschäden betroffen ist, die den geltend gemachten Schaden überlagern, hätte die Klägerin zur Begründung ihrer Ersatzbegehrens nicht nur den Umfang der Vorschäden im Einzelnen darlegen, sondern auch spezifiziert vortragen müssen, welche Reparaturmaßnahmen in der Vergangenheit zur vollständigen und ordnungsgemäßen Beseitigung der Vorbeeinträchtigungen durchgeführt worden sind und, ob eventuelle Reparaturmaßnahmen jeweils in Übereinstimmung mit den gutachterlichen Instandsetzungsvorgaben standen (vgl. OLG Düsseldorf aaO.).

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass die Klägerin das Fahrzeug als gebrauchten Vorführwagen gekauft hat. Insofern hätte es sodann einen Vortrag dahingehend berufen, ob die Klägerin das Fahrzeug mit einem Nachweis über eine Reparatur der Vorschäden gekauft hat (KG 25.2.2010 - 22 U 163/09). An einem entsprechenden Vortrag fehlt es in Gänze."


Kausalität bzgl. konkreten Unfallgeschehen



OLG Celle, Urteil vom 05.08.2020 - 14 U 37/20 (externer Link):

"Im Termin zur Verhandlung über die Berufung hat der Sachverständige sein Gutachten noch einmal mündlich erläutert und dabei dargestellt, dass sich die Geschwindigkeitsüberschreitung entscheidend unfallkausal ausgewirkt hat. Denn bei einer Vergleichsbetrachtung unter Zugrundelegung einer Annäherungsgeschwindigkeit von nur 70 km/h wäre es bei gleicher Ausweichbewegung wie tatsächlich geschehen nur zu einer Streifkollision mit dem Beklagtenfahrzeug gekommen; bei einer Ausgangsgeschwindigkeit von 65 km/h wäre es dem Kläger bei gleicher Lenkbewegung sogar gelungen, an dem Beklagtenfahrzeug vorbeizufahren."


kein zwingender Anscheinsbeweis gegen Überholenden



LG Köln, Urteil vom 19.04.2024 - 14 O 65/21 (externer Link):

"Dabei verkennt das Gericht nicht, dass ein Anscheinsbeweis gegen den Überholenden nicht generell anzunehmen ist; ein solcher kommt aber je nach Einzelfall in Betracht (grundlegend BGH NJW 1975, 312; siehe auch Kuhnke NZV 2018, 447, 449 f.). Ein solcher besonderer Einzelfall liegt vorliegend vor."


keine Unabwendbarkeit, wenn nicht wie Idealfahrer verhalten



LG Köln, Urteil vom 19.04.2024 - 14 O 65/21 (externer Link):

"aa) Für den Kläger lag kein unabwendbares Ereignis vor. Auch wenn nach seiner Schilderung im konkreten Moment der Kollision ggf. keine Reaktionsmöglichkeit bestanden haben sollte, so kann ihm gleichwohl der Vorwurf gemacht werden, dass er durch sein Verhalten das Fahrmanöver des Beklagten zu 1) gewissermaßen herausgefordert hat. Von einem besonnenen Idealfahrer ist zu erwarten, dass dieser nach der eigenen Schilderung des Klägers den Vorfall im Kreisverkehr nicht zum Anlass genommen hätte, das Beklagtenfahrzeug nach Verlassen des Kreisverkehrs zu überholen. Ein Idealfahrer hätte sich vielmehr im städtischen Verkehr hinter dem Beklagtenfahrzeug eingeordnet. Damit wäre es nicht zu einem Überholmanöver gekommen, dass dann zur Kollision geführt hätte."


kontaktloser Unfall - Kfz-Betrieb muss Reaktion zurechenbar auslösen



OLG Hamm, Urteil vom 09.05.2023 - 7 U 17/23 (externer Link):

"Der Beklagte zu 2 ist zudem problemlos und eindeutig deutlich vor dem Fahrradweg, und das erst nach dem Sturz, zum Stehen gekommen. Allein der Umstand, dass sich der Beklagte zu 2 annäherte, reicht daher nicht aus, um eine im Rahmen des § 7 Abs. 1 StVG relevante Ursächlichkeit seiner Fahrweise (oder sonstigen Verkehrsbeeinflussung) für den Unfall zu bejahen (vgl. BGH Urt. v. 22.11.2016 - VI ZR 533/15, r+s 2017, 95 Rn. 18; Senat Beschl. v. 10.3.2022 - 7 U 3/22, NJOZ 2022, 1286 = juris Rn. 26; OLG München Urt. v. 30.6.2017 - 10 U 4051/16, BeckRS 2017, 116969 = juris Rn. 23).

Dass sich die Klägerin wegen des sich der Kreuzung nähernden Beklagtenfahrzeugs dennoch zur Bremsung veranlasst gesehen hat, reicht demnach nicht aus. Zwar ist der Vortrag der Klägerin zutreffend, dass auch ein Unfall infolge einer voreiligen - also objektiv nicht erforderlichen - Abwehr- oder Ausweichreaktion gegebenenfalls dem Betrieb des Kraftfahrzeugs zugerechnet werden kann, das diese Reaktion ausgelöst hat (vgl. BGH Urt. v. 21.9.2010 - VI ZR 265/09, SVR 2010, 466 Rn. 6 auch zur subjektiven Erforderlichkeit und einzigen Möglichkeit; siehe auch Senat Urt. v. 24.8.2021 - 7 U 81/20, NJW-RR 2022, 177 = juris Rn. 17). Vorliegend hat jedoch aus den genannten Gründen der Betrieb des Beklagtenfahrzeugs gerade die Reaktion der Klägerin nicht zurechenbar ausgelöst. Es gab keine konkreten objektiven Anhaltspunkte dahin, dass die Klägerin nicht auf den ihr zu Gute kommenden Vertrauensgrundsatz bauen konnte. Nach diesem Grundsatz durfte die Klägerin als sich regelgerecht verhaltende Verkehrsteilnehmerin darauf vertrauen, dass der Beklagte zu 2 ihr Vorfahrtsrecht beachten wird, solange die sichtbare Verkehrslage zu keiner anderen Beurteilung Anlass gab (vgl. BGH Urt. v. 4.4.2023 - VI ZR 11/21, BeckRS 2023, 9120 Rn. 11). Sichtbaren Anlass hätte der Beklagte zu 2 aber nur gesetzt, wenn er die gestrichelte Linie des Fahrradweges überfahren oder sich aus seiner Fahrweise ergeben hätte, dass er diese unter Missachtung des Vorfahrtsrechts der Klägerin überfahren werde (vgl. zum Überschreiten oder zur wahrnehmbar drohenden Überschreitung der Mittellinie durch einen die Straße querenden Fußgänger BGH Urt. v. 4.4.2023 - VI ZR 11/21, BeckRS 2023, 9120 Rn. 13 f.). Beides ist nicht schlüssig dargelegt."


Kostenpauschale auch bei Digitalisierung 25 €



LG München I, Endurteil vom 30.09.2021 - 19 O 6974/20 (externer Link):

"Dem Kläger steht ferner eine Unkostenpauschale zu. In ständiger Rechtsprechung im OLG-Bezirk München beträgt diese lediglich 25,-€ beträgt (vgl. etwa OLG München, Endurteil vom 09.03.2018 - 10 U 3204/17). Für eine Änderung der bisherigen Rechtsprechung und Erhöhung der Unkostenpauschale besteht nach hiesiger Auffassung, insbesondere angesichts einer zunehmenden Digitalisierung bei der Abwicklung von Verkehrsunfällen keine Notwendigkeit."


Kostenpauschale beträgt 20 €



LG Karlsruhe, Urteil vom 01.09.2006 - 3 O 390/05 (externer Link):

"c) Die Unkostenpauschale beträgt allerdings lediglich 20,00 EUR, § 287 ZPO."


Kostenpauschale beträgt 25 €



AG Hildesheim, Urteil vom 07.08.2008 - 47 C 119/08 (externer Link):

"Die Klage ist allerdings insofern unbegründet, als der Kläger eine über den Betrag von 25,00 € hinaus gehende Auslagenpauschale geltend macht. Im Rahmen einer vorzunehmenden Schätzung nach § 287 Abs. 1 ZPO kann dem Kläger nach ständiger Rechtsprechung des Gerichts lediglich eine Auslagenpauschale in Höhe von 25,00 € zugebilligt werden."


Kostenpauschale beträgt 25 €



LG Aachen, Urteil vom 23.02.2023 - 1 O 219/22 (externer Link):

"Der Klägerin steht eine Unfallkostenpauschale zu. Das Gericht erachtet einen Betrag von 25,00 Euro im Wege der Schätzung § 287 ZPO für angemessen. Konkrete Umstände, die einen geringeren Betrag rechtfertigten, haben die Beklagten nicht vorgetragen."


Kostenpauschale: 25 €



OLG Hamm, Urteil vom 07.11.2023 - 7 U 131/22 (externer Link):

"d) Der Klägerin steht jedoch ein Anspruch auf Ersatz der im Rahmen von Verkehrsunfällen aufgrund ihres massenhaften Aufkommens gewährten Kostenpauschale in Höhe von 25,00 Euro zu. Dass das Beklagtenfahrzeug gegen die Felge am klägerischen Fahrzeug gestoßen ist, steht fest. Aufgrund des Unfallhergangs und des Schadensbildes konnte die Klägerin nicht abschätzen, ob ihr Fahrzeug aufgrund des streitgegenständlichen Unfalls erheblich beschädigt worden ist. Sie durfte sich insoweit sowohl sachverständiger als auch anwaltlicher Hilfe bedienen (siehe dazu noch unten), um abklären zu lassen, ob und welche ersatzfähigen Schäden verursacht worden sind. Die damit verbundenen Aufwendungen sollen mit der Kostenpauschale abgegolten werden.



Der Senat hat allerdings keine Veranlassung, von der in vergleichbaren Fällen regelmäßig gewährten Kostenpauschale in Höhe von 25,00 Euro abzuweichen und die von der Klägerin verlangten 30,00 Euro zu gewähren (§ 287 ZPO). Dass der Klägerin ein Mehraufwand als bei der Abwicklung derartiger Verkehrsunfälle üblich entstanden wäre, ist weder vorgetragen noch ersichtlich (vgl. auch OLG Hamm Urt. v. 8.11.2019 - I-9 U 10/19, Rn. 31, juris). Insoweit verbleibt es bei der in ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. OLG Hamm Urt. v. 17.5.2022 - I-7 U 68/21, Rn. 28, juris; Beschl. v. 19.10.2021 - I-7 W 11/21, Rn. 16, juris; Urt. v. 11.6.2021 - I-7 U 24/20, Rn. 73, juris; Urt. v. 3.6.2016 - I-7 U 14/16, Rn. 38, juris) gewährten Pauschale in Höhe von 25,00 Euro."


Kraftfahrer muss gesamte Straßenfläche beobachten



BGH, Urteil vom 04.04.2023 - VI ZR 11/21 (externer Link):

"Der Kraftfahrer ist dabei grundsätzlich auch bei breiteren Straßen verpflichtet, die gesamte Straßenfläche vor sich zu beobachten (vgl. Senatsurteil vom 24. Februar 1987 - VI ZR 19/86, NJW 1987, 2378, juris Rn. 18 mwN)."


Kreuzung



OLG Hamm, Urteil vom 09.05.2023 - 7 U 17/23 (externer Link):

"Eine Kreuzung ist dabei der Ort, an dem Fahrbahnen verschiedener Straßen, die sich u. U. jenseits fortsetzen, zusammentreffen (vgl. BGH Urt. v. 5.2.1974 - VI ZR 195/72, NJW 1974, 949 = juris Rn. 10). Eine Einmündung ist jedes Zusammentreffen von Straßen mit nur einer Fortsetzung (vgl. BGH Urt. v. 5.2.1974 - VI ZR 195/72, NJW 1974, 949 = juris Rn. 10)."


Ladetätigkeiten gehören zur Betriebsgefahr



BGH, Urteil vom 12.12.2023 - VI ZR 77/23 (externer Link):

"Der Halter haftet auch in diesen Fällen für die Gefahr, die das Kraftfahrzeug beim Entladen in dem in Anspruch genommenen Verkehrsraum für andere Verkehrsteilnehmer darstellt. Hierhin fällt nicht nur die Gefahr durch das entladende Kraftfahrzeug als solches, sondern auch diejenige, die von den Entladevorrichtungen und dem Ladegut ausgeht (Senatsurteil vom 8. Dezember 2015 - VI ZR 139/15, BGHZ 208, 140 Rn. 14 mwN für das Entladen von Heizöl aus einem Tanklastwagen)."


Lichtzeichen eines Drittfahrzeuges



AG Dortmund, Urteil vom 26.02.2019 - 425 C 6946/18 (externer Link):

"Dass der andere Verkehrsteilnehmer, der in dem weißen Fahrzeug gesessen hat und ihm entgegenkam, ihm per Lichtzeichen signalisiert haben soll, dass er fahren könnte, entlastet den Kläger hinsichtlich seiner Sorgfaltspflicht nicht im geringsten."


Lichtzeichenanlage - Gelblicht gebietet schon (sofern möglich) ein Anhalten



AG Hildesheim, Urteil vom 07.08.2008 - 47 C 119/08 (externer Link):

"bb) Denn gem. § 37 Abs. 2 Nr. 1 Satz 5 StVO ordnet das Gelblicht einer Wechsellichtzeichenanlage an, dass vor der Kreuzung auf das nächste Zeichen - hier Rotlicht - zu warten ist. Rotlicht aber gebietet gem. § 37 Abs. 2 Nr. 1 Satz 7 StVO das Anhalten vor der Kreuzung. Mithin gebietet bereits das Gelblicht - im Sinne eines „zwingenden Grundes“ nach § 4 Abs. 1 S. 2 StVO - ein sofortiges Abbremsen des Fahrzeuges, um dem Gebot des nachfolgenden Lichtzeichens „Rot“ gerecht werden zu können, also vor der Kreuzung anhalten und auf Grünlicht warten zu können (vgl. Geigel- Zieres , Der Haftpflichtprozess, 25. Auflage München 2008, 27. Kap. Rn. 740). Dies gilt auch dann, wenn die Lichtzeichenanlage erst „gerade eben“ von Grün auf Gelb umgesprungen ist und damit ein Passieren der Wechsellichtzeichenanlage vor dem Umschalten auf Rot möglich ist, da bei einem Überfahren der Haltelinie bei Gelblicht die Gefahr besteht, zumal bei so großen Kreuzungsanlagen wie derjenigen, an der sich der streitgegenständliche Unfall ereignete, dass die Kreuzung zu dem Zeitpunkt, zu dem dem Querverkehr durch Grünlicht ein Einfahren in die Kreuzung gestattet wird, noch nicht vollständig geräumt ist."


Lichtzeichenanlage - Gelblicht lässt Überfahren nur zu, wenn Anhalten nicht mehr möglich



AG Hildesheim, Urteil vom 07.08.2008 - 47 C 119/08 (externer Link):

"Das Gebot des Gelblichts, sofort abzubremsen, gilt allerdings - nur - dann nicht, wenn sich der betreffende Fahrzeugführer mit seinem Fahrzeug bei Umschalten der Wechsellichtzeichenanlage von Grün auf Gelb bereits so nah an der Haltelinie befindet, dass er sein Fahrzeug bei einem - auch starken - Bremsen nicht mehr vor dem unmittelbaren Kreuzungsbereich zu Stillstand bringen könnte (vgl. OLG Düsseldorf, DAR 1975, 303; KG Berlin, VM 1983, 13; Hentschel- König , Straßenverkehrsrecht, 39. Auflage München 2007, § 4 StVO Rn. 11, § 37 StVO Rn. 48; Geigel- Zieres , Der Haftpflichtprozess, 25. Auflage München 2008, 27. Kap. Rn. 737). Denn dann würde er gerade durch sein Abbremsen ein Hindernis bereiten und damit gegen § 1 Abs. 2 StVO verstoßen. Eine solche Konstellation, bei der kein zwingender Grund für ein starkes Abbremsen im Sinne des § 4 Abs. 1 S. 2 StVO gegeben wäre, war jedoch im zu entscheidenden Fall nicht gegeben: Der Kläger hat glaubhaft angegeben, er habe so gebremst, dass er noch vor der Haltelinie zum Stillstand hätte kommen können. Der Beklagte hat zwar angegeben, seiner Erinnerung nach habe das Fahrzeug des Klägers zum Zeitpunkt des Zusammenstoßes bereits gestanden, jedoch mit den Vorderrädern hinter der Haltelinie. Die Zeuginnen P. und D. haben ebenfalls bekundet, das Fahrzeug des Klägers habe sich, als es zum Zusammenstoß kam, bereits teilweise hinter der Haltelinie befunden. Doch selbst wenn dies so gewesen sein sollte, hätte das Fahrzeug noch nicht den Querverkehr gefährdend im unmittelbaren Kreuzungsbereich gestanden."


Lichtzeichenanlage kann plötzliches Bremsen auslösen



AG Hildesheim, Urteil vom 07.08.2008 - 47 C 119/08 (externer Link):

"Gerade vor Lichtzeichenanlagen ist jederzeit wegen der Möglichkeit eines Umschaltens der Anlage mit einem plötzlichen Abbremsen von Vorausfahrenden zu rechnen (vgl. LG Landau, Urteil vom 31.08.2004, 1 S 109/04; OLG Düsseldorf, DAR 1975, 303; KG Berlin, VM 1983, 13; Hentschel- König , Straßenverkehrsrecht, 39. Auflage München 2007, § 4 StVO Rn. 7, 11; Geigel- Zieres , Der Haftpflichtprozess, 25. Auflage München 2008, 27. Kap. Rn. 146)."


Linksabbieger haftet im Regelfall allein



BGH, Urteil vom 07.02.2012 - VI ZR 133/11 (externer Link):

"Letzterer ist an der Kreuzung nach links abgebogen, obwohl ihm erkennbar der von dem Beklagten zu 1 gelenkte Pkw entgegenkam. Damit hat der Kläger, wie auch das Berufungsgericht nicht verkannt hat, gegen § 9 Abs. 3 Satz 1 StVO verstoßen. Nach dieser Vorschrift muss, wer links abbiegen will, entgegenkommende Fahrzeuge durchfahren lassen. Den Linksabbieger trifft mithin eine Wartepflicht. Deren Nichtbeachtung stellt nach ständiger Rechtsprechung einen besonders schwerwiegenden Verkehrsverstoß dar. Genügt ein Verkehrsteilnehmer dieser Wartepflicht nicht 7 und kommt es deshalb zu einem Unfall, hat er in der Regel, wenn keine Besonderheiten vorliegen, in vollem Umfang oder doch zumindest zum größten Teil für die Unfallfolgen zu haften (vgl. Senatsurteil vom 11. Januar 2005 - VI ZR 352/03, VersR 2005, 702 mwN). Der Linksabbieger muss den Vorrang des Gegenverkehrs grundsätzlich auch dann beachten, wenn dieser bei Gelb oder bei frühem Rot einfährt (Greger, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 4. Aufl. 2007, Stand: 10. Januar 2010, § 14 Rn. 125). Selbst eine erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung des geradeaus Fahrenden hebt dessen Vorrecht nicht auf (vgl. Senatsurteil vom 14. Februar 1984 - VI ZR 229/82, VersR 1984, 440; OLG Hamm, NZV 2001, 520). In Fallgestaltungen dieser Art wird allerdings je nach Gewichtung der beiderseitigen Verursachungsanteile unter Berücksichtigung der jeweiligen konkreten Umstände regelmäßig eine Mithaftung beider Unfallbeteiligter anzunehmen sein. Eine überwiegende Haftung des geradeaus Fahrenden als auch eine Haftungsquote von 50 % ist nur ausnahmsweise in besonders gelagerten Einzelfällen gerechtfertigt (vgl. Grüneberg, Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen, 12. Aufl. Rn. 222 und Vorbemerkung vor Rn. 221)."


Linksabbieger im Kreuzungsbereich muss Vorfahrt gewähren



BGH, Urteil vom 07.02.2012 - VI ZR 133/11 (externer Link):

"Letzterer ist an der Kreuzung nach links abgebogen, obwohl ihm erkennbar der von dem Beklagten zu 1 gelenkte Pkw entgegenkam. Damit hat der Kläger, wie auch das Berufungsgericht nicht verkannt hat, gegen § 9 Abs. 3 Satz 1 StVO verstoßen. Nach dieser Vorschrift muss, wer links abbiegen will, entgegenkommende Fahrzeuge durchfahren lassen. Den Linksabbieger trifft mithin eine Wartepflicht. Deren Nichtbeachtung stellt nach ständiger Rechtsprechung einen besonders schwerwiegenden Verkehrsverstoß dar. Genügt ein Verkehrsteilnehmer dieser Wartepflicht nicht 7 und kommt es deshalb zu einem Unfall, hat er in der Regel, wenn keine Besonderheiten vorliegen, in vollem Umfang oder doch zumindest zum größten Teil für die Unfallfolgen zu haften (vgl. Senatsurteil vom 11. Januar 2005 - VI ZR 352/03, VersR 2005, 702 mwN). Der Linksabbieger muss den Vorrang des Gegenverkehrs grundsätzlich auch dann beachten, wenn dieser bei Gelb oder bei frühem Rot einfährt (Greger, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 4. Aufl. 2007, Stand: 10. Januar 2010, § 14 Rn. 125). Selbst eine erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung des geradeaus Fahrenden hebt dessen Vorrecht nicht auf (vgl. Senatsurteil vom 14. Februar 1984 - VI ZR 229/82, VersR 1984, 440; OLG Hamm, NZV 2001, 520). In Fallgestaltungen dieser Art wird allerdings je nach Gewichtung der beiderseitigen Verursachungsanteile unter Berücksichtigung der jeweiligen konkreten Umstände regelmäßig eine Mithaftung beider Unfallbeteiligter anzunehmen sein. Eine überwiegende Haftung des geradeaus Fahrenden als auch eine Haftungsquote von 50 % ist nur ausnahmsweise in besonders gelagerten Einzelfällen gerechtfertigt (vgl. Grüneberg, Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen, 12. Aufl. Rn. 222 und Vorbemerkung vor Rn. 221). Eine Haftungsteilung je zur Hälfte ist in der Rechtsprechung teilweise bei einer Kollision zwischen dem wartepflichtigen Linksabbieger und einem entgegenkommenden Verkehrsteilnehmer auf einer mit einer Lichtzeichenanlage geregelten Kreuzung etwa dann angenommen worden, wenn der entgegenkommende Unfallgegner in später Gelbphase oder beginnender Rotphase an anderen, auf einem parallelen Fahrstreifen bereits haltenden Fahrzeugen vorbei in den Kreuzungsbereich eingefahren ist (vgl. OLG Düsseldorf [Urteil vom 16. Oktober 1975 - 12 U 156/74] r+s 1976, 205; KG, VerkMitt 1984, 36 f.; OLG Hamm, VersR 90, 99). Um eine solche oder eine ähnlich zu bewertende Fallgestaltung handelt es sich vorliegend jedoch nicht."


Linksabbieger ist grundsätzlich wartepflichtig



AG Dortmund, Urteil vom 26.02.2019 - 425 C 6946/18 (externer Link):

"Das Verkehrsunfallgeschehen ist allein schuldhaft durch den Kläger verursacht worden. Der Kläger hat schuldhaft gegen § 9 Abs. 3 StVO verstoßen. Danach muss derjenige, der abbiegen will, entgegenkommende Fahrzeuge durchfahren lassen. Gemäß § 9 Abs. 3 Satz 2 StVO gilt dies auch gegenüber Fahrzeugen, die gekennzeichnete Sonderfahrstreifen benutzen, der hier aber nicht gegeben ist."


LKW: erhöhte Betriebsgefahr durch Sogwirkung



BGH, URteil vom 06.10.2009, VI ZR 316/08 (externer Link):

"Das Berufungsgericht berücksichtigt, dass den Beklagten zu 2 eine erhebliche Mitverantwortung für den Unfall trifft, weil er angesichts der Umstände einen zu geringen Seitenabstand eingehalten hat. Dabei zieht es - entgegen der Annahme der Revision - im Ergebnis auch die wegen der möglichen Sogwirkung erhöhte Betriebsgefahr des LKW in Betracht. Feststellungen dazu, dass die Einhaltung eines Seitenabstandes von 0,95 m angesichts der gegebenen Situation grob fahrlässig gewesen sein könnte, hat das Berufungsgericht nicht getroffen; die Revision zeigt insoweit keinen Verfahrensfehler auf. "


merkantile Wertminderung ist unabhängig von der Disposition



BGH, Urteil vom 16.07.2024 - VI ZR 243/23 (externer Link):

"b) Der merkantile Minderwert eines erheblich unfallbeschädigten Fahrzeugs ist unabhängig davon zu ersetzen, welche Dispositionen der Geschädigte über das Fahrzeug trifft (Senatsurteil vom 2. Dezember 1966 - VI ZR 72/65, NJW 1967, 552 f., juris Rn. 13). Insbesondere kommt es für die Begründung des Anspruchs auf Ersatz des merkantilen Minderwerts nicht darauf an, ob der Geschädigte das Fahrzeug verkauft und sich der Minderwert tatsächlich in einem geringeren Verkaufspreis manifestiert (vgl. Senatsurteil vom 2. Dezember 1966 aaO). Denn wenn sich der Geschädigte entschließt, sein Fahrzeug weiter zu gebrauchen, so begnügt er sich mit der Benutzung eines Fahrzeugs, dessen Wert nach der allgemeinen Verkehrsauffassung geringer ist als der eines unfallfrei gefahrenen Fahrzeugs (Senatsurteil vom 3. Oktober 1961 - VI ZR 238/60, BGHZ 35, 396, 398, juris Rn. 5). Der nach der sog. Differenzhypothese gebotene Vergleich der infolge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen Vermögenslage mit derjenigen, die sich ohne dieses Ereignis ergeben hätte, ergibt, dass er infolge des Unfalls einen geringeren Vermögenswert in Händen hat als zuvor (vgl. Senatsurteil vom 29. April 1958 - VI ZR 82/57, BGHZ 27, 181, 183 f., juris Rn. 8). Unerheblich für die Erstattungspflicht ist auch, dass die Wertminderung bei weiterem Gebrauch des Fahrzeugs im Laufe der Zeit geringer wird (Senatsurteil vom 3. Oktober 1961 aaO 397 f., juris Rn. 4). Der Schädiger hat den Minderwert des Fahrzeugs zu ersetzen, wie er sich im Zeitpunkt der Inbetriebnahme nach der Reparatur ergibt (Senatsurteil vom 2. Dezember 1966 - VI ZR 72/65, NJW 1967, 552, 553, juris Rn. 13)."


merkantiler Minderwert ist netto



BGH, Urteil vom 16.07.2024 - VI ZR 243/23 (externer Link):

"bb) Bei der Schätzung, um wieviel geringer der erzielbare Verkaufspreis bei einem gedachten Verkauf des beschädigten Fahrzeugs nach der Reparatur im Vergleich zum erzielbaren Verkaufspreis ohne die Beschädigung wäre, ist aus Rechtsgründen auf die jeweiligen Nettoverkaufspreise abzustellen. Denn unabhängig davon, ob der Geschädigte Unternehmer ist oder nicht, könnte sich die Umsatzsteuer, würde sie überhaupt anfallen, auf die Höhe des merkantilen Minderwerts nicht auswirken. Handelte es sich bei dem gedachten Verkauf um eine der Umsatzsteuer unterliegende Leistung eines Unternehmers gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG, so erhielte der Geschädigte zwar zusätzlich zum Nettoverkaufspreis die darauf entfallende Umsatzsteuer. Diese stellte sich für ihn aber lediglich als durchlaufender Posten dar, da er sie an das Finanzamt abführen müsste. Unterläge der Verkauf dagegen nicht der Umsatzsteuer, etwa weil der Geschädigte kein Unternehmer ist (Verkauf "von privat"), dürfte Umsatzsteuer dem Käufer schon gar nicht in Rechnung gestellt werden.



c) Wurde entgegen dem soeben genannten Grundsatz der merkantile Minderwert ausgehend vom Bruttoverkaufspreis geschätzt, ist er in der Weise nach unten zu korrigieren, dass von ihm ein dem "Umsatzsteueranteil" entsprechender Betrag abgezogen wird (ebenso die wohl herrschende Meinung jedenfalls im Fall eines geschädigten Unternehmers, z.B. LG Dortmund, SVR 2023, 266, 267; LG Essen, BeckRS 2021, 24578 Rn. 56; AG Düsseldorf, VersR 2020, 179; AG Remscheid, BeckRS 2017, 144236 Rn. 29 ff.; AG Wipperfürth, BeckRS 2020, 26424 Rn. 3 ff.; Balke, SVR 2023, 294, 295 f.; Freyberger, NZV 2000, 290 f.; Freymann/Rüßmann in Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., § 249 BGB, Stand: 07.03.2024, Rn. 174; Grüneberg in Grüneberg, BGB, 83. Aufl. § 251 Rn. 14; Katzenstein in Geigel, Haftpflichtprozess, 29. Aufl., Kap. 3 Rn. 119; Lutz, NJW-Spezial 2023, 265 f.; Nugel, jurisPR-VerkR 19/2022 Anm. 1 sub D). Anderenfalls käme es zu einer Bereicherung des Geschädigten. Eine solche ist von dem Wertinteresse, das Gegenstand des Entschädigungsanspruchs aus § 251 BGB ist (vgl. Senatsurteil vom 15. Oktober 1991 - VI ZR 67/91, BGHZ 115, 375, 377 f., juris Rn. 9) und auf Ausgleich der Differenz zwischen dem Wert des Vermögens, wie es sich ohne das schädigende Ereignis darstellen würde, und dem durch das schädigende Ereignis verminderten Wert gerichtet ist (vgl. BGH, Urteil vom 11. März 2010 - IX ZR 104/08, NJW 2010, 1357, Rn. 29), nicht erfasst."


merkantiler Minderwert nach § 251 Abs. 1 BGB



BGH, Urteil vom 16.07.2024 - VI ZR 243/23 (externer Link):

"Bei erheblicher Beschädigung umfasst der Anspruch gemäß § 251 Abs. 1 BGB auch den Ersatz des merkantilen Minderwerts, weil insoweit eine Herstellung gemäß § 249 BGB nicht möglich ist (st. Senatsrechtsprechung seit Urteil vom 29. April 1958 - VI ZR 82/57, BGHZ 27, 181, 186, juris Rn. 11)."


Müllfahrzeug - beschränkte Privilegierung



BGH, Urteil vom 12.12.2023 - VI ZR 77/23 (externer Link):

"Wie vom Berufungsgericht zutreffend gesehen, befreit die beschränkte Privilegierung von Fahrzeugen der Müllabfuhr durch die Einräumung von Sonderrechten in § 35 Abs. 6 Satz 1 StVO nicht von der Einhaltung der übrigen Vorschriften der StVO (OLG Karlsruhe, r+s 2018, 671 Rn. 16; Rogler in Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., § 35 StVO, Stand 24.10.2023, Rn. 124)."


Müllfahrzeug - erhöhte Betriebsgefahr



BGH, Urteil vom 12.12.2023 - VI ZR 77/23 (externer Link):

"aa) Rechtlich nicht zu beanstanden sind allerdings die Erwägungen, mit denen das Berufungsgericht das unfallursächliche und schuldhafte Verhalten des Beklagten zu 1 in die Abwägung eingestellt hat. Da das Entleeren und Zurückbringen des Müllcontainers zum Betrieb des Müllabfuhrfahrzeugs gehört (s. oben a), begründet ein unfallursächlicher Verstoß des Beklagten zu 1 gegen die StVO bei dieser Tätigkeit eine Erhöhung der Betriebsgefahr, die im Rahmen der Abwägung gemäß § 17 Abs. 2 StVG zu Gunsten der Klägerin zu berücksichtigen ist.

(.....)

Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht eine Erhöhung der Betriebsgefahr schließlich mit der Größe des Müllabfuhrfahrzeugs und der dadurch bedingten Sichtbeschränkung begründet, die sich auf den Unfall ausgewirkt hat."


Müllwagen - Betriebsgefahr beim Be- und Entladen



BGH, Urteil vom 12.12.2023 - VI ZR 77/23 (externer Link):

"bb) Nach diesen Grundsätzen ist der Pkw der Klägerin bei dem Betrieb des Müllabfuhrfahrzeugs des Beklagten zu 2 beschädigt worden. Dieses ist zwar auch ein Kraftfahrzeug mit Arbeitsfunktion, der Unfall steht aber in einem haftungsrechtlich relevanten Zusammenhang mit der Bestimmung des Müllabfuhrfahrzeugs als eine dem Transport von Müll dienende Maschine. Zur Erfüllung der Transportfunktion sind Mülltonnen zum Müllabfuhrfahrzeug zu bringen, dort zu entleeren und wieder zurückzustellen. Die Gefahr, die in diesem Zusammenhang von einer gerade entleerten Mülltonne auf der Straße für andere Verkehrsteilnehmer ausgeht, ist damit dem Betrieb des Müllabfuhrfahrzeugs zuzurechnen."


Müllwagen - Passieren mit 2 m Abstand oder in Schrittgeschwindigkeit



LG Münster, Urteil vom 26.04.2002 - 16 O 83/02 (externer Link):

"Das Gericht schließt sich der Ansicht an, dass ein Kraftfahrer, der ein Müllfahrzeug passieren will, entweder einen Mindestabstand von 2m oder Schrittgeschwindigkeit einzuhalten hat (vgl. OLG Hamm, NJW-RR 1988, 866, 867; OLG Hamm, VRS 35, 58, 60; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. A:, § 35 StVO, Rdn. 13). Mit dem OLG Hamm ist das Gericht der Ansicht, dass in Anlehnung an die vom BGH (vgl. NJW 1968, 1532) für an Haltestellen stehende Busse aufgestellten Regeln dem Kraftfahrer auch beim Passieren von Müllfahrzeugen eine solche vorsichtige Fahrweise abzuverlangen ist (vgl. OLG Hamm, NJW-RR 1988, 866, 867). Entscheidend ist dabei, dass der Kraftfahrer damit rechnen muss, dass die Müllwerker - verkehrswidrig - den Verkehrsraum seitlich des Müllwagens betreten, um sich erst von dort den Überblick über den Verkehrsraum zu verschaffen. Ein solches Fehlverhalten wird begünstigt durch das Bedürfnis nach kurzen Wegen und schneller Arbeitsweise (vgl. OLG Hamm, a.a.O.). Vor allem stumpft der tägliche Umgang mit den Gefahren des Strassenverkehrs ab, haben die Müllwerker ihr Augenmerk auf ihre Arbeitsverrichtungen zu lenken und müssen ein bestimmtes Arbeitspensum verrichten, das auch zu Eile führt, welches die Verkehrsgefahren verkennen oder übersehen lässt (vgl. OLG Hamm, VRS 35, 58, 60). Aufgrund dieser Umstände ist es geboten, die Rechtsprechung für an Haltestellen stehende Busse auch hinsichtlich stehender Müllfahrzeuge und von hinten herannahender Fahrzeuge anzuwenden."


Nutzungsausfallschaden könnte vermutet werden



LG München I, Endurteil vom 30.09.2021 - 19 O 6974/20 (externer Link):

"In der Regel spricht die Lebenserfahrung dafür, dass der Halter und Fahrer eines privat genutzten KFZ dieses während eines unfallbedingten Ausfalls benutzt hätte (OLG München 27.5.20 - 10 U 6795/19 -). Darüber hinaus hat der Kläger vorliegend unbestritten innerhalb weniger Wochen Ersatz beschafft."


ohne Kausalität ist geringfügiges Falschparken nicht anspruchsmindernd



LG Lübeck im Urteil vom 02.11.2023, Az. 14 S 113/22 (externer Link):

"Dass sich auch das klägerische Fahrzeug nicht 100-ig in dessen Parkmarkierung befand, ist im Übrigen ohne Belang. Es ist nicht zu erkennen, wie sich diese (zumal nur geringe) Überschreitung der Markierung nach vorne irgendwie auf den Unfall hätte auswirken können."


optische Schadenserweiterung ist nicht zwingend ein Schaden



OLG Hamm, Urteil vom 07.11.2023 - 7 U 131/22 (externer Link):

"Es steht zwar fest, dass der Felgenstern des linken Vorderrades des klägerischen Fahrzeuges durch den streitgegenständlichen Unfall beschädigt worden ist. Insoweit liegen - möglicherweise auch tiefe - Kratzer, allerdings keine Verformungen vor. Der Sachverständige hat diesbezüglich angegeben, dass es sich um einen rein optischen Mangel handele, der die Brauchbarkeit der Felge nicht beeinträchtigt. Eine technische Schadenserweiterung habe im Hinblick auf die unstreitige Vorschädigung der Felge am äußeren Rand nicht stattgefunden (Berichterstattervermerk vom 07.11.2023 Seite 5, letzter Absatz, eGA II-130). Ein Austausch der Felge ist aus technischer Sicht nicht erforderlich. Der Sachverständige hat angegeben, dass das klägerische Fahrzeug auch mit der beschädigten Felge im aktuellen Zustand die Hauptuntersuchung bestehen würde (Berichterstattervermerk vom 07.11.2023 Seite 3 drittletzter Absatz sowie Seite 4, 4. Absatz, eGA II-128 f.). Ein Austausch der Felge, für dessen Kosten die Beklagten aufzukommen hätten, ist insoweit nicht erforderlich.



Im Hinblick auf das Alter und die Laufleistung des klägerischen Fahrzeuges stellt die zusätzliche Beschädigung in der Mitte der Außenseite der Felge auch keinen in Form einer Wertminderung zu kompensierenden Schaden dar. Die Klägerin hat das Fahrzeug nach ihren eigenen Angaben bereits mit der vorbeschädigten Felge Anfang 2020 erworben und die Felge auch im Nachhinein nicht instandsetzen oder austauschen lassen. Dass die durch den streitgegenständlichen Unfall hinzugekommene weitere Beschädigung rein optischer Art zu einer Wertminderung geführt hätte, ist nicht ersichtlich. Jedenfalls kann der Senat einen Schaden der Klägerin insoweit nicht feststellen."


Parken mit Abstand von 50cm zum Fahrbahnrand verstößt gegen § 12 Abs. 4 S. 1 StVO



LG München I, Urteil vom 26.05.2009 - 17 O 1695/09 (externer Link):

"Die Fahrerin des klägerischen Fahrzeugs hat damit gegen die ihr aus § 12 Abs. 4 Satz 1 StVO obliegende Pflicht, am rechten Fahrbahnrand zu parken, verstoßen."


Parkplatzunfall : im Zweifel gilt wohl rechts vor links



LG Kassel, Urteil vom 08.03.2013 - 5 O 118/12 (externer Link):

"Der Kläger hätte seine Geschwindigkeit den ständig wechselnden Verkehrssituationen auf einem Parkplatz anpassen müssen, zumal auch dort die Regel „Rechts vor Links“ gilt – wenn auch nicht im strengen Sinne des § 8 StVO."


Parkplatzverkehr erfordert besondere Rücksichtnahme



LG Kassel, Urteil vom 08.03.2013 - 5 O 118/12 (externer Link):

"Zwar hat sich der Unfall nicht mehr direkt im Bereich der Ausfahrt ereignet, so dass es an einer Verletzung des § 10 StVO fehlt, doch liegt eine typische Parkplatzsituation in einem stark frequentierten Bereich vor, in der die Gebote erhöhter Vorsicht und gegenseitiger Rücksichtnahme bestehen."


Preisabrede, Honorarabrede, Pauschalpreisabrede - außerhalb des Pauschalpreises muss nur gezahlt werden, was durchgeführt wurde



BGH, Urteil vom 16.01.2024 - VI ZR 239/22 (externer Link):

"d) Die Klagforderung ist auch nicht unabhängig von der Frage des Werkstattrisikos deshalb berechtigt, weil sich die Geschädigte - ohne die Grenzen des Auswahl- und Überwachungsverschuldens zu überschreiten - im Rahmen einer wirksamen Preis- oder Honorarabrede zur Vergütung der Klägerin in entsprechender Höhe verpflichtet hätte. Zwar entspricht die streitgegenständliche Rechnungsposition der in dem von der Geschädigten zuvor eingeholten Sachverständigengutachten vorgenommenen Schadensschätzung. Doch selbst wenn man - wie in der Regel nicht (vgl. Exter, VersR 2022, 729, 733 f.) - in der im Streitfall festgestellten Beauftragung der Werkstatt durch die Geschädigte auf der Grundlage des von ihr zuvor eingeholten Sachverständigengutachtens eine Preis- oder Honorarvereinbarung zwischen Geschädigter und Werkstatt sehen wollte, wäre die Geschädigte jedenfalls außerhalb einer hier nicht vorliegenden Pauschalpreisabrede nicht zur Vergütung von (Teil-)Leistungen verpflichtet, die tatsächlich nicht erbracht wurden."


Prozessuales bei Kaskoleistung während des Prozesses



LG Kassel, Urteil vom 08.03.2013 - 5 O 118/12 (externer Link):

"Denn ein erledigendes Ereignis durch eine Zahlung liegt nur vor, wenn eine ursprünglich zulässige und begründete Klage durch ein erledigendes Ereignis nach Rechtshängigkeit unzulässig oder unbegründet geworden ist.

Dies ist jedoch nicht der Fall. Denn die Zahlung der Vollkaskoversicherung des Klägers erfüllt nicht den Schadensersatzanspruch gegen die Beklagten. Nur dann wäre insoweit Erledigung eingetreten, wenn der Schuldner oder ein Dritter die geschuldete Summe zahlt und so den eingeklagten Anspruch erfüllt (Bork, in Stein/Jonas, 22. Aufl. 2004, § 91a ZPO Rn. 6). Hier ist die Vollkaskoversicherung jedoch nur ihren eigenen vertraglichen Verpflichtungen gegenüber dem Kläger nachgekommen. Zugleich ist der gegen die Beklagten gerichtete Schadensersatzanspruch in Höhe des von der Vollkaskoversicherung ausgeglichenen Betrages nach § 86 Abs. 1 VVG auf diese übergegangen. Der Anspruchsübergang war entgegen der Auffassung der Klägerseite auch ohne Auswirkung auf die Aktivlegitimation. Der Kläger hätte als gesetzlicher Prozessstandschafter nach § 265 ZPO den auf die Vollkaskoversicherung übergegangenen Anspruchsteil weiterhin geltend machen können (OLG Brandenburg, Urt. v. 01.07.2010, 12 U 15/10 – juris). Der Kläger hätte den Anspruch weiterhin in voller Höhe fordern können, nur seinen Antrag dahingehend abändern müssen, dass teilweise an die Vollkaskoversicherung zu leisten war. So war die Klage als insoweit unbegründet abzuweisen (Greger, in: Zöller, 28. Aufl. 2010, § 265 ZPO Rn. 6a). Ein anderes Ergebnis und eine Erledigung der Hauptsache istlediglich in dem – hier nicht vorgetragenen - Fall anzunehmen, dass aufgrund eines zwischen Kasko- und Haftpflichtversicherer des Unfallgegners bestehenden Teilungsabkommens ein Rückgriff des Vollkaskoversicherers ausgeschlossen ist, weil es dann letztlich an einem nach § 86 VVG übergeleiteten Regressanspruch fehlt (OLG Brandenburg, Urt. v. 01.07.2010, 12 U 15/10 – juris)."


Reaktionspflicht beginnt bei erstem Anzeichen



BGH, Urteil vom 04.04.2023 - VI ZR 11/21 (externer Link):

"2. Die Erwägungen, mit denen das Berufungsgericht ein unfallursächliches Verschulden des Beklagten zu 1 verneint, weil er weder entgegen § 3 Abs. 1 StVO mit einer den Straßen-, Verkehrs- und Sichtverhältnissen nicht angepassten Geschwindigkeit gefahren sei noch gegen die allgemeine Sorgfaltspflicht des § 1 Abs. 2 StVO verstoßen habe, sind jedoch rechtsfehlerhaft. Sie beruhen auf der Prämisse, eine Reaktionspflicht des Beklagten zu 1 habe erst zu dem Zeitpunkt bestanden, als der Kläger den Mittelstreifen überquerte und in die vom Beklagten zu 1 genutzte Fahrbahn geriet, weil ein Fahrzeugführer nicht damit zu rechnen brauche, dass ein Fußgänger das Überqueren einer mehrspurigen Straße über die Mittellinie hinaus fortsetze, obwohl das Kraftfahrzeug bereits nahe sei. Damit überdehnt das Berufungsgericht den Vertrauensgrundsatz, der jedenfalls auf der Grundlage der hier getroffenen Feststellungen nicht zu Gunsten des Beklagten zu 1 herangezogen werden kann."


Reaktionszeit von 0,8 Sekunden verlangt keine Handlung



LG München I, Endurteil vom 30.09.2021 - 19 O 6974/20 (externer Link):

"Zwar komme man technisch zu einer Vermeidbarkeit des Unfalls bei einer Reaktionszeit von 0,8 Sekunden. Haftungsrechtlich ist einem Fahrer jedoch bei einer zu späten Reaktion in diesem Bereich ohne vorherige, durch sonstige Umstände hervorgerufene besondere Aufmerksamkeitsaufforderungen kein Schuldvorwurf zu machen. Ablenkungen nach vorne in dieser zeitlichen Dimension werden üblicherweise selbst durch die Pflichten der StVO (Blick in den Rückspiegel, Schulterblick, etc.) verursacht, vgl. OLG München, Urteil vom 08.04.2011 - 10 U 5122/10."


Rechts vor links auf Parkplatz



LG Kassel, Urteil vom 08.03.2013 - 5 O 118/12 (externer Link):

"Der Kläger hätte seine Geschwindigkeit den ständig wechselnden Verkehrssituationen auf einem Parkplatz anpassen müssen, zumal auch dort die Regel „Rechts vor Links“ gilt – wenn auch nicht im strengen Sinne des § 8 StVO."


Rechtsanwaltskosten - bei Notwendigkeit erstattungsfähig



AG Frankfurt am Main, Urteil vom 03.04.2018 - 31 C 3053/17 (83) (externer Link):

"Voraussetzung für die Ersatzfähigkeit von Anwaltskosten ist jedoch, dass der Geschädigte die Beauftragung eines Anwalts für erforderlich halten durfte. Das ist dann nicht der Fall, wenn ein nach Grund und Höhe derart einfach gelagerter Fall vorliegt, bei dem aus Sicht des Geschädigten kein Anlass zu Zweifeln an der vollen Ersatzpflicht des Schädigers besteht und deshalb die Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts nicht erforderlich war. Nur dann, wenn es sich um einen einfach gelagerten Sachverhalt handelt, ist der Geschädigte zur eigenen Schadensanmeldung gehalten, es sei denn, er ist aus besonderen Gründen, wie etwa dem Mangel an geschäftlicher Gewandtheit, hierzu nicht in der Lage. Ist der Schadensfall von vorneherein schwieriger gelagert, so darf der Geschädigte sogleich einen Rechtsanwalt mit der weiteren Geltendmachung beauftragen und kann sodann deswegen Kosten im Rahmen des materiell-rechtlichen Schadensersatzanspruchs geltend machen (vgl. Amtsgericht Frankfurt am Main, Az. 31 C 2383/17 (96)).

Von einem weltweit agierenden Mietwagenunternehmen wie der Klägerin kann erwartet werden, dass es Maßnahmen der außergerichtlichen Schadensregulierung bei einfach gelagerten Sachverhalten mit Hilfe seines kaufmännischen Personals durchführt (vgl. MüKoBGB/Oetker, -BGB, § 249, Rn. 181). Die Klägerin ist nach dem Gesetz als Kauffrau und damit bereits aus diesem Grunde als genügend geschäftsgewandt anzusehen, um bei einfach gelagerten Sachverhalten Schadensersatzansprüche wegen der Beschädigung eines vermieteten Fahrzeugs zunächst selbst geltend zu machen und die entsprechende Korrespondenz zu führen. (vgl. auch OLG Frankfurt, Urteil vom 02.12.2014, Az. 22 U 171/13). Hinzu kommt, dass sie sich als Autovermietung in nicht unerheblichem Maße in diesem Geschäftsbereich betätigt und sich daher regelmäßig mit der Regulierung von Verkehrsunfällen befasst, wenn auch dies nicht zu ihrem Kerngeschäft gehört (vgl. dazu auch LG Frankfurt, Urteil vom 18.07.2012, Az. 2-16 S 58/12 für eine Leasinggesellschaft). Der Klägerin ist es daher- unabhängig davon, ob sie eine eigene Rechtsabteilung unterhält - bei einfach gelagerten Sachverhalten zuzumuten, Ansprüche zunächst selbst gegenüber der Versicherung des Schädigers geltend zu machen."


Rechtsanwaltskosten - nicht bei einfachster Sachlage und Rechtslage



AG Frankfurt am Main, Urteil vom 03.04.2018 - 31 C 3053/17 (83) (externer Link):

"Damit ist für die Frage der Erstattungsfähigkeit der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten vorliegend alleine streitentscheidend, ob das streitgegenständliche Unfallereignis so einfach gelagert ist, dass an der Haftung der Beklagten im Grunde und der Höhe nach kein Zweifel bestehen würde und auch kein Zweifel daran bestehen konnte, dass die Beklagte ohne Weiteres ihrer Ersatzpflicht nachkommen würde.

Bei der Einstufung als einfach gelagerte Sachverhalt kommt es dabei auf die Beurteilung durch einen Privatmann ex ante an und nicht auf die Einschätzung einer fachlich mit der Rechtsprechung zu Verkehrsunfällen versierten Person (vgl. hierzu LG Frankfurt, Urteil vom 18.07.2012, Az. 2-16 S 58/12, 2/16 S 58/12). Dazu gehören regelmäßig solche Fälle, in denen der Schädiger seine Ersatzpflicht dem Grunde und der Höhe nach bereits anerkannt hat oder an seiner Zahlungsbereitschaft und Zahlungsfähigkeit keine Zweifel bestehen.

Tatsächliche Zweifel an der Ersatzpflicht und an der Bereitschaft der Beklagten zum Ersatz des Schadens sind nicht ersichtlich. Solche wären beispielsweise dann anzunehmen, wenn der Schädiger oder Zeugen am Unfallort Angaben gemacht hätten, die geeignet sind, Zweifel an der alleinigen Verursachung des Unfalls durch das bei der Beklagten versicherte Fahrzeug zu wecken. Solches ist jedoch nicht ersichtlich oder dargetan. Nach dem unstreitigen Sachverhalt verhielt es sich vielmehr so, dass der Unfallhergang gerade nicht im Streit stand, so dass davon auszugehen ist, dass das bei der Beklagten versicherte Fahrzeug den Unfall verursacht hat.

Auch sind keine rechtlichen Umstände dargetan, aus denen sich Zweifel an der alleinigen Einstandspflicht bzw. der Bereitschaft der Beklagten, den entstandenen Schaden in voller Höhe zu regulieren, ersichtlich wären. Regelmäßig ist dann von einem einfach gelagerten Schadensfall auszugehen, wenn ein Sachverhalt vorliegt, der gerade keinen nachvollziehbaren rechtlichen Zweifel an der vollen Ersatzpflicht des Schädigers nahelegt, etwa wenn das Fahrzeug des Geschädigten sich nicht in Betrieb befand oder der Unfall für ihn unabwendbar war, oder sein Verursachungsanteil gegenüber der stark überwiegenden Schuld des Schädigers völlig zurücktritt (vgl. LG Frankfurt, Urteil vom 18.07.2012, Az. 2-16 S 58/12, 2/16 S 58/12).

So liegt der Fall hier. Das streitgegenständliche Verkehrsunfallereignis vom 24.02.2017 ließ keine Schwierigkeiten bei der Schadensregulierung erwarten. Das klägerische Fahrzeug stand und der Unfall wurde allein durch das fahrende Fahrzeug der Beklagtenseite verursacht, sodass nach dem unstreitig zu Grunde zu legenden Unfallhergang von einem solchen ganz überwiegenden Verschulden des Führers des bei der Beklagten versicherten Fahrzeugs auszugehen war, weshalb keine vernünftigen Zweifel daran bestehen, dass insofern die Beklagte eine vollständige Einstandspflicht in Bezug auf die entstandenen Schäden trifft. Ein Mithaftungseinwand der Beklagten in der hiesigen Situation war entgegen der Ansicht der Klägerin nicht zu erwarten.

Auch die Höhe der Haftung und die zu berücksichtigenden Schadenspositionen stehen der Einordnung als einfach gelagerter Fall nicht entgegen. Zwar mag regelmäßig über die Höhe der Schadenspositionen Streit bestehen, dies führt per se aber nicht dazu, dass es sich nicht um einen einfach gelagerten Fall handelt.

Darauf, dass auch die Klägerin bzw. deren Prozessvertreter bei der ex ante - Betrachtung von einer eindeutigen und klaren Unfallsituation ausging, die nur zur einer vollständigen Haftung der Beklagten führen kann, deutet als Indiz weiter hin, dass sich in dem Forderungsschreiben des Klägervertreters vom 30.03.2017 (Bl. 8 ff. d.A.) nur ganz knappe Ausführungen zum Unfallgeschehen und zur Haftung finden.

Wie sich sodann die Schadensabwicklung tatsächlich gestaltete und ob es mehrere Aufforderungen bedurfte, ist unbeachtlich, da es maßgeblich auf die ex ante Betrachtung bei Beauftragung des Prozessvertreters der Klägerin ankommt, zumal sich im vorliegenden Fall die Schadensabwicklung tatsächlich bis auf die geltend gemachten Entziehungszinsen, vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten sowie die Höhe der Kostenpauschale unproblematisch gestaltete."


Reduktion der Geschwindigkeit bei Warnblinklicht geboten



OLG Celle, Urteil vom 05.08.2020 - 14 U 37/20 (externer Link):

"Angesichts der Situation, wie sie sich für den Kläger bei Annäherung an die Kreuzung darstellte, hätte er seine Geschwindigkeit im Übrigen ohnehin unter die vor Ort an sich zulässige Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h reduzieren müssen. Denn nach den Feststellungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. M. war das ebenfalls liegengebliebene Fahrzeug des Zeugen H., das sich am Straßenrand und teilweise auf dem Grün befand, aufgrund des eingeschalteten Warnblinklichts weithin sichtbar. Dieses Warnsignal hätte er zum Anlass nehmen müssen, besonders aufmerksam zu sein und seine ohnehin zu hohe Fahrgeschwindigkeit deutlich zu reduzieren und sich ggf. weiter reaktions-, also insbesondere bremsbereit zu halten (vgl. insofern auch Senat, Urteil vom 22. Januar 2020 – 14 U 150/19 –, Rn. 59, juris). Bei nur ganz geringfügiger weiterer Reduzierung unterhalb von 70 km/h wäre es dann nicht zur Kollision mit dem Beklagtenfahrzeug gekommen (s.o.)."


Reinigungskosten - bei noch nicht gezahlter Rechnung nur im Fall der Erforderlichkeit (Beweislast: Geschädigter)



BGH, Urteil vom 16.01.2024 - VI ZR 51/23 (externer Link):

"Hat die Klägerin die streitige Rechnungsposition noch nicht bezahlt, kann der auf Erstattung des Rechnungsbetrags an die Klägerin gerichteten Klage nur stattgegeben werden, wenn die - von der Beklagten nach den vom Berufungsgericht in Bezug genommenen tatbestandlichen Feststellungen des Amtsgerichts bestrittene - tatsächliche Durchführung und objektive Erforderlichkeit der Reinigungsmaßnahmen nachgewiesen ist.
(...)
Die Klägerin hat sich vorliegend für die konkrete Schadensabrechnung entschieden und Ersatz der erforderlichen Reparaturkosten nicht auf der Grundlage des eingeholten Sachverständigengutachtens, sondern anhand der ihr für die durchgeführte Reparatur in Rechnung gestellten - insgesamt höheren - Beträge geltend gemacht. Dann ist es unzulässig, hinsichtlich einer einzelnen Rechnungsposition - hier der Desinfektionskosten - auf die Möglichkeit einer fiktiven Abrechnung abzustellen (vgl. zur st. Rspr. zur unzulässigen Kombination von konkreter und fiktiver Schadensabrechnung nur Senatsurteil vom 12. Oktober 2021 - VI ZR 513/19, VersR 2022, 250 Rn. 18 mwN)."


Restwert: mehr Anstrengungen bei Profis



OLG Hamm, Urteil vom 31.01.2024 - 11 U 9/23 (externer Link):

"Zwar hat der Bundesgerichtshof in einem Fall, in dem der Pkw eines Autohauses bei einem Verkehrsunfall beschädigt wurde, das klagende Autohaus aufgrund seiner besonderen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten im Rahmen einer subjektbezogenen Schadensbetrachtung für verpflichtet gehalten, den Restwertmarkt im Internet in Anspruch zu nehmen, bevor das unfallgeschädigte Fahrzeug verkauft wurde (vgl. Urteil v. 25.06.2019 - VI ZR 358/18, juris). In einem anderen Fall wurde die Ermittlung eines besseren Restwertes durch eine Recherche im Internet auch von einer Leasinggeberin verlangt, welche die Veräußerung des unfallgeschädigten Leasingfahrzeugs nach einem Verkehrsunfall mit Totalschaden selbst durchgeführt hatte (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil v. 15.03.2018 - 1 U 55/17 -, juris). Weiterhin hat das Landgericht Deggendorf (Urteil v. 31.08.2020 - 23 O 168/19, juris) bei der Veräußerung eines unfallgeschädigten Leasingfahrzeugs durch die Leasingnehmerin eine Verpflichtung der Leasinggeberin angenommen, einen besseren Restwert im Internet zu ermitteln, und hat der Leasingnehmerin deren Versäumnis zugerechnet. Zur Begründung wurde darauf verwiesen, dass eine Leasinggeberin ihre Verpflichtung zu wirtschaftlichem Verhalten nicht dadurch umgehen kann, dass sie die Schadensregulierung in die Hände der Leasingnehmerin legt.
"


Restwertangebote: Grundsatz: nach Regionalmarkt



OLG Hamm, Urteil vom 31.01.2024 - 11 U 9/23 (externer Link):

"b) Die Veräußerung des Fahrzeugs zu dem im Schadensgutachten auf dem einschlägigen regionalen Markt ermittelten Restwert genügt den von der Rechtsprechung entwickelten und auch vom erkennenden Senat in ständiger Rechtsprechung angewendeten Grundsätzen (vgl. BGH, Urteil v. 25.06.2019 - VI ZR 358/18; Urteil v. 27.09.2016 - VI ZR 673/15, juris; Senat, Urteil vom 11.12.2020 - 11 U 5/20 -, juris). Demnach leistet der Geschädigte eines Verkehrsunfalls dem Wirtschaftlichkeitsgebot des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB im Allgemeinen Genüge, wenn er - wie im vorliegenden Fall die Klägerin - die Veräußerung seines beschädigten Kraftfahrzeuges zu dem Preis vornimmt, den ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger in einem Gutachten, das eine korrekte Wertermittlung erkennen lässt, auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat. Der Geschädigte ist weder verpflichtet, über die Einholung des Sachverständigengutachtens hinaus eigene Marktforschung zu betreiben und dabei die Angebote auch räumlich entfernter Interessenten einzuholen oder einen Sondermarkt für Restwertaufkäufe im Internet in Anspruch zu nehmen, noch ist er gehalten abzuwarten, um dem Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherer vor der Veräußerung des beschädigten Fahrzeugs Gelegenheit zu geben, zum eingeholten Gutachten Stellung zu nehmen und gegebenenfalls bessere Restwertangebote zu übermitteln. Der Gesetzgeber hat dem Geschädigten in § 249 Abs. 2 S. 1 BGB vielmehr die Möglichkeit eingeräumt, die Behebung des Schadens unabhängig vom Schädiger in die eigenen Hände zu nehmen und in eigener Regie durchzuführen. Diese gesetzgeberische Grundentscheidung würde unterlaufen, wäre der Geschädigte grundsätzlich verpflichtet, vor der von ihm beabsichtigten Schadensbehebung Alternativvorschläge des Schädigers einzuholen und diesen gegebenenfalls zu folgen."


Restwertangebote: höheres Angebot ist bei Zumutbarkeit anzunehmen



OLG Hamm, Urteil vom 31.01.2024 - 11 U 9/23 (externer Link):

"Lediglich dann, wenn die Schädigerseite - anders als im vorliegenden Fall - dem Geschädigten bereits vor dem Verkauf des unfallgeschädigten Fahrzeugs ein besseres zumutbares Restwertangebot nachgewiesen hat, besteht eine Verpflichtung des Geschädigten, dieses Angebot zwecks Schadensminderung anzunehmen."


Restwertangebote: Regionalmarkt gilt auch bei kreditfinanziertem Kauf



OLG Hamm, Urteil vom 31.01.2024 - 11 U 9/23 (externer Link):

"An dieser Einschätzung ändert sich im vorliegenden Fall nichts aufgrund des Umstandes, dass das unfallgeschädigte Fahrzeug an die H.-Bank sicherungsübereignet war, auch wenn diese bei eigener Veräußerung in der Lage gewesen wäre, ein besseres Restwertangebot - wenn auch nicht notwendig das von dem Beklagten ermittelte Restwertangebot - einzuholen. Denn weder bestand eine Verpflichtung der H.-Bank, sich in die streitgegenständliche Schadensabwicklung einzuschalten, noch bestand eine Verpflichtung der Klägerin, die H.-Bank zur Mithilfe bei der Veräußerung und die Ermittlung besserer Restwertangebote heranzuziehen.

(...)

Die vorgenannten Fälle sind mit dem hier zu beurteilenden Fall nicht vergleichbar. In diesen war das unfallgeschädigte Fahrzeug nämlich wirtschaftlich dem gewerblichen Autovermietungsunternehmen bzw. dem gewerblichen Leasingunternehmen zuzuordnen. Die unfallgeschädigten Fahrzeuge waren von diesen Unternehmen im eigenen Interesse angeschafft worden, um sie an Dritte zu vermieten. Bei der Miete erfolgt nach Ablauf der Mietzeit die Rückgabe des Fahrzeugs an den Vermieter, ebenso ist das Leasingfahrzeug nach Ablauf der Leasingzeit regelmäßig an den Leasinggeber zurückzugeben. Hier hat der Leasingnehmer lediglich gewöhnlich die Befugnis, nach Ablauf der Leasingzeit das Fahrzeug zu einem bestimmten festgelegten Preis von dem Leasinggeber zu erwerben. Macht ein Leasingnehmer von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch, so obliegt die Verwertung des Gebrauchtfahrzeuges dem Leasingunternehmen. Wirtschaftlich steht das Eigentum dem Vermieter bzw. Leasinggeber zu, dem die bestmögliche Verwertung eines an ihn zurückgegebenen Fahrzeugs obliegt. Wird das Fahrzeug während der Miet- oder Leasingzeit beschädigt, wird daher das wirtschaftliche Interesse des Vermieters bzw. Leasinggebers unmittelbar betroffen und ist er daher gehalten, seine regelmäßig aufgrund seiner Geschäftstätigkeit vorhandenen Kenntnisse über den Restwertmarkt auch im eigenen Interesse zur Schadensgeringhaltung einzusetzen.



Im vorliegenden Fall des darlehensfinanzierten Kaufs des Fahrzeugs erfolgte die Anschaffung des Fahrzeugs hingegen im alleinigen wirtschaftlichen Interesse des Darlehensnehmers. "


rollender PKW gegen parkendes Fahrzeug



LG Lübeck im Urteil vom 02.11.2023, Az. 14 S 113/22 (externer Link):

"(5) Aufgrund der mithin nach § 17 I und II StVG erforderlichen Abwägung der Verursachungsanteile hat sich der Beklagte zu 2.) zu 100 % an dem Schaden der klägerischen Partei zu beteiligen. Denn eine Mithaftung der Klägerin scheidet nach § 17 III aus. Für die Klägerin war der Zusammenstoß unabwendbar. Zur Überzeugung des Gerichts ist erwiesen, dass sie den Zusammenstoß – der sich während ihrer Abwesenheit ereignete – nicht hätte vermeiden können. Dies folgt zur Überzeugung der Kammer daraus, dass sich der Unfall derart ereignete, dass sich am geparkte Fahrzeug des Beklagten zu 2.) – in dessen Abwesenheit – die Handbremse lockerte und das Fahrzeug des Beklagten zu 2.) daraufhin gegen das Fahrzeug der Klägerin rollte und es entsprechend beschädigte."


Rückenlehne ist nicht zwingend eine Sicherung



OLG Köln, Urteil vom 27.08.2024 - 3 U 81/23 (externer Link):

"Für die grundsätzliche Anwendbarkeit des § 21a StVO ist ohne rechtliche Bedeutung, ob die Rechtsgutverletzung noch auf weiteren kausalen Umständen beruht. Nach den Feststellungen des Privatgutachters Dr. O. (Anlage BLD 2, Bl. 74 ff. LG-A) vermochte die Rücklehne des Beifahrersitzes die Krafteinwirkung durch das Körpergewicht der Beklagten nicht aufzuhalten, weil sie insoweit aufgrund der Ausführung der inneren Konstruktion als Metallrahmen mit bloßem Drahtgeflecht nicht geeignet war, ein Eindringen der Knie der Beklagten in den Rücken der Geschädigten zu verhindern."


Rücksichtnahmegebot erfordert Einhaltung der StVO



LG Tübingen, Urteil vom 10.12.2013 - 5 O 80/13 (externer Link):

"Die Klägerin hat gegen das allgemeine Rücksichtnahmegebot verstoßen. Dieses setzt als Mindestmaß die Beachtung der Verkehrsvorschriften der StVO voraus. Hier hat die Klägerin gegen § 5 StVO verstoßen; sie hat bei unklarer Verkehrslage eine stehende Kolonne überholt, trotz Einmündungen in diesem Streckenbereich, trotz einer Tankstellenausfahrt auf der Gegenspur, trotz nicht erkennbarer Lücke zum Wiedereinscheren. Ob die Klägerin knapp links oder rechts der Mittellinie oder deutlich links der Mittellinie fuhr, ist danach schon nicht mehr entscheidend. Wer jedoch so regelwidrig an einer Kolonne vorbeifährt, es gelten insoweit für Motorräder dieselben Vorschriften wie für PKW (- eine Ausnahme gibt es nur für Fahrräder unter engen Voraussetzungen -) nimmt nicht Rücksicht, sondern setzt sich um des eigenen schnelleren Vorankommens über Verbote hinweg."


Rückwärtsfahren in Einbahnstraße



BGH, Urteil vom 10.10.2023 - VI ZR 287/22 (externer Link):

"Denn entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts verstieß die Beklagte zu 1 gegen das durch das Vorschriftszeichen 220 in Verbindung mit § 41 Abs. 1 StVO angeordnete Gebot. Das Vorschriftszeichen 220 gebietet, dass die Einbahnstraße nur in vorgeschriebener Fahrtrichtung befahren werden darf. In der Gegenrichtung steht sie dem Fahrzeugverkehr auf der Fahrbahn grundsätzlich nicht zur Verfügung (vgl. Senatsurteil vom 6. Oktober 1981 - VI ZR 296/79, NJW 1982, 334, juris Rn. 10). Auf die Stellung des Fahrzeugs im Verhältnis zur vorgeschriebenen Fahrtrichtung kommt es nicht an. Verboten ist auch das Rückwärtsfahren entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung (vgl. OLG Düsseldorf, NJW-RR 2018, 657, 658, juris Rn. 22; OLG Karlsruhe, DAR 1978, 171). Lediglich (unmittelbares) Rückwärtseinparken ("Rangieren") ist - ebenso wie Rückwärtseinfahren aus einem Grundstück auf die Straße - kein unzulässiges Rückwärtsfahren auf Richtungsfahrbahnen gegen die Fahrtrichtung (vgl. OLG Düsseldorf, NJW-RR 2018, 657, 658, juris Rn. 20; VGH Baden-Württemberg, Justiz 2017, 355, juris Rn. 5; Ternig, VD 2018, 208). Demgegenüber ist Rückwärtsfahren auch dann unzulässig, wenn es dazu dient, erst zu einer (freien oder freiwerdenden) Parklücke zu gelangen (vgl. OLG Düsseldorf, NJW-RR 2018, 657, 658, juris Rn. 22; OLG Karlsruhe, DAR 1978, 171; König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht 47. Aufl., § 9 StVO Rn. 51, § 41 StVO Rn. 248b; a.A. Burmann in Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht 27. Aufl., § 9 StVO Rn. 67; Freymann in Geigel, Haftpflichtprozess 28. Aufl., Kap. 27 Rn. 306). Entsprechendes gilt, wenn das Rückwärtsfahren dazu dient, einem Fahrzeug die Ausfahrt aus einer Parklücke zu ermöglichen, um anschließend selbst in diese einfahren zu können. Nach den getroffenen Feststellungen fuhr die Beklagte zu 1 einige Meter rückwärts, um einem ausparkenden Fahrzeug Platz zu machen."


RVG-Gebühren: keine Erstattungspflicht für Deckungsanfrage



LG Kassel, Urteil vom 08.03.2013 - 5 O 118/12 (externer Link):

"Nicht erstattungsfähig sind die Kosten bezüglich der Einholung einer Deckungszusage.

Die Grenze der Ersatzpflicht ist dort zu ziehen, wo die Aufwendung des Geschädigten nicht mehr allein der Wiederherstellung der beschädigten Sache dient. So kann die Deckung gerade nicht das beeinträchtigte Rechtsgut wieder herstellen und fördert die Rechtsverfolgung nicht berechtigter Ansprüche, da die Erfolgsaussichten nicht von einer Deckungszusage abhängen, sondern allein vom zugrundeliegenden Geschehen und der daraus resultierenden materiell-rechtlichen Lage sowie prozessualen Durchsetzbarkeit.

Vom konkreten Schadensereignis unabhängig ist das Risiko, dass ein Gericht erhobene Forderungen als unbegründet zurückweist und sich das Prozess- bzw. Prozesskostenrisiko realisiert. Dieses Risiko muss der Geschädigte selbst tragen und kann es nicht auf den Schädiger abwälzen. Der Rechtsschutzversicherung fällt damit allenfalls eine nachrangige Zwischenfinanzierungsrolle zu. Im Übrigen ist hier auch nach der Rechtsprechung des BGH (NZV 2012, 169) ein Anspruch nicht gegeben. Danach sind Kosten nur zu erstatten, wenn die Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe zur Wahrung und Durchsetzung der Rechte unter den Umständen des Falles erforderlich und zweckmäßig war. Hier ist nicht ersichtlich, warum die Partei die Zusage nicht selbst hätte einholen können. Zudem hat die Rechtsschutzversicherung anscheinend die Deckungszusage umstandslos erteilt."


Sachverständigenkosten



OLG Hamm, Urteil vom 07.11.2023 - 7 U 131/22 (externer Link):

"Grundsätzlich kann der Geschädigte auch die Sachverständigenkosten als Teil der Wiederherstellungskosten im Sinne von § 249 BGB verlangen, wenn und soweit sie zur Wiederherstellung oder Rechtsverfolgung erforderlich und zweckmäßig waren, was wiederum davon abhängt, ob ein verständiger und wirtschaftlich denkender Geschädigter im Zeitpunkt der Beauftragung die Maßnahme für geboten erachten durfte (Freymann/Rüßmann in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., § 249 BGB (Stand: 08.08.2023), Rn. 231). Die Erforderlichkeit der Hinzuziehung eines Sachverständigen wird regelmäßig verneint, wenn für den Geschädigten erkennbar lediglich ein Bagatellschaden vorliegt und insoweit eine kostengünstigere Schätzung der Schadenshöhe beispielsweise durch einen Kostenvoranschlag einer Werkstatt ausreichend wäre (OLG Hamm Urt. v. 28.6.2022 - I-7 U 45/21, Rn. 13 f., juris; Freymann/Rüßmann in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., § 249 BGB (Stand: 08.08.2023), Rn. 235).



Hier war zunächst unklar, ob das klägerische Fahrzeug möglicherweise einen Achsschaden erlitten hatte. Zur Klärung dieser Frage war die Hinzuziehung eines Sachverständigen erforderlich und zweckmäßig. Auch wenn das eingeholte Privatgutachten der C. GmbH vom 08.01.2021 das Vorliegen eines Achsschadens nicht dokumentiert hat, war es dennoch nicht - worauf der Sachverständige O. im Rahmen seiner Gutachtenerstattung vor dem Senat ausdrücklich hingewiesen hat - unbrauchbar."


Sachverständigenkosten nicht erstattungsfähig, wenn Vorschäden verschwiegen



LG Bochum, Urteil vom 02.05.2023 - 8 O 297/21 (externer Link):

"Da die Klägerin bereits gegenüber dem außergerichtlichen Sachverständigen E. die Vorschäden verschwiegen hat, kann sie die diesbezüglichen Sachverständigenkosten nicht ersetzt verlangen (vgl. KG NZV 2004, 470)."


Schaden: Gutachterkosten



LG Köln, Urteil vom 19.04.2024 - 14 O 65/21 (externer Link):

"cc) Der Kläger kann auch die Kosten für die Beauftragung des Sachverständigen in Höhe von 644,38 € ersetzt verlangen. Grundsätzlich sind die Kosten der Schadensfeststellung Teil des zu ersetzenden Schadens (Grüneberg/Grüneberg, § 249 Rn. 58). Daher hat der Schädiger die Kosten von Sachverständigengutachten zu ersetzen, wenn diese zu einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig sind. So liegt der Fall hier. Es handelt sich um einen erheblichen Schaden am Motorrad des Klägers und die Schadensregulierung beruht maßgeblich auf den sachverständig ermittelten Tatsachen."


Schaden: Reparaturnachweis



AG Bad Schwalbach Urteil vom 22.6.2022 – 3 C 88/22 (3), BeckRS 2022, 19530 (externer Link):

"Die Klägerin hat bei der von ihr gewählten fiktiven Schadensberechnung keinen Anspruch auf Ersatz der Kosten für die Reparaturbestätigung. Eine Kombination von fiktiver und konkreter Schadensberechnung ist insoweit nicht zulässig. Entscheidet sich ein Geschädigter für die fiktive Schadensabrechnung, sind die im Rahmen einer tatsächlich erfolgten Reparatur angefallenen Kosten nicht (zusätzlich) ersatzfähig. Der Geschädigte muss sich vielmehr an der gewählten Art der Schadensabrechnung festhalten lassen; eine Kombination von fiktiver und konkreter Schadensabrechnung ist insoweit unzulässig. Nach diesen Grundsätzen hat die fiktiv abrechnende Klägerin keinen Anspruch auf Ersatz der im Rahmen der konkret durchgeführten Reparatur angefallenen Kosten für die Reparaturbestätigung, da es sich bei den geltend gemachten Kosten für die Reparaturbestätigung des Sachverständigen nicht um Kosten handelt, die nach der gewählten fiktiven Berechnungsweise zur Wiederherstellung des Unfallfahrzeugs erforderlich im Sinne von § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB waren. Es handelt sich vielmehr um eine Position, die ursächlich auf der freien Entscheidung der Klägerin beruht. Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn die Reparaturbestätigung aus Rechtsgründen zur Schadensabrechnung erforderlich gewesen wäre, etwa im Rahmen der Abrechnung eines zusätzlichen Nutzungsausfallschadens, oder wenn die Beklagte die Vorlage einer Reparaturbestätigung ausdrücklich verlangt hätte. (BGH NJW 2017, 1664 m.w.N.). Für das Vorliegen eines solchen Ausnahmefalls hat die Klägerin jedoch nicht substantiiert vorgetragen."


Schaden: Wertminderung, merkantil



LG Köln, Urteil vom 19.04.2024 - 14 O 65/21 (externer Link):

"Grundsätzlich kommt ein merkantiler Minderwert nur bei einer nicht unwesentlichen Beschädigung der Sache in Betracht. Für die Abgrenzung ist auf die Verkehrsauffassung abzustellen: Sofern der auf dem Markt zu erzielende Verkaufserlös nach der Reparatur nicht unter dem bleibt, der ohne das schädigende Ereignis hätte erlöst werden können, besteht kein Schadensersatzanspruch. Bagatellschäden werden im Verkehr in der Regel nicht als wertmindernd angesehen, so dass für diese ein gesonderter Ausgleich ausscheidet (MüKoBGB/Oetker BGB § 249 Rn. 55) Ein Bagatellschaden liegt hier aber mit Blick auf die Höhe der notwendigen Reparaturkosten ersichtlich nicht vor."


Schadensersatz erfasst Gutachterkosten



LG Köln, Urteil vom 19.04.2024 - 14 O 65/21 (externer Link):

"cc) Der Kläger kann auch die Kosten für die Beauftragung des Sachverständigen in Höhe von 644,38 € ersetzt verlangen. Grundsätzlich sind die Kosten der Schadensfeststellung Teil des zu ersetzenden Schadens (Grüneberg/Grüneberg, § 249 Rn. 58). Daher hat der Schädiger die Kosten von Sachverständigengutachten zu ersetzen, wenn diese zu einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig sind. So liegt der Fall hier. Es handelt sich um einen erheblichen Schaden am Motorrad des Klägers und die Schadensregulierung beruht maßgeblich auf den sachverständig ermittelten Tatsachen."


Schadensersatz nur bei eingetretenem Schaden



OLG Hamm, Urteil vom 07.11.2023 - 7 U 131/22 (externer Link):

"Allerdings hat die Klägerin nicht beweisen können, dass durch den streitgegenständlichen Unfall ein Achsschaden an ihrem Fahrzeug verursacht worden ist, was Voraussetzung für den Ersatz etwaiger Reparaturkosten ist. Diesbezüglich hat der Sachverständige O. in seiner mündlichen Gutachtenerstattung im Senatstermin nachvollziehbar ausgeführt, dass ein Schaden am Fahrwerk oder an der Lenkung nicht dokumentiert sei. Auch die vorliegende Achsvermessung (Fahrzeugvermessungsprotokoll vom 04.01.2021, eGA I-60) deute nicht auf einen durch den Unfall verursachten Achsschaden hin. Die Abweichungen seien so gering, dass sie für einen Gebrauchtwagen mit der hier vorliegenden Laufleistung normal seien (Berichterstattervermerk vom 07.11.2023 Seite 2 f., Bl. 127 f. der zweitinstanzlichen elektronischen Gerichtsakte, im Folgenden: eGA II-127 f.)."


Schneiden der Kurve verstößt gegen § 2 Abs. 2 StVO



LG Kassel, Urteil vom 08.03.2013 - 5 O 118/12 (externer Link):

"Zudem liegt ein Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot des § 2 Abs. 2 StVO vor, da die Beklagte zu 1) die Kurve „geschnitten“ hat. Dies hat der Sachverständige nachvollziehbar dargelegt (Bl. 17 d.GA und Bl. 219 d.A.) Auch dies begünstigte den Unfall. Insgesamt war die Fahrweise der Beklagten zu 1) die Hauptursache für die Kollision der beiden Fahrzeuge."


Schrittgeschwindigkeit bedeutet 4-7 km/h



LG Kassel, Urteil vom 08.03.2013 - 5 O 118/12 (externer Link):

"Denn der Sachverständige hat festgestellt, dass sie bereits mit einer Geschwindigkeit von 9 km/h den Unfall hätte vermeiden können, einem Bereich also, der sogar noch über der Schrittgeschwindigkeit von 4 – 7 km/h (siehe OLG Düsseldorf, Urt. v. 23.03.2010, 1 U 156/09 – juris) liegt."


Schuldanerkenntnis - kein formloses deklaratorisches am Unfallort



OLG Hamm, Beschluss vom 02.02.2023 - 7 U 121/22 (externer Link):

"Aber auch ein formlos mögliches deklaratorisches Schuldanerkenntnis hat die Beklagte nicht erklärt. Durch ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis wird ein bestehendes Schuldverhältnis bestätigt. Es soll ein Schuldverhältnis insgesamt oder in einzelnen Bestimmungen dem Streit oder der Ungewissheit entziehen, indem es die Berufung auf das Fehlen anspruchsbegründender Tatsachen und das Bestehen rechtshindernder wie -vernichtender Einwendungen und Einreden ausschließt, soweit sie bei Abgabe des Anerkenntnisses bestanden und dem Anerkennenden bekannt waren oder er mit ihnen rechnete (BGH Urt. v. 24.3.1976 - IV ZR 222/74, juris Rn. 17; BGH Urt. v. 1.12.1994 - VII ZR 215/93, juris Rn. 18; BGH Urt. v. 14.10.2004 - VII ZR 190/03, juris Rn. 19). Ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis muss sich nicht auf einen ziffernmäßigen Betrag beziehen, es genügt, wenn die Ersatzpflicht dem Grunde oder dem Verschulden nach anerkannt wird. Dies setzt allerdings einen entsprechenden Rechtsbindungswillen bei dem Erklärenden voraus (Senat Beschl. v. 29.12.2020 - I-7 U 90/20, juris Rn. 17; Senat Beschl. v. 26.02.2021 - I-7 U 16/20, juris Rn. 15).

Der erforderliche Rechtsbindungswille liegt vor, wenn die in der Erklärung verwendeten Formulierungen erkennen lassen, dass die Parteien ihre aus dem Haftpflichtfall folgenden Rechtsbeziehungen durch eigene Regelung verbindlich festlegen wollen (Bacher in: Geigel, Haftpflichtprozess, 28. Aufl. 2020, Kapitel 37 Rn. 11). Ein Indiz für das Vorliegen von Rechtsbindungswillen kann aus den Umständen, unter denen die Erklärung abgegeben worden ist, folgen. Mündliche Äußerungen, die in der ersten Aufregung an der Unfallstelle abgegeben werden, können im Allgemeinen nicht als rechtsverbindliche Anerkenntniserklärung gewertet werden (Rebler, Erklärungen am Unfallort, ZfS 2019, 12). Vielmehr sind solche Äußerungen zur Verursachung oder zum Verschulden des Verkehrsunfalls regelmäßig durch die Aufregung nach dem Unfall veranlasst und nicht Ausdruck des Willens, eine - zudem versicherungsvertragsrechtlich bedenkliche - rechtsverbindliche Erklärung zum Haftpflichtfall abzugeben (Senat Beschl. v. 29.12.2020 - I-7 U 90/20, juris Rn. 18; Senat Beschl. v. 26.02.2021 - I-7 U 16/20, juris Rn. 16; Walter in: Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, beckonline.GROSSKOMMENTAR, Stand 01.01.2022, § 16 StVG Rn. 16)."


Schuldanerkenntnis - keins nach § 781 BGB ohne Schriftform



OLG Hamm, Beschluss vom 02.02.2023 - 7 U 121/22 (externer Link):

"Zunächst ergibt sich ein solcher Anspruch nicht aus einem Schuldanerkenntnis der Beklagten, die vor Ort ihre Personalien angegeben hat und nach dem Vortrag der Klägerin nach der Kollision vor Ort geäußert haben soll, "Es tut mir leid. Das habe ich nicht gewollt." In dieser - seitens der Beklagten bestrittenen - Aussage ist kein wirksames Schuldanerkenntnis zu sehen.

Ein wirksames abstraktes Schuldanerkenntnis im Sinne des § 781 BGB scheidet schon mangels Einhaltung der Schriftform aus."


Schuldanerkenntnis - nicht durch Angabe der Personalien



OLG Hamm, Beschluss vom 02.02.2023 - 7 U 121/22 (externer Link):

"Auch dem Umstand, dass die Beklagte ihre Personalien angegeben hat, lässt sich kein solcher Erklärungswert beimessen. Denn hierzu war sie verpflichtet, wollte sie sich nicht des Vorwurfs des unerlaubten Entfernens vom Unfallort aussetzen. Gemäß § 142 Abs. 1 StGB macht sich strafbar, wer sich als Unfallbeteiligter nach einem Unfall im Straßenverkehr vom Unfallort entfernt, bevor er zugunsten der anderen Unfallbeteiligten und der Geschädigten die Feststellung seiner Person, seines Fahrzeugs und der Art seiner Beteiligung durch seine Anwesenheit und durch die Angabe, dass er an dem Unfall beteiligt ist, ermöglicht hat. Unfallbeteiligter i. S. v. § 142 StGB ist jeder, dessen Verhalten nach den Umständen zur Verursachung des Unfalls durch ein Verhalten in der konkreten Unfallsituation beigetragen haben kann. Die bloße Möglichkeit ursächlichen Verhaltens und der nicht ganz unbegründete Verdacht genügen (Niehaus in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., § 142 StGB Rn. 13 (Stand: 20.04.2022). Mit der Angaben ihrer Personalien brachte die Beklagte danach nur zum Ausdruck, als dass die bloße Möglichkeit ursächlichen Verhaltens bestand, nicht jedoch, dass sie tatsächlich einräumte, den Unfall verursacht zu haben."


Schuldanerkenntnis - nicht durch Zustimmung (§ 153a StPO) im Strafverfahren



OLG Hamm, Beschluss vom 02.02.2023 - 7 U 121/22 (externer Link):

"Ebenso wenig kann die Klägerin aus dem Umstand, dass das gegen die Beklagte eingeleitete Ermittlungsverfahren mit deren Zustimmung gemäß § 153a StPO gegen die Zahlung einer Geldauflage in Höhe von 200,00 EUR eingestellt worden ist, etwas für sich herleiten, denn in der Zustimmung liegt kein Schuldeingeständnis (BVerfG Beschluss v. 16.1.1991 - 1 BvR 1326/90, NJW 1991, 1530; Peters in: Münchener Kommentar zur StPO, 1. Aufl. 2016, § 153a Rn. 22). Zudem hat die Beklagte im Rahmen ihrer Zustimmung ausdrücklich zum Ausdruck gebracht, dass die Zustimmung allein im Erledigungsinteresse erfolge und nicht als zivilrechtliches Schuldanerkenntnis zu verstehen sei (Anlage SR 1, Bl. 38 der erstinstanzlichen elektronischen Akte)."


Schutzstreifen ist Teil der Fahrbahn und kann genutzt werden



AG Dortmund, Urteil vom 26.02.2019 - 425 C 6946/18 (externer Link):

"Richtig ist, dass sich auf der T2 ein mittels einer durchgezogenen Linie von der Fahrbahn abgetrennter Bereich befindet auf dem Radfahrer fahren dürfen. Anders als der Kläger meint, handelt es sich nicht um Radweg, der nur Radfahrern vorbehalten ist. Radweg sind durch das Zeichen 237 gekennzeichnet.

Vorliegend handelt es sich um einen Schutz- oder Angebotsstreifen für Radfahrer gem. § 45 Abs. 9 Ziff 1 StVO. Diese werden durch das Zeichen 340 von der Fahrbahn abgetrennt. Das bedeutet: "Wer ein Fahrzeug führt, darf aus der Fahrbahn durch Leitlinien markierte Schutzstreifen für den Radverkehr nur bei Bedarf überfahren. Der Radverkehr dabei nicht gefährdet werden."

Es handelt sich gerade nicht um einen Radweg und auch nicht um Sonderwege (wie bei Zeichen 237), denn die Markierung nach § 45 Abs. 9 StVO weist keinen Radweg aus. Der Schutzstreifen ist Bestandteil der Fahrbahn, aber selbst keine Fahrstreifen. Schutzstreifen sind auch nicht ausschließlich den Radfahrern vorbehalten, sondern die Leitlinie darf von anderen Fahrzeug "bei Bedarf" überfahren werden. Radfahrer dürfen auf dem Schutzstreifen im Rahmen des § 5 Abs. 8 StVO auf der Fahrbahn rechts wartende Fahrzeuge rechts überholen. Dies gilt gem. § 5 Abs. 7 StVO auch gegenüber zum Linksabbiegen eingeordneten Fahrzeugen.

Der Kläger muss entgegenkommenden Verkehr unabhängig davon, ob er sich auf der T6 befindet oder auf diesem Schutzstreifen Vorfahrt gewähren, genauso wie er Fußgängern, die die C-T6 überquert hätten, gegenüber wartepflichtig gewesen wäre.

Schließlich war noch zu berücksichtigen, dass dieser Schutzstreifen, der entlang der T2 durch eine durchgezogene Linie (Zeichen 340) von der Fahrbahn abgetrennt ist, im Kreuzungsbereich gerade nicht durch eine durchgezogene Linie von der restlichen Fahrbahn abgetrennt ist. Hier befindet sich eine unterbrochene Linie die es gerade erlaubt, beidseitig davon zu fahren.

Der Beklagte zu 2) hat sich deshalb in keinster Weise verkehrsordnungswidrig verhalten, als er im Kreuzungsbereich rechts an dem dort vor ihm fahrenden und links abbiegenden Fahrzeug vorbeigefahren ist."


Seitenabstand beim Vorbeifahren an stehendem Fahrzeug, wenn Anzeichen existieren



LG Karlsruhe, Urteil vom 01.09.2006 - 3 O 390/05 (externer Link):

"Der an einem parkenden Wagen vorbeifahrende Verkehrsteilnehmer darf nur darauf vertrauen, dass die Tür nicht plötzlich mit einem Ruck weit geöffnet wird (BGH, DAR 1981, 148, 149). Vorliegend ist grundsätzlich zu Lasten des Klägers zu berücksichtigen, dass die Zeugin D. nach ihrer eigenen Aussage den Beklagten Ziff. 1 links gegenüber seinem Fahrzeug gehen sehen hat und die Tür zu dem Fahrzeug einen Spalt weit geöffnet war. Welcher Seitenabstand von dem Vorbeifahrenden einzuhalten ist, entscheiden die Umstände des Einzelfalles. Liegen - wie hier - Anhaltspunkte dafür vor, dass die vom Vorbeifahrenden bemerkte, neben dem Fahrzeug sich befindliche Person die bereits einen Spalt weit geöffnete Tür weiter öffnen wird, hat der Seitenabstand jedenfalls mehr als 0,5 m zu betragen. Regelmäßig ist in solchen Fällen ein Seitenabstand von ca. 1 m einzuhalten (OLG Hamm, NZV 2004, 408; Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. Aufl., § 2 StVO Rn. 41 m. w. N.; KG Berlin, DAR 2005, 217)."


Seitenabstand verkehrsbedingt verringert



LG Karlsruhe, Urteil vom 01.09.2006 - 3 O 390/05 (externer Link):

"Regelmäßig ist in solchen Fällen ein Seitenabstand von ca. 1 m einzuhalten (OLG Hamm, NZV 2004, 408; Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. Aufl., § 2 StVO Rn. 41 m. w. N.; KG Berlin, DAR 2005, 217). Vorliegend ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Zeugin D. unstreitig und nach ihrer glaubhaften Aussage wegen eines anderen PKW-Fahrers, der mit seinem Fahrzeug nach links in die Grünstraße abbiegen wollte, dieses Vorhaben dann jedoch nicht umsetzte, weiter nach rechts ausweichen musste. Der Zeugin stand danach unerwartet und kurzfristig kein ausreichender Raum zur Verfügung, um einen größeren Seitenabstand einzuhalten. Unter diesen Umständen des Einzelfalles war der von ihr eingehaltene Seitenabstand ausreichend und liegt ein schuldhafter Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO nicht vor."


Sonderrechte - Privilegierungsumfang



BGH, Urteil vom 12.12.2023 - VI ZR 77/23 (externer Link):

"Wie vom Berufungsgericht zutreffend gesehen, befreit die beschränkte Privilegierung von Fahrzeugen der Müllabfuhr durch die Einräumung von Sonderrechten in § 35 Abs. 6 Satz 1 StVO nicht von der Einhaltung der übrigen Vorschriften der StVO (OLG Karlsruhe, r+s 2018, 671 Rn. 16; Rogler in Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., § 35 StVO, Stand 24.10.2023, Rn. 124)."


Sorgfaltsanforderungen beim Einsteigen und Aussteigen



LG Aachen, Urteil vom 23.02.2023 - 1 O 219/22 (externer Link):

"Zwar muss sich nach § 14 StVO, wer ein- oder aussteigt, so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Diese Sorgfaltsanforderung gilt für die gesamte Dauer eines Ein- oder Aussteigevorgangs, also für alle Vorgänge, die in einem unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang damit stehen. Wird beim Ein- oder Aussteigen ein anderer Verkehrsteilnehmer geschädigt, so spricht der Beweis des ersten Anscheins für eine fahrlässige Sorgfaltspflichtverletzung des Ein- oder Aussteigenden (vgl. BGH NJW 2009, 3791 = NZV 2010, 24; OLG Köln, Urteil vom 01.04.1992 - 11 U 234/91 = OLGR Köln 1992, 231). "


Stundensatz für Haushaltsführungsschaden



LG Tübingen, Urteil vom 10.12.2013 - 5 O 80/13 (externer Link):

"Der Stundensatz bei der Berechnung des Haushaltsführungsschadens kann gem. § 287 ZPO der entsprechenden Regelung des JVEG entnommen werden (§ 21 JVEG: 12 EUR bzw. jetzt 14 EUR)."


Tür geöffnet: nicht festgehalten oder zu weit geöffnet



BGH, URteil vom 06.10.2009, VI ZR 316/08 (externer Link):

"Dass es die beiden in Betracht kommenden Möglichkeiten, dass der Kläger entweder die Tür trotz der Vorbeifahrt des LKW weiter geöffnet oder diese jedenfalls nicht ausreichend festgehalten hat, gleich bewertet, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Die vom Berufungsgericht für angemessen gehaltene Quotierung ist in der Rechtsprechung auch anderweit bei einem ähnlichen Sachverhalt ausgeurteilt worden (OLG Hamm, aaO). Dagegen bestehen aus Rechtsgründen keine Bedenken."


Überholen bei unklarer Verkehrslage



LG Tübingen, Urteil vom 10.12.2013 - 5 O 80/13 (externer Link):

"Die Klägerin hat gegen das allgemeine Rücksichtnahmegebot verstoßen. Dieses setzt als Mindestmaß die Beachtung der Verkehrsvorschriften der StVO voraus. Hier hat die Klägerin gegen § 5 StVO verstoßen; sie hat bei unklarer Verkehrslage eine stehende Kolonne überholt, trotz Einmündungen in diesem Streckenbereich, trotz einer Tankstellenausfahrt auf der Gegenspur, trotz nicht erkennbarer Lücke zum Wiedereinscheren. Ob die Klägerin knapp links oder rechts der Mittellinie oder deutlich links der Mittellinie fuhr, ist danach schon nicht mehr entscheidend. Wer jedoch so regelwidrig an einer Kolonne vorbeifährt, es gelten insoweit für Motorräder dieselben Vorschriften wie für PKW (- eine Ausnahme gibt es nur für Fahrräder unter engen Voraussetzungen -) nimmt nicht Rücksicht, sondern setzt sich um des eigenen schnelleren Vorankommens über Verbote hinweg."


Überlegungszeit von 3 Tagen unproblematisch



LG München I, Endurteil vom 30.09.2021 - 19 O 6974/20 (externer Link):

"Dabei ist dem Kläger auch eine angemessene Überlegungsfrist zur Beauftragung des Rechtsbeistandes einzuräumen. Dieser Zeitraum ist hier vom 31.08 bis 02.09. nicht zu beanstanden."


Ummeldekosten nicht pauschal abrechenbar



LG München I, Endurteil vom 30.09.2021 - 19 O 6974/20 (externer Link):

"7. Im Übrigen war die Klage abzuweisen. Insbesondere stehen dem Kläger auch die pauschaliert geltend gemachten An- und Abmeldekosten in Höhe von 90 € nicht zu. Trotz Hinweis des Gerichts, dass diese nicht pauschaliert geltend gemacht werden können, da durch die Behörden hierfür Rechnungen ausgestellt werden, vgl. OLG München Urt. v. 23.01.2009 - 10 U 4104/08, wurde dahingehend nichts weiter vorgetragen oder vorgelegt."


Umsatzsteuer nur erstattungsfähig, wenn sie anfällt



LG München I, Endurteil vom 30.09.2021 - 19 O 6974/20 (externer Link):

"Entgegen der Ansicht des Klägers ist die im Wiederbeschaffungswert enthaltene Mehrwertsteuer von 14.050,42 € nicht ersatzfähig. Nach § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB schließt der bei der Beschädigung einer Sache zur Wiederherstellung erforderliche Geldbetrag die Umsatzsteuer nur mit ein, wenn und soweit sie tatsächlich angefallen ist. Die Umsatzsteuer soll hingegen nicht ersetzt werden, wenn und soweit sie nur fiktiv bleibt, weil es zu einer umsatzsteuerpflichtigen Reparatur oder Ersatzbeschaffung nicht kommt (BGH, Urteil vom 02. Oktober 2018 - VI ZR 40/18). Ausweislich der Anlage K7 ist ein Mehrwertsteueranteil im Rahmen der Ersatzbeschaffung nicht angefallen."


unabwendbares Ereignis



LG Köln, Urteil vom 19.04.2024 - 14 O 65/21 (externer Link):

"Unabwendbar ist ein Ereignis, welches auch durch die äußerst mögliche Sorgfalt nicht abgewendet werden kann, wozu ein am Maßstab des Idealfahrers orientiertes sachgemäßes, geistesgegenwärtiges Handeln gehört, welches alle möglichen Gefahrenmomente berücksichtigt (vergleiche Henschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl. 2017, StVG § 17 Rn. 22). Hierbei ist nicht nur maßgeblich, wie ein Idealfahrer in der konkreten Gefahrensituation reagiert hätte, sondern auch, ob er in eine solche Gefahrensituation überhaupt geraten wäre (BGH NJW 1992, 1684, 1685). § 17 Abs. 3 StVG verlangt, dass der Idealfahrer in seiner Fahrweise auch die Erkenntnisse berücksichtigt, die nach allgemeiner Erfahrung geeignet sind, Gefahrensituationen nach Möglichkeit zu vermeiden (BGH NJW 1992, 1684, 1685; OLG Jena BeckRS 2022, 5234 Rn. 31). Maßstab ist ein sachgemäßes, geistesgegenwärtiges Handeln erheblich über den Maßstab der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt i.S.v. § 276 BGB hinaus (BGH NZV 2005, 305, 306 m.w.N.). Dies ist daher auch unabhängig von der Feststellung eines Verstoßes gegen eine in der StVO kodifizierte Sorgfaltspflicht. Die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der ein unabwendbares Ereignis begründenden Tatsachen obliegt jeweils demjenigen, der sich zu seinen Gunsten darauf beruft (vergleiche Henschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl. 2017, StVG § 17 Rn. 23)."


Unabwendbarkeit



LG Aachen, Urteil vom 23.02.2023 - 1 O 219/22 (externer Link):

"Unabwendbarkeit liegt vor, wenn selbst ein Idealfahrer den Unfall bei äußert möglicher Sorgfalt nicht hätte vermeiden können (vgl. Heß/ Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 27. Aufl., 2022, § 17 Rn. 8)."


Unabwendbarkeit aus Sicht des Idealfahrers



LG Kassel, Urteil vom 08.03.2013 - 5 O 118/12 (externer Link):

"Der Sachverständige ist hier zu dem Ergebnis gekommen, dass der Kläger bei einer Geschwindigkeit von 4 km/h (unterer Bereich der Schrittgeschwindigkeit) den Unfall vermieden hätte. Unabwendbar ist ein Ereignis nur dann, wenn es durch äußerste mögliche Sorgfalt nicht abgewendet werden kann. Abzustellen ist insoweit auf das Verhalten des sog. „Idealfahrers“ (König, in: Hentschel, 41. Aufl. 2011, § 17 StVG Rn. 22). Ein sog. Idealfahrer hätte also in der Situation bei den gegebenen Sicht- und Straßenverhältnissen den Unfall wahrscheinlich vermeiden können. Dies rechtfertigt im konkreten Fall nach Einschätzung des Gerichts unter Würdigung der dargelegten Umstände die Betriebsgefahr von 20 %."


Verschulden bzgl. Erstunfall auch für Folgeunfall



OLG Celle, Urteil vom 05.08.2020 - 14 U 37/20 (externer Link):

"(2) Zu Lasten der Beklagten ist darüber hinaus allerdings auch der zum Erstunfall führende Verkehrsverstoß zu berücksichtigen. Nach dem unstreitigen Vorbringen der Parteien, hat der Beklagte zu 1) nach links auf die B ... abbiegen wollen und den ihm entgegenkommenden Zeugen H. nicht zuvor passieren lassen, so dass es zur Kollision (Erstunfall) kam. Es steht außer Streit (vgl. zuletzt Berufungserwiderung der Beklagten, dort S. 2 unten / 3 oben), dass der Beklagte zu 1) den Erstunfall schuldhaft verursacht hat. Der Verkehrsverstoß folgt aus § 9 Abs. 3 S. 1 StVO.

Dieser Verkehrsverstoß ist auch hier, d.h. in Bezug auf den Zweitunfall, zu berücksichtigen (vgl. insofern u.a. Senat, Urteile vom 27.09.2001 – 14 U 23/01 –, juris; vom 22. Januar 2020 – 14 U 150/19 –, juris; und vom 26. Februar 2020 – 14 U 169/19 –, nicht veröffentlicht; OLG Hamm, Urteil vom 08. November 2019 – I-9 U 10/19 –, juris). Davon gehen allerdings auch die Parteien aus (vgl. zuletzt Berufungserwiderung, a.a.O.)."


Vertrauensgrundsatz



BGH, Urteil vom 12.12.2023 - VI ZR 77/23 (externer Link):

"Zwar kann nach dem im Straßenverkehr geltenden Vertrauensgrundsatz ein Verkehrsteilnehmer, der sich verkehrsgemäß verhält, damit rechnen, dass ein anderer Verkehrsteilnehmer den Verkehr nicht durch pflichtwidriges Verhalten gefährdet. Das gilt aber nur, solange die sichtbare Verkehrslage zu keiner anderen Beurteilung Anlass gibt (vgl. Senatsurteil vom 4. April 2023 - VI ZR 11/21, NJW 2023, 2108 Rn. 11 mwN). Zu den Ausnahmen vom Vertrauensgrundsatz zählen nicht nur solche Verkehrswidrigkeiten, die der Verkehrsteilnehmer rechtzeitig wahrnimmt oder hätte wahrnehmen können, sondern auch solche, die möglicherweise noch nicht erkennbar sind, mit denen ein gewissenhafter Fahrer aber pflichtgemäß rechnen muss (vgl. Senatsurteile vom 15. Mai 1973 - VI ZR 62/72, VersR 1973, 765, 766, juris Rn. 13; vom 4. Oktober 1966 - VI ZR 23/65, VersR 1966, 1157, juris Rn. 11; BGH, Beschluss vom 27. Mai 1959 - 4 StR 49/59, BGHSt 13, 169, 173, juris Rn. 12).

(2) Das Hauptaugenmerk der mit dem Holen, Entleeren und Zurückbringen von Müllcontainern befassten Müllwerker ist auf ihre Arbeit gerichtet, die sie überwiegend auf der Straße und effizient, das heißt in möglichst kurzer Zeit und auf möglichst kurzen Wegen, zu erledigen haben. Wer an einem Müllabfuhrfahrzeug vorbeifährt, das erkennbar im Einsatz ist, darf daher nicht uneingeschränkt auf ein verkehrsgerechtes Verhalten der Müllwerker vertrauen. Er muss typischerweise damit rechnen, dass Müllwerker plötzlich vor oder hinter dem Müllabfuhrfahrzeug hervortreten und unachtsam einige Schritte weiter in den Verkehrsraum seitlich des Müllabfuhrfahrzeugs tun, bevor sie sich über den Verkehr vergewissern. Auf diese typischerweise mit dem Einsatz von Müllabfuhrfahrzeugen verbundenen Gefahren hat der vorbeifahrende Verkehrsteilnehmer sein Fahrverhalten einzurichten.

(...)

Die diesbezüglichen Anforderungen ergeben sich aber aus § 1, § 3 Abs. 1 Satz 2 StVO und den oben angeführten Einschränkungen des Vertrauensgrundsatzes. Es ist die typischerweise zu erwartende besondere Gefährdung von Personen (hier: Müllwerkern), die es rechtfertigt, besondere Vorsicht in der genannten Art und Weise zu verlangen.

(....)

Grundsätzlich richtig ist auch die Ansicht des Berufungsgerichts, dass es der Vertrauensgrundsatz nicht gebietet, mit jedwedem Fehlverhalten anderer Verkehrsteilnehmer zu rechnen. Mit einem plötzlich hinter dem Müllabfuhrfahrzeug hervortretenden Müllwerker, der einen Müllcontainer jedenfalls hinter sich herzieht, war aber auch im Streitfall zu rechnen. Bereits diese Typik hätte die Zeugin M. veranlassen müssen, ihre Geschwindigkeit so weit zu drosseln, dass sie ihr Fahrzeug notfalls sofort zum Stehen bringen konnte. Der unfallursächliche und schuldhafte Verstoß gegen dieses Gebot wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass es im konkreten Fall nicht der Müllwerker, sondern der von diesem geschobene Müllcontainer war, der vor das Fahrzeug der Klägerin geriet. Auch davor soll § 1 StVO schützen. Zudem kann sich auf den Vertrauensgrundsatz grundsätzlich nicht berufen, wer sich selbst über die Verkehrsregeln hinwegsetzt (vgl. Senatsurteile vom 4. April 2023 - VI ZR 11/21, NJW 2023, 2108 Rn. 11; vom 25. März 2003 - VI ZR 161/02, NJW 2003, 1929, 1931, juris Rn. 17; BGH, Urteil vom 10. April 1968 - 4 StR 62/68, NJW 1968, 1532, 1533, juris Rn. 10). Vor diesem Hintergrund schließt die Schwere des Verstoßes des Beklagten zu 1 gegen § 1 Abs. 2 StVO das Vorliegen des Verkehrsverstoßes der Zeugin M. an sich nicht aus, sondern ist nur ein im Rahmen der Abwägung gemäß § 17 Abs. 2 StVG zu berücksichtigender Gesichtspunkt."


Vertrauensgrundsatz - Vertrauen endet, wenn Anlass zum Vertrauen erschüttert ist



BGH, Urteil vom 04.04.2023 - VI ZR 11/21 (externer Link):

"Hat - wie im Streitfall - ein aus Sicht des Kraftfahrers von links die Fahrbahn querender Fußgänger die Fahrbahn bereits betreten und ist noch in Bewegung, darf der Kraftfahrer nach der Senatsrechtsprechung nicht in jedem Fall darauf vertrauen, der Fußgänger werde in der Mitte der Fahrbahn stehenbleiben und ihn vorbeilassen (vgl. Senatsurteile vom 24. Februar 1987 - VI ZR 19/86, NJW 1987, 2377, juris Rn. 20; vom 29. April 1975 - VI ZR 225/73, VersR 1975, 858, 859, juris Rn. 12; vom 3. Mai 1966 - VI ZR 178/65, VersR 1966, 736, 737, juris Rn. 15; vom 26. Mai 1964 - VI ZR 52/63, VersR 1964, 846 f.). Richtig handelt zwar ein Fußgänger, der beim Überschreiten einer belebten und nicht allzu schmalen Straße zunächst, soweit es der von links kommende Verkehr gestattet, bis zur Mitte geht und dort wartet, bis er auch die andere Fahrbahnhälfte überqueren kann (vgl. Senatsurteile vom 29. April 1975 - VI ZR 225/73, VersR 1975, 858, 859, juris Rn. 12; vom 7. Juni 1966 - VI ZR 255/64, VersR 1966, 873, 874, juris Rn. 22). Ob der Kraftfahrer darauf immer nur dann vertrauen darf, wenn er sicher sein kann, dass der Fußgänger ihn gesehen und sich erkennbar auf die Verkehrslage eingestellt hat, wie der Senat in seinem Urteil vom 29. April 1975 - VI ZR 225/73 formuliert hat (VersR 1975, 858, 859, juris Rn. 12), kann im Streitfall dahinstehen. Jedenfalls ist nach den oben genannten allgemeinen Grundsätzen dem Vertrauen darauf, der Fußgänger werde an einer vorhandenen Mittellinie anhalten und das bevorrechtigte Fahrzeug passieren lassen, dann die Grundlage entzogen, wenn bei verständiger Würdigung aller Umstände Anlass für den Kraftfahrer besteht, am verkehrsgerechten Verhalten des Fußgängers zu zweifeln, wie es im Übrigen auch in dem vom Senat in seinem oben genannten Urteil vom 29. April 1975 zu entscheidenden Sachverhalt der Fall war."


Vertrauensgrundsatz - vertraut der Geschädigte dem Vertrauensgrundsatz nicht und überreagiert, ist das sein Problem



OLG Hamm, Urteil vom 09.05.2023 - 7 U 17/23 (externer Link):

"Es gab keine konkreten objektiven Anhaltspunkte dahin, dass die Klägerin nicht auf den ihr zu Gute kommenden Vertrauensgrundsatz bauen konnte. Nach diesem Grundsatz durfte die Klägerin als sich regelgerecht verhaltende Verkehrsteilnehmerin darauf vertrauen, dass der Beklagte zu 2 ihr Vorfahrtsrecht beachten wird, solange die sichtbare Verkehrslage zu keiner anderen Beurteilung Anlass gab (vgl. BGH Urt. v. 4.4.2023 - VI ZR 11/21, BeckRS 2023, 9120 Rn. 11). Sichtbaren Anlass hätte der Beklagte zu 2 aber nur gesetzt, wenn er die gestrichelte Linie des Fahrradweges überfahren oder sich aus seiner Fahrweise ergeben hätte, dass er diese unter Missachtung des Vorfahrtsrechts der Klägerin überfahren werde (vgl. zum Überschreiten oder zur wahrnehmbar drohenden Überschreitung der Mittellinie durch einen die Straße querenden Fußgänger BGH Urt. v. 4.4.2023 - VI ZR 11/21, BeckRS 2023, 9120 Rn. 13 f.). Beides ist nicht schlüssig dargelegt."


Vertrauensgrundsatz in verkehrsgerechtes Verhalten



BGH, Urteil vom 04.04.2023 - VI ZR 11/21 (externer Link):

"a) Nach dem im Straßenverkehr geltenden Vertrauensgrundsatz kann ein Verkehrsteilnehmer, der sich verkehrsgemäß verhält, damit rechnen, dass ein anderer Verkehrsteilnehmer den Verkehr nicht durch pflichtwidriges Verhalten gefährdet, solange die sichtbare Verkehrslage zu keiner anderen Beurteilung Anlass gibt (vgl. nur Senatsurteile vom 20. September 2011 - VI ZR 282/10, NJW-RR 2012, 157 Rn. 9; vom 25. März 2003 - VI ZR 161/02, VersR 2003, 783, 785, juris Rn. 16 mwN; vom 3. Dezember 1991 - VI ZR 98/91, VersR 1992, 203, 204, juris Rn. 13 mwN; vom 15. Mai 1973 - VI ZR 62/72, VersR 1973, 765, 766, juris Rn. 13; vom 24. November 1959 - VI ZR 213/58, VersR 1960, 495, 496; BGH, Urteil vom 15. März 1956 - 4 StR 74/56, BGHSt 9, 92, 93 f., juris Rn. 9; Beschlüsse vom 27. Mai 1959 - 4 StR 49/59, BGHSt 13, 169, 172, juris Rn. 12; vom 12. Juli 1954 - VGS 1/54, BGHZ 14, 232, 237)."


Vertrauensgrundsatz in verkehrsgerechtes Verhalten



BGH, Urteil vom 04.04.2023 - VI ZR 11/21 (externer Link):

"Dementsprechend muss ein Kraftfahrer am Fahrbahnrand befindliche oder vor ihm die Fahrbahn überquerende Fußgänger im Auge behalten und in seiner Fahrweise erkennbaren Gefährdungen Rechnung tragen (vgl. Senatsurteile vom 24. Februar 1987 - VI ZR 19/86, NJW 1987, 2377, juris Rn. 18 mwN; vom 7. Juli 1959 - VI ZR 154/58, VersR 1959, 833; vom 11. Dezember 1956 - VI ZR 267/55, VersR 1957, 128). Er braucht aber weder damit zu rechnen, dass ein erwachsener Fußgänger versuchen wird, kurz vor seinem Fahrzeug die Fahrbahn zu betreten, noch darauf gefasst zu sein, dass ein Fußgänger, der beim Überschreiten der Fahrbahn vor oder in der Mitte der Straße anhält, unerwartet weiter in seine Fahrbahn laufen werde, solange er bei verständiger Würdigung aller Umstände keinen Anlass hat, an dem verkehrsgerechten Verhalten des Fußgängers zu zweifeln (vgl. Senatsurteile vom 21. Mai 1968 - VI ZR 19/67, VersR 1968, 848, 849, juris Rn. 10; vom 7. Februar 1967 - VI ZR 132/65, VersR 1967, 457, 458, juris Rn. 18 f.; vom 24. November 1959 - VI ZR 213/58, VersR 1960, 495, 496; vom 7. Juli 1959 - VI ZR 154/58, VersR 1959, 833; vom 11. Dezember 1956 - VI ZR 267/55, VersR 1957, 128; BGH, Urteile vom 22. Januar 1960 - 4 StR 540/59, BGHSt 14, 97, 99, juris Rn. 6 mwN; vom 15. März 1956 - 4 StR 74/56, BGHSt 9, 92, 94, juris Rn. 9)."


Vertrauensgrundsatz nur für die rechtmäßig Handelnden



BGH, Urteil vom 12.12.2023 - VI ZR 77/23 (externer Link):

"Zudem kann sich auf den Vertrauensgrundsatz grundsätzlich nicht berufen, wer sich selbst über die Verkehrsregeln hinwegsetzt (vgl. Senatsurteile vom 4. April 2023 - VI ZR 11/21, NJW 2023, 2108 Rn. 11; vom 25. März 2003 - VI ZR 161/02, NJW 2003, 1929, 1931, juris Rn. 17; BGH, Urteil vom 10. April 1968 - 4 StR 62/68, NJW 1968, 1532, 1533, juris Rn. 10)."


Verzugsbeginn bei Möglichkeit der Ermittlung



OLG Hamm, Urteil vom 07.11.2023 - 7 U 131/22 (externer Link):

"Dass sie 30,00 Euro statt der berechtigten 25,00 Euro verlangt hat, steht dem Verzugseintritt nicht entgegen. Insbesondere der Beklagten zu 1 ist als Kfz-Haftpflichtversicherer bekannt, in welcher Höhe Kostenpauschalen regelmäßig gewährt werden, so dass sie die berechtigte Forderung hätte bestimmen und jedenfalls die üblichen 25,00 Euro zahlen können."


Verzugswirkung auch ggü. Versicherungsnehmern



OLG Hamm, Urteil vom 07.11.2023 - 7 U 131/22 (externer Link):

"Die verzugsbegründende Wirkung des Anwaltsschreibens vom 08.01.2021 ist auch gegenüber den Beklagten zu 2 und 3 eingetreten, obwohl das Schreiben lediglich an die Beklagte zu 1 gerichtet war. Gemäß § 425 BGB wirken verzugsbegründende Tatsachen - soweit sich aus dem Schuldverhältnis nicht ein anderes ergibt - grundsätzlich nur für und gegen den Gesamtschuldner, in dessen Person sie eintreten. Allerdings hat die Mahnung gegenüber dem Kfz-Haftpflichtversicherer aufgrund der in den AKB vereinbarten Regulierungsvollmacht des Haftpflichtversicherers Gesamtwirkung, also auch gegenüber dem Halter und Fahrer (vgl. Senat Urt. v. 3.12.2021 - I-7 U 33/20, juris Rn. 23, Beschl. v. 19.10.2021 - I-7 W 11/21, juris Rn. 27; Grüneberg in: Grüneberg, BGB, 82. Auflage 2023, § 425 Rn. 3 unter Verweis auf OLG München Endurt. v. 3.6.2016 - 10 U 124/16, BeckRS 2016, 10881, beckonline). Insoweit befanden die Beklagten sich seit dem 23.01.2021 mit der Zahlung der Kostenpauschale in Verzug."


Vorbeifahren an einem Müllfahrzeug



BGH, Urteil vom 12.12.2023 - VI ZR 77/23 (externer Link):

"(1) Wie das Berufungsgericht im Ausgangspunkt zutreffend gesehen hat, ist von Verkehrsteilnehmern, die an im Einsatz befindlichen Müllabfuhrfahrzeugen vorbeifahren, gemäß § 1 StVO besondere Vorsicht und Rücksichtnahme zu fordern, um Müllwerker nicht zu gefährden.

(.....)

(2) Das Hauptaugenmerk der mit dem Holen, Entleeren und Zurückbringen von Müllcontainern befassten Müllwerker ist auf ihre Arbeit gerichtet, die sie überwiegend auf der Straße und effizient, das heißt in möglichst kurzer Zeit und auf möglichst kurzen Wegen, zu erledigen haben. Wer an einem Müllabfuhrfahrzeug vorbeifährt, das erkennbar im Einsatz ist, darf daher nicht uneingeschränkt auf ein verkehrsgerechtes Verhalten der Müllwerker vertrauen. Er muss typischerweise damit rechnen, dass Müllwerker plötzlich vor oder hinter dem Müllabfuhrfahrzeug hervortreten und unachtsam einige Schritte weiter in den Verkehrsraum seitlich des Müllabfuhrfahrzeugs tun, bevor sie sich über den Verkehr vergewissern. Auf diese typischerweise mit dem Einsatz von Müllabfuhrfahrzeugen verbundenen Gefahren hat der vorbeifahrende Verkehrsteilnehmer sein Fahrverhalten einzurichten. Lässt sich ein ausreichender Seitenabstand zum Müllabfuhrfahrzeug, durch den die Gefährdung eines plötzlich vor oder hinter dem Müllabfuhrfahrzeug hervortretenden Müllwerkers vermieden werden kann, nicht einhalten, so ist die Geschwindigkeit gemäß § 1, § 3 Abs. 1 Satz 2 StVO so weit zu drosseln, dass der Verkehrsteilnehmer sein Fahrzeug notfalls sofort zum Stehen bringen kann (vgl. OLG Hamm, NJW-RR 1988, 866, 867 und OLG Karlsruhe, r+s 2018, 671 Rn. 24 mwN: in der Regel Schrittgeschwindigkeit; ebenso LG Münster, ZfSch 2002, 422, 423, juris Rn. 20; Freymann in Geigel, Haftpflichtprozess, 28. Aufl., § 35 StVO Rn. 713; für die Vorbeifahrt an einem Linienbus schon vor Schaffung des heutigen § 20 StVO vgl. auch: Senatsurteil vom 21. Februar 1967 - VI ZR 145/65, VersR 1967, 582, juris Rn. 15; BGH, Urteil vom 10. April 1968 - 4 StR 62/68, NJW 1968, 1532 f., juris Rn. 5; Beschluss vom 27. Mai 1959 - 4 StR 49/59, BGHSt 13, 169, 175, juris Rn. 15 f.).


(....)

(3) (...) Der seitliche Abstand zwischen dem Fahrzeug der Klägerin und dem Müllabfuhrfahrzeug betrug allenfalls rund 50 cm. In dieser Situation war die festgestellte Ausgangsgeschwindigkeit von mindestens 13 km/h zu hoch, als dass die Zeugin M. das Fahrzeug notfalls - das heißt insbesondere vor einem plötzlich hinter dem Müllabfuhrfahrzeug hervortretenden Müllwerker - sofort zum Stehen hätte bringen können. Daran ändert die Feststellung des Berufungsgerichts nichts, dass der Unfall für die Zeugin bei einer Bremsausgangsgeschwindigkeit von unter 14 km/h räumlich vermeidbar gewesen wäre. (.....) Die Zeugin hatte aber so angepasst zu fahren, dass sie auch bei Erkennen einer Gefahr in weniger als fünf Metern Entfernung das Fahrzeug rechtzeitig hätte zum Stehen bringen können. Abgesehen davon käme ein schuldhafter Verstoß gegen § 1 StVO auch in Betracht, wenn die Zeugin M. bei einer Geschwindigkeit von unter 14 km/h, obwohl ihr das möglich gewesen wäre, nicht rechtzeitig reagiert hätte."


Vorbeifahren an Hindernis ohne Sicht ist Sorgfaltspflichtverstoß



LG Kassel, Urteil vom 08.03.2013 - 5 O 118/12 (externer Link):

"Allerdings steht nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung und der durchgeführten Beweisaufnahme zur Überzeugung des Gerichts fest, dass auch der Kläger gegen seine Sorgfaltspflicht aus § 1 Abs. 2 StVO verstoßen hat.Denn er fuhr, wenn auch mit geringer Geschwindigkeit, trotz fehlender Sicht am Sprinter vorbei."


Vorderes Fahrzeug darf kräftig abbremsen im Vertrauen auf unfallvermeidendes Verhalten der hinteren Fahrzeuge



AG Hildesheim, Urteil vom 07.08.2008 - 47 C 119/08 (externer Link):

"22cc) Ein Fahrzeugführer darf sein Fahrzeug auch dann bei einem Wechsel der Lichtzeichen von Grün auf Gelb - durchaus heftig - abbremsen, wenn hinter ihm weitere Fahrzeuge fahren. Denn er darf sich darauf verlassen, dass sich die Führer hinter ihm fahrender Fahrzeuge ihrerseits an die Verkehrsregeln halten, also gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 StVO einen so großen Abstand zum Vorausfahrenden einhalten, dass auch bei plötzlichem Abbremsen des Vorausfahrendem wegen Umschaltens einer Wechsellichtanlage hinter diesem gehalten werden kann und es nicht zu einem Auffahrunfall kommt (Hentschel- König , Straßenverkehrsrecht, 39. Auflage München 2007, § 37 StVO Rn. 48)."


vorkolliosionäres Fehlerverhalten ist ohne dessen Unfallkausalität irrelevant



LG München I, Endurteil vom 30.09.2021 - 19 O 6974/20 (externer Link):

"Ein Mitverschulden des klägerischen Fahrers ist darüber hinaus nicht erkennbar. Dabei ist anzumerken, dass dabei nur solche Umstände berücksichtigt werden können, die unstreitig oder bewiesen sind und sich kausal auch im Unfall niedergeschlagen haben. Inwieweit sich ein etwaiges falsches Rechtsüberholen von drei auf der mittleren Fahrspur fahrenden Fahrzeugen durch den klägerischen Fahrer kausal auf den Unfall ausgewirkt haben soll, wird durch die Beklagtenpartei weder dargelegt, noch erschließt sich dies dem Gericht. Soweit ferner durch die Beklagtenpartei vorgetragen wird, dass der klägerische Fahrer vorkollisionär selbst einen Fahrspurwechsel vorgenommen hätte, bleibt sie dabei auch den Nachweis schuldig, dass sich dies kausal auf den Unfall ausgewirkt hätte. Zum einen trägt die Beklagtenseite selbst nicht vor, dass der rückwärtige Raum durch den Beklagten zu 1) zu Beginn des Fahrspurwechsels überhaupt geprüft worden wäre. Darüber hinaus, stellte der Sachverständige fest, dass ein etwaiger Fahrspurwechsel deutlich vor dem Kollisionszeitpunkt bereits abgeschlossen gewesen sein müsste und das fahrende Kläger-Fahrzeug für den Beklagten zu 1) bei einer Rückschau vor Beginn des Fahrspurwechsels erkennbar gewesen wäre."


Vorschäden sind kein Teil eines aktuellen Schdensresatzanspruchs



BGH, Urteil vom 16.01.2024 - VI ZR 253/22 (externer Link):

"aa) So haben selbstverständlich Reparaturen bei der Bemessung des erforderlichen Herstellungsaufwandes auszuscheiden, die nur bei Gelegenheit der Instandsetzungsarbeiten mitausgeführt worden sind (Senatsurteile vom 26. April 2022 - VI ZR 147/21, NJW 2022, 2840 Rn. 15; vom 29. Oktober 1974 - VI ZR 42/73, BGHZ 63, 182, 187, juris Rn. 14). Der Geschädigte trägt die Darlegungs- und Beweislast für das Vorhandensein und die Unfallbedingtheit der jeweiligen Fahrzeugschäden und dafür, dass die abgerechneten Instandsetzungsarbeiten Teil der Reparatur dieser Unfallschäden sind. Insoweit kann er sich weder auf das Werkstattrisiko noch auf eine sich als unzutreffend erweisende Einschätzung des von ihm eingeschalteten Privatgutachters berufen."


Vorschriftszeichen 220



BGH, Urteil vom 10.10.2023 - VI ZR 287/22 (externer Link):

"Denn entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts verstieß die Beklagte zu 1 gegen das durch das Vorschriftszeichen 220 in Verbindung mit § 41 Abs. 1 StVO angeordnete Gebot. Das Vorschriftszeichen 220 gebietet, dass die Einbahnstraße nur in vorgeschriebener Fahrtrichtung befahren werden darf. In der Gegenrichtung steht sie dem Fahrzeugverkehr auf der Fahrbahn grundsätzlich nicht zur Verfügung (vgl. Senatsurteil vom 6. Oktober 1981 - VI ZR 296/79, NJW 1982, 334, juris Rn. 10). Auf die Stellung des Fahrzeugs im Verhältnis zur vorgeschriebenen Fahrtrichtung kommt es nicht an. Verboten ist auch das Rückwärtsfahren entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung (vgl. OLG Düsseldorf, NJW-RR 2018, 657, 658, juris Rn. 22; OLG Karlsruhe, DAR 1978, 171). Lediglich (unmittelbares) Rückwärtseinparken ("Rangieren") ist - ebenso wie Rückwärtseinfahren aus einem Grundstück auf die Straße - kein unzulässiges Rückwärtsfahren auf Richtungsfahrbahnen gegen die Fahrtrichtung (vgl. OLG Düsseldorf, NJW-RR 2018, 657, 658, juris Rn. 20; VGH Baden-Württemberg, Justiz 2017, 355, juris Rn. 5; Ternig, VD 2018, 208). Demgegenüber ist Rückwärtsfahren auch dann unzulässig, wenn es dazu dient, erst zu einer (freien oder freiwerdenden) Parklücke zu gelangen (vgl. OLG Düsseldorf, NJW-RR 2018, 657, 658, juris Rn. 22; OLG Karlsruhe, DAR 1978, 171; König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht 47. Aufl., § 9 StVO Rn. 51, § 41 StVO Rn. 248b; a.A. Burmann in Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht 27. Aufl., § 9 StVO Rn. 67; Freymann in Geigel, Haftpflichtprozess 28. Aufl., Kap. 27 Rn. 306). Entsprechendes gilt, wenn das Rückwärtsfahren dazu dient, einem Fahrzeug die Ausfahrt aus einer Parklücke zu ermöglichen, um anschließend selbst in diese einfahren zu können. Nach den getroffenen Feststellungen fuhr die Beklagte zu 1 einige Meter rückwärts, um einem ausparkenden Fahrzeug Platz zu machen."


Warnblinklicht ist einzuschalten



OLG Celle, Urteil vom 05.08.2020 - 14 U 37/20 (externer Link):

"(1) Das Landgericht hat auf einen Verstoß gegen § 15 Abs. 1 S. 1 StVO erkannt, weil der Beklagte zu 1) vor Verlassen seines Fahrzeugs das Warnblinklicht nicht eingeschaltet hat (LGU S. 7). Das greifen die Beklagten im Berufungsverfahren nicht an. Dass die Wertung des Landgerichts fehlerhaft sein könnte, ist auch sonst nicht ersichtlich."


Werkstattrisiko



BGH, Urteil vom 16.01.2024 - VI ZR 253/22 (externer Link):

"b) Übergibt der Geschädigte das beschädigte Fahrzeug an eine Fachwerkstatt zur Instandsetzung, ohne dass ihn insoweit ein (insbesondere Auswahl- oder Überwachungs-)Verschulden trifft, sind dadurch anfallende Reparaturkosten im Verhältnis des Geschädigten zum Schädiger aufgrund der subjektbezogenen Schadensbetrachtung auch dann vollumfänglich ersatzfähig, wenn sie etwa wegen überhöhter Ansätze von Material oder Arbeitszeit oder wegen unsachgemäßer oder unwirtschaftlicher Arbeitsweise der Werkstatt unangemessen, mithin nicht erforderlich im Sinne von § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB sind (vgl. Senatsurteile vom 26. April 2022 - VI ZR 147/21, NJW 2022, 2840 Rn. 12; vom 29. Oktober 1974 - VI ZR 42/73, BGHZ 63, 182, 186, juris Rn. 12); in einem solchen Fall gegebenenfalls bestehende Ansprüche des Geschädigten gegen den Werkstattbetreiber spielen nur insoweit eine Rolle, als der Schädiger im Rahmen des Vorteilsausgleichs deren Abtretung verlangen kann (Senatsurteile vom 26. April 2022 - VI ZR 147/21, NJW 2022, 2840 Rn. 12; vom 29. Oktober 1974 - VI ZR 42/73, BGHZ 63, 182, 187, juris Rn. 13). Das Werkstattrisiko verbleibt damit - wie bei § 249 Abs. 1 BGB - auch im Rahmen des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB im Verhältnis des Geschädigten zum Schädiger beim Schädiger (Senatsurteile vom 26. April 2022 - VI ZR 147/21, NJW 2022, 2840 Rn. 12; vom 29. Oktober 1974 - VI ZR 42/73, BGHZ 63, 182, 185, juris Rn. 10; ferner Senatsurteile vom 16. November 2021 - VI ZR 100/20, DAR 2022, 84 Rn. 7; vom 10. Juli 2007 - VI ZR 258/06, NJW 2007, 2917 Rn. 11; vom 15. Oktober 1991 - VI ZR 314/90, BGHZ 115, 364, 370, juris Rn. 15; LG Saarbrücken, NJW 2022, 87 Rn. 6, 10)."


Werkstattrisiko - auch der "Service aus einer Hand" ist zulässig



BGH, Urteil vom 16.01.2024 - VI ZR 51/23 (externer Link):

"2. Anders als die Revision meint, ist dagegen nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht in der Inanspruchnahme des der Klägerin von der beauftragten Werkstatt angebotenen Schadenservices keinen Umstand gesehen hat, der einer Verlagerung des Werkstattrisikos auf die Beklagte entgegensteht. Dass sich die Klägerin direkt an die Werkstatt wandte, die zunächst "i.A. des Anspruchstellers" ein Sachverständigengutachten einholte und nach Vorlage des Gutachtens die Reparatur durchführte, stellt kein relevantes (Auswahl- oder Überwachungs-)Verschulden der Klägerin dar. Die Revision meint, das Verschulden der Geschädigten bei Inanspruchnahme eines solchen "Schadenservices aus einer Hand" bestehe darin, dass sich die Geschädigte damit jeglicher Möglichkeit einer Plausibilitätskontrolle begeben habe. Sie habe ihren Reparaturauftrag nicht auf der Grundlage eines von ihr eingeholten Sachverständigengutachtens erteilt und könne sich daher nicht auf die subjektbezogene Schadensbetrachtung berufen. Diesem Einwand liegt bereits ein fehlerhaftes Verständnis der Senatsrechtsprechung zum Inhalt des Wirtschaftlichkeitsgebots zu Grunde. Zudem wird er dem im Streitfall festgestellten Sachverhalt nicht gerecht.

"


Werkstattrisiko - auch nicht durchgeführte Reparaturen umfasst



BGH, Urteil vom 16.01.2024 - VI ZR 51/23 (externer Link):

"c) Die genannten Grundsätze, an denen der Senat festhält, gelten auch für Rechnungspositionen, die sich auf - für den Geschädigten nicht erkennbar - tatsächlich nicht durchgeführte einzelne Reparaturschritte und -maßnahmen beziehen. Denn auch diese haben ihren Grund darin, dass die Schadensbeseitigung in einer fremden, vom Geschädigten nicht kontrollierbaren Einflusssphäre stattfinden muss (vgl. Senatsurteil vom 29. Oktober 1974 - VI ZR 42/73, BGHZ 63, 182, 185, juris Rn. 10). Soweit dem Urteil des Senats vom 26. April 2022 (VI ZR 147/21, NJW 2022, 2840 Rn. 14-16) etwas anderes zu entnehmen sein sollte, hält der Senat hieran nicht fest."


Werkstattrisiko - auch überhöhte Kosten sind erstattungspflichtig



BGH, Urteil vom 16.01.2024 - VI ZR 51/23 (externer Link):

"b) Übergibt der Geschädigte das beschädigte Fahrzeug an eine Fachwerkstatt zur Instandsetzung, ohne dass ihn insoweit ein (insbesondere Auswahl- oder Überwachungs-)Verschulden trifft, sind dadurch anfallende Reparaturkosten im Verhältnis des Geschädigten zum Schädiger aufgrund der subjektbezogenen Schadensbetrachtung auch dann vollumfänglich ersatzfähig, wenn sie etwa wegen überhöhter Ansätze von Material oder Arbeitszeit oder wegen unsachgemäßer oder unwirtschaftlicher Arbeitsweise der Werkstatt unangemessen, mithin nicht erforderlich im Sinne von § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB sind (vgl. Senatsurteile vom 26. April 2022 - VI ZR 147/21, NJW 2022, 2840 Rn. 12; vom 29. Oktober 1974 - VI ZR 42/73, BGHZ 63, 182, 186, juris Rn. 12); in einem solchen Fall gegebenenfalls bestehende Ansprüche des Geschädigten gegen den Werkstattbetreiber spielen nur insoweit eine Rolle, als der Schädiger im Rahmen des Vorteilsausgleichs deren Abtretung verlangen kann (Senatsurteile vom 26. April 2022 - VI ZR 147/21, NJW 2022, 2840 Rn. 12; vom 29. Oktober 1974 - VI ZR 42/73, BGHZ 63, 182, 187, juris Rn. 13). Das Werkstattrisiko verbleibt damit - wie bei § 249 Abs. 1 BGB - auch im Rahmen des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB im Verhältnis des Geschädigten zum Schädiger beim Schädiger (Senatsurteile vom 26. April 2022 - VI ZR 147/21, NJW 2022, 2840 Rn. 12; vom 29. Oktober 1974 - VI ZR 42/73, BGHZ 63, 182, 185, juris Rn. 10; ferner Senatsurteile vom 16. November 2021 - VI ZR 100/20, DAR 2022, 84 Rn. 7; vom 10. Juli 2007 - VI ZR 258/06, NJW 2007, 2917 Rn. 11; vom 15. Oktober 1991 - VI ZR 314/90, BGHZ 115, 364, 370, juris Rn. 15; LG Saarbrücken, NJW 2022, 87 Rn. 6, 10)."


Werkstattrisiko - bei unbezahlter Rechnung möglich bei Zahlungsverlangen an Werkstatt



BGH, Urteil vom 16.01.2024 - VI ZR 239/22 (externer Link):

"5. Die Anwendung der genannten Grundsätze zum Werkstattrisiko setzt nicht voraus, dass der Geschädigte die Reparaturrechnung bereits bezahlt hat. Soweit der Geschädigte die Reparaturrechnung nicht beglichen hat, kann er - will er das Werkstattrisiko nicht selbst tragen - die Zahlung der Reparaturkosten allerdings nicht an sich, sondern nur an die Werkstatt verlangen (hierzu und zum Folgenden Senat, Urteil vom heutigen Tag - VI ZR 253/22 unter II.2.e).

a) Hat der Geschädigte die Rechnung der Werkstatt nicht (vollständig) beglichen, so ist zu berücksichtigen, dass ein Vorteilsausgleich durch Abtretung etwaiger Gegenansprüche des Geschädigten gegen die Werkstatt an den Schädiger aus Rechtsgründen nicht gelingen kann, wenn der Geschädigte auch nach Erhalt der Schadensersatzleistung vom Schädiger von der (Rest-)Zahlung an die Werkstatt absieht: Soweit ein Anspruch der Werkstatt auf die von ihr abgerechnete Vergütung gar nicht erst entstanden ist, würde ein Vorgehen des Schädigers gegen die Werkstatt aus einem abgetretenen Bereicherungsanspruch des Geschädigten daran scheitern, dass die Werkstatt mangels Zahlung des Geschädigten nichts im Sinne von § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB "erlangt" hat. Besteht an sich ein Vergütungsanspruch in Höhe des von der Werkstatt abgerechneten Betrags, kann dem Geschädigten zwar ein Gegenanspruch aus § 280 Abs. 1 BGB auf teilweise Freistellung von dem Vergütungsanspruch zustehen (wenn etwa die Werkstatt die abgerechneten Stunden tatsächlich zur Instandsetzung erbracht hat, dies aber auf unwirtschaftlicher Betriebsführung beruht, vgl. BGH, Urteil vom 28. Mai 2009 - VII ZR 74/06, NJW 2009, 3426 Rn. 18). Ein solcher Freistellungsanspruch gegen die Werkstatt ist insbesondere nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Geschädigte die Reparaturkosten nach den Grundsätzen der subjektbezogenen Schadensbetrachtung (Werkstattrisiko) vom Schädiger ersetzt erhalten hat, weil diese Ersatzleistung allein den Geschädigten und nicht die Werkstatt entlasten soll (vgl. BGH, Urteil vom 1. Juni 2017 - VII ZR 95/16, BGHZ 215, 306 Rn. 30-32). Der Freistellungsanspruch des Geschädigten gegen die Werkstatt ist aber gemäß § 399 Alt. 1 BGB nicht an den Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherer abtretbar, weil die Leistung der Werkstatt an einen anderen als den ursprünglichen Gläubiger (den Geschädigten) nicht ohne Veränderung ihres Inhalts erfolgen könnte (vgl. BGH, Urteile vom 24. Oktober 1985 - VII ZR 31/85, BGHZ 96, 146, 148 f., juris Rn. 16 f.; vom 25. September 1972 - VIII ZR 102/71, NJW 1972, 2036, juris Rn. 12; vgl. auch BGH, Beschluss vom 8. November 2017 - VII ZB 9/15, NZA 2018, 126 Rn. 13 f. zur Abtretbarkeit eines Befreiungsanspruchs aus § 257 Satz 1 BGB).

Zugleich wäre der Geschädigte durch den Schadensersatz bereichert, wenn er vom Schädiger den vollen von der Werkstatt in Rechnung gestellten Betrag erhielte, gegenüber der Werkstatt aber die Zahlung eines Teilbetrages unter Berufung auf den insoweit fehlenden Vergütungsanspruch oder auf einen auf Freistellung gerichteten Gegenanspruch verweigerte. Demgegenüber wäre der Schädiger schlechter gestellt, als wenn er die Reparatur der beschädigten Sache selbst veranlasst hätte; denn im letzteren Fall hätte er als Vertragspartner der Werkstatt die Zahlung der zu hoch berechneten Vergütung verweigern können. Seine Rechtsstellung gegenüber der Werkstatt soll aber nicht schwächer sein als die des Geschädigten (vgl. Senatsurteil vom 29. Oktober 1974 - VI ZR 42/73, BGHZ 63, 182, 187, juris Rn. 13). Die Mühe und das Risiko einer Auseinandersetzung mit der Werkstatt sollen zwar bei ihm verbleiben und nicht dem Geschädigten überbürdet werden, die Auseinandersetzung soll ihm aber rechtlich möglich sein.

Zu einer Bereicherung des Geschädigten käme es auch, wenn mit einer in der Literatur vertretenen Meinung angenommen würde, dass der Schädiger und sein Haftpflichtversicherer in den Schutzbereich des Werkvertrags zwischen dem Geschädigten und der Werkstatt einbezogen sind (wovon aus Sicht des Senats unter Berücksichtigung der von der Rechtsprechung für den Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte entwickelten Grundsätze allerdings nicht ohne Weiteres auszugehen ist), so dass ihnen eigene Ansprüche gegen die Werkstatt zustehen könnten (vgl. C. Burmann, r+s 2022, 535; Kemperdiek, r+s 2021, 372, 375 f.; Looschelders, JA 2022, 1038, 1040 f.; ders., zfs 2023, 364, 371; Meyer-Näser, NJW-Spezial 2018, 457, 458). Auch in diesem Fall wäre im Ergebnis der Geschädigte, der vom Schädiger den vollen von der Werkstatt in Rechnung gestellten Betrag verlangen, gegenüber der Werkstatt aber die Zahlung eines Teilbetrages verweigern kann, in dem Maß bereichert, in dem der Schädiger die Werkstatt in Regress nehmen kann und in dem die Werkstatt letztlich mit einem Teil ihres Vergütungsanspruchs ausfällt.

b) Aus diesem Grund kann der Geschädigte, der sich auf das Werkstattrisiko beruft, aber die Rechnung der Werkstatt noch nicht (vollständig) bezahlt hat, von dem Schädiger Zahlung des von der Werkstatt in Rechnung gestellten (Rest-)Honorars nur an die Werkstatt und nicht an sich selbst verlangen, Zug um Zug gegen Abtretung etwaiger (das Werkstattrisiko betreffender) Ansprüche des Geschädigten gegen die Werkstatt (vgl. BGH, Urteil vom 12. März 1993 - V ZR 69/92, NJW 1993, 2232, 2233, juris Rn. 19). Nur so stellt er sicher, dass das Werkstattrisiko beim Schädiger bleibt und sich dieser mit der Werkstatt über unangemessene bzw. unberechtigte Rechnungsposten auseinanderzusetzen hat."


Werkstattrisiko - grundsätzlicher Umfang



BGH, Urteil vom 16.01.2024 - VI ZR 239/22 (externer Link):

"Dies gilt für alle Mehraufwendungen der Schadensbeseitigung, deren Entstehung dem Einfluss des Geschädigten entzogen ist und die ihren Grund darin haben, dass die Schadensbeseitigung in einer fremden, vom Geschädigten nicht kontrollierbaren Einflusssphäre stattfinden muss (vgl. Senat, Urteil vom 29. Oktober 1974 - VI ZR 42/73, BGHZ 63, 182, 186, juris Rn. 10). Ersatzfähig sind danach nicht nur solche Rechnungspositionen, die ohne Schuld des Geschädigten etwa wegen überhöhter Ansätze von Material oder Arbeitszeit, wegen unsachgemäßer oder unwirtschaftlicher Arbeitsweise unangemessen, mithin nicht zur Herstellung erforderlich im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB sind (vgl. Senat, aaO, juris Rn. 12). Ersatzfähig im Verhältnis des Geschädigten zum Schädiger sind vielmehr auch diejenigen Rechnungspositionen, die sich auf - für den Geschädigten nicht erkennbar - tatsächlich nicht durchgeführte einzelne Reparaturschritte und -maßnahmen beziehen (vgl. Senat, Urteil vom heutigen Tag - VI ZR 253/22 unter II.2.c)."


Werkstattrisiko - Schädiger als Zessionar kann sich nicht auf das Werkstattrisiko berufen



BGH, Urteil vom 16.01.2024 - VI ZR 239/22 (externer Link):

"a) Nach § 399 Alt. 1 BGB kann eine Forderung nicht abgetreten werden, wenn die Leistung an einen anderen als den ursprünglichen Gläubiger nicht ohne Veränderung ihres Inhalts erfolgen kann. Eine solche Inhaltsänderung wird auch dann angenommen, wenn ein Gläubigerwechsel zwar rechtlich vorstellbar, das Interesse des Schuldners an der Beibehaltung einer bestimmten Gläubigerposition aber besonders schutzwürdig ist (st. Rspr., vgl. BGH, Urteile vom 8. April 2020 - VIII ZR 130/19, NJW-RR 2020, 779 Rn. 76; vom 30. Oktober 2009 - V ZR 42/09, NJW 2010, 1074 Rn. 27; vom 24. Oktober 1985 - VII ZR 31/85, BGHZ 96, 146, 148 f., juris Rn. 16 f.; vgl. ferner Kieninger in MünchKomm BGB, 9. Aufl., § 399 Rn. 24; Rn. 22; Staudinger/Busche, BGB [2022], § 399 Rn. 22; jeweils mwN).

Dieser Rechtsgedanke greift hier insofern Platz, als sich der Geschädigte im Verhältnis zum Schädiger auch bei unbeglichener Rechnung auf das Werkstattrisiko berufen kann, wenn er Zahlung an die Werkstatt verlangt. Denn insoweit hat der Schädiger ein besonders schutzwürdiges Interesse daran, dass der Geschädigte sein Gläubiger bleibt. Allein im Verhältnis zu diesem ist nämlich die Durchführung des Vorteilsausgleichs in jedem Fall möglich, weil der Schadensersatzanspruch gegen den Schädiger und die im Wege des Vorteilsausgleichs abzutretenden - etwaigen - Ansprüche gegen die Werkstatt in einer Hand (beim Geschädigten) liegen (vgl. oben II.5.a). Dies ist nach der Abtretung der Schadensersatzforderung an die Werkstatt nicht mehr der Fall. Der Schädiger verlöre daher regelmäßig das Recht, seine eigene Zahlungsverpflichtung nur Zug um Zug gegen Abtretung der Ansprüche des Geschädigten gegen die Werkstatt zu erfüllen. Bei einer - wie hier - erfolgten Abtretung an die Werkstatt ist bei wertender Betrachtung zudem in den Blick zu nehmen, dass die Grundsätze zum Werkstattrisiko nach ihrer dogmatischen Herleitung nur dem Geschädigten, nicht aber der Werkstatt selbst zugutekommen sollen.

b) Nach all dem lässt sich die Option des Geschädigten, sich auch bei unbeglichener Rechnung auf das Werkstattrisiko zu berufen, nicht im Wege der Abtretung auf Dritte übertragen. Im Ergebnis trägt daher bei Geltendmachung des Anspruchs aus abgetretenem Recht stets der Zessionar das Werkstattrisiko. Im Schadensersatzprozess gegen den Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherer hat folglich der Zessionar - hier die klagende Werkstatt - darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, dass die abgerechneten Reparaturmaßnahmen tatsächlich durchgeführt wurden und dass die geltend gemachten Reparaturkosten nicht etwa wegen überhöhter Ansätze von Material oder Arbeitszeit oder wegen unsachgemäßer oder unwirtschaftlicher Arbeitsweise der Werkstatt zur Herstellung nicht erforderlich waren."


Werkstattrisiko - unbezahlte Rechnung und Zahlung an GEschädigten gefordert: Geschädigter trägt das Werkstattrisiko



BGH, Urteil vom 16.01.2024 - VI ZR 253/22 (externer Link):

"cc) Wählt der Geschädigte bei unbezahlter Rechnung hingegen - auch nach gerichtlichem Hinweis - Zahlung an sich selbst, so trägt er und nicht der Schädiger das Werkstattrisiko. Er hat dann im Schadensersatzprozess gegen den Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherer gegebenenfalls zu beweisen, dass die abgerechneten Reparaturmaßnahmen tatsächlich durchgeführt wurden und dass die Reparaturkosten nicht etwa wegen überhöhter Ansätze von Material oder Arbeitszeit oder wegen unsachgemäßer oder unwirtschaftlicher Arbeitsweise der Werkstatt nicht erforderlich sind."


Werkstattrisiko - Vertrauen auf ordnungsgemäßen Reparaturweg; das auch bei einem Unfallhelfer



BGH, Urteil vom 16.01.2024 - VI ZR 51/23 (externer Link):

"b) Im Übrigen konnte die Geschädigte nach den tatbestandlichen Feststellungen zu dem im Streitfall gegebenen Geschehensablauf davon ausgehen, dass die Reparatur auf der Grundlage des in ihrem Auftrag eingeholten Sachverständigengutachtens in objektiv angemessener Weise durchgeführt werden würde. Der von der Beklagten geltend gemachte und im Revisionsverfahren mangels abweichender Feststellungen des Berufungsgerichts zu unterstellende Umstand, dass der beauftragte Sachverständige nicht von der Klägerin selbst, sondern von der Werkstatt ausgesucht wurde, bot für sich genommen insoweit aus Sicht der Geschädigten keinen Anlass für durchgreifende Zweifel. Soweit die Beklagte meint, eine subjektbezogene Schadensbetrachtung verbiete sich, wenn die Auswahl des Sachverständigen nicht durch den Geschädigten allein, sondern nach Vermittlung einer Werkstatt oder eines Rechtsanwalts im Rahmen eines "Schadenservice aus einer Hand" erfolge, ist dies in dieser Allgemeinheit nicht zutreffend. Allein aufgrund der Einschaltung eines "Unfallhelfers" kann dem Geschädigten noch keine unwirtschaftliche Verfahrensweise vorgeworfen werden (vgl. Senatsurteil vom 29. Oktober 1974 - VI ZR 42/73, BGHZ 63, 182, 186, juris Rn. 16). Der Umstand, dass der für die Reinigungsmaßnahme abgerechnete Betrag geringfügig über den insoweit vom Sachverständigen veranschlagten Kosten lag, ist ebenfalls nicht geeignet, den Vorwurf eines Verschuldens der Klägerin im Zusammenhang mit der Beauftragung der Werkstatt zu begründen (vgl. Senatsurteil vom 26. April 2022 - VI ZR 147/21, NJW 2022, 2840 Rn. 14)."


Werkstattrisiko - wenn es der Schädiger trägt, bedarf es da keiner Beweisaufnahme



BGH, Urteil vom 16.01.2024 - VI ZR 253/22 (externer Link):

"f) Soweit der Schädiger das Werkstattrisiko trägt, verbietet sich im Schadensersatzprozess zwischen Geschädigtem und Schädiger mangels Entscheidungserheblichkeit eine Beweisaufnahme über die objektive Erforderlichkeit der in Rechnung gestellten Reparaturkosten (vgl. Senatsurteil vom 26. April 2022 - VI ZR 147/21, NJW 2022, 2840 Rn. 14, 16; Freymann/Rüßmann in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., § 249 Rn. 141). Ist eine Beweisaufnahme dennoch durchgeführt worden, kann entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts von einem Verschulden des Geschädigten bei der Überwachung der Werkstatt nicht deshalb ausgegangen werden, weil der Geschädigte aufgrund eines gerichtlich eingeholten Sachverständigengutachtens nunmehr Kenntnis davon hat, dass die in Rechnung gestellten Kosten (teilweise) objektiv nicht erforderlich sind. Die Grundsätze zum Werkstattrisiko würden in ihr Gegenteil verkehrt, würde mit dem Ergebnis einer nicht veranlassten, sich prozessual verbietenden Beweisaufnahme ein Überwachungsverschulden aufgrund nunmehr veränderter Erkenntnismöglichkeiten des Geschädigten begründet und dieser darauf verwiesen, diese neu gewonnenen Erkenntnisse selbst gegenüber der Werkstatt geltend zu machen. Mit einer diesbezüglichen Auseinandersetzung soll der Geschädigte gerade nicht belastet werden."


Werkstattrisiko - wenn Rechnung noch nicht beglichen, dann Zahlung an Werkstatt fordern



BGH, Urteil vom 16.01.2024 - VI ZR 253/22 (externer Link):

"e) Die Anwendung der genannten Grundsätze zum Werkstattrisiko setzt entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts und einer - größtenteils vor Veröffentlichung des Senatsurteils vom 26. April 2022 - VI ZR 147/21 (NJW 2022, 2840) - in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Meinung (LG Essen, Urteil vom 27. Juli 2020 - 13 S 97/19, juris Rn. 36 ff.; v. Bühren, ZfS 2017, 309, 310 f.; de Biasi, NZV 2021, 113, 114; Kemperdiek, r+s 2021, 372, 374 f.; Hoppe, SVR 2021,168, 169 f.) nicht voraus, dass der Geschädigte die Reparaturrechnung bereits bezahlt hat (vgl. Senatsurteile vom 26. April 2022 - VI ZR 147/21, NJW 2022, 2840 Rn. 16; LG Saarbrücken, NJW 2022, 87 Rn. 10, LG Coburg, Urteil vom 28. Mai 2021 - 33 S 10/21, BeckRS 2021, 28709 Rn. 37 ff., 45; Engel, DAR 2022, 552, 553; ders., DAR 2023, 9, 12). Soweit der Geschädigte die Reparaturrechnung nicht beglichen hat, kann er - will er das Werkstattrisiko nicht selbst tragen - die Zahlung der Reparaturkosten allerdings nicht an sich, sondern nur an die Werkstatt verlangen."


Werkstattrisiko - wenn Rechnung noch nicht beglichen, dann Zahlung an Werkstatt fordern - folgen für die Schuldverhältnisse



BGH, Urteil vom 16.01.2024 - VI ZR 253/22 (externer Link):

"Aus diesem Grund kann der Geschädigte, der sich auf das Werkstattrisiko beruft, aber die Rechnung der Werkstatt noch nicht (vollständig) bezahlt hat, von dem Schädiger Zahlung des von der Werkstatt in Rechnung gestellten (Rest-)Honorars nur an die Werkstatt und nicht an sich selbst verlangen, Zug um Zug gegen Abtretung etwaiger (das Werkstattrisiko betreffender) Ansprüche des Geschädigten gegen die Werkstatt (vgl. BGH, Urteil vom 12. März 1993 - V ZR 69/92, NJW 1993, 2232, 2233, juris Rn. 19). Nur so stellt er sicher, dass (in den oben unter d) angeführten Grenzen) das Werkstattrisiko beim Schädiger bleibt und sich dieser mit der Werkstatt über unangemessene bzw. unberechtigte Rechnungsposten auseinanderzusetzen hat.

(Vollstreckungs-)Gläubiger bleibt auch in diesem Fall allein der Geschädigte. Die Werkstatt erhält lediglich eine Empfangszuständigkeit. Entgegen der von der Beklagten geäußerten Rechtsauffassung entfaltet das Urteil deshalb keine Rechtskraftwirkung gegenüber der Werkstatt. Mit vom Geschädigten abgetretenen Ansprüchen gegen die Werkstatt, die bei Zug-um-Zug-Verurteilung ohnehin erst mit der Zahlung an die Werkstatt auf den Schädiger übergehen, kann dieser ferner mangels Gegenseitigkeit der Ansprüche nicht gemäß § 387 BGB aufrechnen. Die Zahlung an die Werkstatt kann er auch nicht unter Berufung auf den dolo-agit-Einwand des § 242 BGB verweigern, da der Geschädigte als Gläubiger nichts verlangt, was er sofort an den Schädiger zurückzugeben hätte; denn der Geschädigte schuldet dem Schädiger nichts (vgl. Senatsurteil vom 17. Januar 2023 - VI ZR 203/22, NJW 2023, 1361 Rn. 50, 52). Der Werkstatt kann eine treuwidrige Rechtsausübung nicht vorgeworfen werden, da sie als bloße Empfängerin der Leistung kein Recht ausübt. Dem Schädiger bleibt die Möglichkeit, von der Werkstatt den etwa überzahlten Betrag zurückzufordern. Die Rechtslage stellt sich insoweit nicht anders dar als in den Fällen, in denen der Geschädigte die Werkstattrechnung vollständig beglichen hat und vom Schädiger Zahlung an sich, Zug um Zug gegen Abtretung etwaiger Ansprüche gegen die Werkstatt, verlangt."


Werkstattrisiko gilt auch für nicht durchgeführte Arbeiten, solange der Geschädigte die Nichtdurchführung nicht kennt



BGH, Urteil vom 16.01.2024 - VI ZR 253/22 (externer Link):

"c) Die genannten Grundsätze, an denen der Senat festhält, gelten auch für Rechnungspositionen, die sich auf - für den Geschädigten nicht erkennbar - tatsächlich nicht durchgeführte einzelne Reparaturschritte und -maßnahmen beziehen. Denn auch diese haben ihren Grund darin, dass die Schadensbeseitigung in einer fremden, vom Geschädigten nicht kontrollierbaren Einflusssphäre stattfinden muss (vgl. Senatsurteil vom 29. Oktober 1974 - VI ZR 42/73, BGHZ 63, 182, 185, juris Rn. 10). Soweit dem Urteil des Senats vom 26. April 2022 (VI ZR 147/21, NJW 2022, 2840 Rn. 14-16) etwas anderes zu entnehmen sein sollte, hält der Senat hieran nicht fest."


Werkstattrisiko trägt Schädiger



LG Aachen, Urteil vom 23.02.2023 - 1 O 219/22 (externer Link):

"Da die streitigen Positionen nach dem Prüfbericht vom 17.12.2021 (vgl. Anlage B1, Bl. 73 d.A.) tatsächlich durchgeführt wurden, sind die dadurch entstandenen Kosten unabhängig von der Frage erstattungsfähig, ob sie objektiv erforderlich waren, solange die Klägerin im Zusammenhang mit der Beauftragung der Werkstatt kein Verschulden trifft. Bei der Instandsetzung eines beschädigten Fahrzeugs schuldet der Schädiger als Herstellungsaufwand nach § 249 S. 2 BGB grundsätzlich auch die Mehrkosten, die ohne eigene Schuld des Geschädigten die von ihm beauftragte Werkstatt infolge unwirtschaftlicher oder unsachgemäßer Maßnahmen verursacht hat. Es darf nicht außer Acht gelassen werden, dass seinen Erkenntnis- und Einwirkungsmöglichkeiten bei der Schadensregulierung regelmäßig Grenzen gesetzt sind, dies vor allem, wenn er den Reparaturauftrag erteilt und das Unfallfahrzeug in die Hände von Fachleuten übergeben hat. Es würde dem Sinn und Zweck des § 249 S. 2 BGB widersprechen, wenn der Geschädigte bei Ausübung der ihm durch das Gesetz eingeräumten Ersetzungsbefugnis im Verhältnis zu dem ersatzpflichtigen Schädiger mit Mehraufwendungen der Schadensbeseitigung belastet bliebe, deren Entstehung seinem Einfluss entzogen ist und die ihren Grund darin haben, dass die Schadensbeseitigung in einer fremden, vom Geschädigten, wohl auch nicht vom Schädiger kontrollierbaren Einflusssphäre stattfinden muss. Weist der Geschädigte nach, dass er die Instandsetzungsarbeiten unter Beachtung der vorstehenden Grundsätze veranlasst hat, so können deshalb die "tatsächlichen" Reparaturkosten regelmäßig auch dann für die Bemessung des "erforderlichen" Herstellungsaufwandes herangezogen werden, wenn diese Kosten ohne Schuld des Geschädigten etwa wegen überhöhter Ansätze von Material oder Arbeitszeit wegen unsachgemäßer oder unwirtschaftlicher Arbeitsweise im Vergleich zu dem, was für eine solche Reparatur sonst üblich ist, unangemessen sind. Das Werkstattrisiko verbleibt beim Schädiger (vgl. BGH, Urteil vom 29.10.1974 - VI ZR 42/73 -, BGHZ 63, 182 ff.; BGH, Urteil vom 26.04.2022 - VI ZR 147/21 -)."


Wertminderung bei nicht unwesentlichen Beeinträchtigungen



LG Köln, Urteil vom 19.04.2024 - 14 O 65/21 (externer Link):

"Grundsätzlich kommt ein merkantiler Minderwert nur bei einer nicht unwesentlichen Beschädigung der Sache in Betracht. Für die Abgrenzung ist auf die Verkehrsauffassung abzustellen: Sofern der auf dem Markt zu erzielende Verkaufserlös nach der Reparatur nicht unter dem bleibt, der ohne das schädigende Ereignis hätte erlöst werden können, besteht kein Schadensersatzanspruch. Bagatellschäden werden im Verkehr in der Regel nicht als wertmindernd angesehen, so dass für diese ein gesonderter Ausgleich ausscheidet (MüKoBGB/Oetker BGB § 249 Rn. 55) Ein Bagatellschaden liegt hier aber mit Blick auf die Höhe der notwendigen Reparaturkosten ersichtlich nicht vor."


Wirtschaftlichkeit der durchgeführten Reparatur muss Geschädigter beweisen



BGH, Urteil vom 16.01.2024 - VI ZR 253/22 (externer Link):

"An den vom Geschädigten zu führenden Nachweis, dass er wirtschaftlich vorgegangen ist, also bei der Beauftragung aber auch bei der Überwachung der Reparaturwerkstatt den Interessen des Schädigers an Geringhaltung des Herstellungsaufwandes Rechnung getragen hat, dürfen deshalb nicht zu geringe Anforderungen gestellt werden (Senatsurteil vom 29. Oktober 1974 - VI ZR 42/73, BGHZ 63, 182, 187, juris Rn. 14)."


Zurücktreten der einfachen Betriebsgefahr



LG Aachen, Urteil vom 06.07.2023 - 12 O 398/22 (externer Link):

"c) In die nach § 17 Abs. 2 StVG vorzunehmende Haftungsabwägung war kein Verursachungsbeitrag des Beklagten zu 1) einzustellen. Es ist nicht erkennbar, dass der Beklagte zu 1) sich regelwidrig verhalten hätte, beispielsweise durch abruptes Beschleunigung bzw. hohe Geschwindigkeit, also durch ein Verhalten, mit der der Kläger im Kreuzungsbereich nicht hätte rechnen müssen. Die Betriebsgefahr seines Fahrzeugs, die sich der Beklagte zu 2) im Rahmen der Haftungsabwägung grundsätzlich anrechnen lassen muss, tritt im hiesigen Fall aufgrund des gravierenden Verkehrsverstoßes des Klägers ebenfalls zurück (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 27. Oktober 2014 - I-9 U 60/14 -, Rn. 20, juris)."


Zweitunfall wegen überhöhter Geschwindigkeit (1/3 Haftung) gegenüber Unfallverursacher ohne Warnblinklicht im Kreuzungsbereich (2/3 Verantwortlichkeit)



OLG Celle, Urteil vom 05.08.2020 - 14 U 37/20 (externer Link):

"Zu berücksichtigen ist zunächst, dass der Beklagte zu 1) mit seinem Fehlverhalten, nämlich der Missachtung des Vorrangs des ihm entgegenkommenden Zeugen H. und der damit schuldhaften Verursachung des Erstunfalls, das weitere Geschehen überhaupt erst in Gang gesetzt hat. Ohne das Liegenbleiben infolge der Erstkollision wäre es nicht zum Zweitunfall gekommen. Hinzu kommt, dass der Beklagte zu 1) nicht die Warnblinkanlage eingeschaltet hat, obgleich das Fahrzeug im Kreuzungsbereich, mittig und quer zur Fahrbahn, verblieb. Im Hinblick auf die Ausführungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. M. in der Berufungsverhandlung insbesondere hinsichtlich der Lenkbewegung zunächst in Richtung des Beklagtenfahrzeugs, was für eine Aufmerksamkeitsfokussierung auf das am Straßenrand befindliche Fahrzeug des Zeugen H. sprechen dürfte, ist davon auszugehen, dass der Kläger das Beklagtenfahrzeug bei eingeschaltetem Warnblinklicht aufgrund der deutlich besseren Erkennbarkeit des Fahrzeugs und die vom Warnblinklicht ausgehende Signalwirkung früher wahrgenommen hätte. Dabei ist zudem zu berücksichtigen, dass ein Kreuzungsbereich per se erhöht gefahrenträchtig ist; das Beklagtenfahrzeug war hier mittig auf der Kreuzung, zudem bei Dunkelheit, liegengeblieben. Allerdings kommt im Hinblick auf diese Umstände nicht noch zusätzlich die Berücksichtigung einer erhöhten Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs hinzu. Denn die Erhöhung der Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs ist bereits mit § 15 Abs. 1 S. 1 StVO bzw. dem Verstoß hiergegen berücksichtigt.

Die auf Klägerseite zu berücksichtigenden Verkehrsverstöße erscheinen im Vergleich zu den Verursachungsbeiträgen des Beklagten zu 1) erheblich geringfügiger. Der Senat erachtet letztere als doppelt so gewichtig wie diejenigen des Klägers, so dass die Haftungsquote mit 1/3 zu 2/3 zu Lasten der Beklagten anzusetzen ist."


§ 1 StVO ist verletzt, wenn beim Anfahren ein stehendes Fahrzeug angestoßen wird



LG München I, Urteil vom 26.05.2009 - 17 O 1695/09 (externer Link):

"Der Fahrer des Fahrzeugs der Beklagtenpartei hat gegen die ihn aus § 1 StVO treffende Pflicht verstoßen. Ein Verstoß gegen § 10 StVO liegt hingegen nicht vor, da § 10 StVO den fließenden Verkehr schützt (vgl. Jagow, § 2 StVO, Rz. 2)."


§ 10 StVO schützt nur fließenden Verkehr



LG München I, Urteil vom 26.05.2009 - 17 O 1695/09 (externer Link):

"Der Fahrer des Fahrzeugs der Beklagtenpartei hat gegen die ihn aus § 1 StVO treffende Pflicht verstoßen. Ein Verstoß gegen § 10 StVO liegt hingegen nicht vor, da § 10 StVO den fließenden Verkehr schützt (vgl. Jagow, § 2 StVO, Rz. 2)."


§ 12 Abs. 4 S. 1 StVO - Verstoß bei Abstand von 50 cm zur rechten Fahrbahnseite



LG München I, Urteil vom 26.05.2009 - 17 O 1695/09 (externer Link):

"Die Fahrerin des klägerischen Fahrzeugs hat damit gegen die ihr aus § 12 Abs. 4 Satz 1 StVO obliegende Pflicht, am rechten Fahrbahnrand zu parken, verstoßen."


§ 7 Abs. 5 StVO gilt für Autobahnen und auch beim teilweisen Wechsel



LG München I, Endurteil vom 30.09.2021 - 19 O 6974/20 (externer Link):

"Dabei ist anzumerken dass § 7 Abs. 5 StVO auch auf Spurenwechsel auf Autobahnen gelte. Ferner bedarf es nicht des vollständigen Fahrstreifenwechsels, vgl. OLG München, Urteil vom 08.04.2011 - 10 U 5122/10."


§ 8 Abs. 2 S. 1 StVO - Annähern



OLG Hamm, Urteil vom 09.05.2023 - 7 U 17/23 (externer Link):

"(1) Laut der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 420/70 S. 57) soll durch § 8 Abs. 2 Satz 1 StVO bewirkt werden, dass die Geschwindigkeit rechtzeitig gemäßigt wird. Je später sich die beiden Verkehrsteilnehmer sehen können, umso geringer muss die Geschwindigkeit des Wartepflichtigen sein. Die Vorschrift will der verbreiteten, den Verkehrsfluss hemmenden und denjenigen, der die Vorfahrt hat, irritierenden Unsitte Wartepflichtiger gegensteuern, an die Kreuzung forsch heranzufahren und erst auf den letzten Metern scharf zu bremsen (vgl. dazu auch OLG Jena Urt. v. 30.11.2011 - 7 U 178/10, MDR 2012, 213 = juris Rn. 19; OLG Hamm Urt. v. 4.8.1999 - 13 U 64/99, NZV 2000, 178 = juris Orientierungssatz und Rn. 14; OLG Düsseldorf Beschl. v. 7.4.1988 - 5 Ss (OWi) 118/88 - 97/88 I, NZV 1988, 111 = juris Rn. 5; OLG Hamm Urt. v. 20.1.1981 - 5 Ss 2065/80, VRS 1981, 283 = juris Orientierungssatz 1; Spelz in jurisPK-StrVR, § 8 StVO Rn. 32; König in HKD § 8 StVO Rn. 56).

"


§ 8 Abs. 2 S. 2 StVO - Warten



OLG Hamm, Urteil vom 09.05.2023 - 7 U 17/23 (externer Link):

"Die Pflicht zum Hineintasten - also zum zentimeterweisen Vorrollen, um gegebenenfalls sofort anhalten zu können (...) - gemäß § 8 Abs. 2 Satz 3 StVO beginnt (...) erst mit dem Hineinfahren in die Kreuzung / die Einmündung, also mit dem Überfahren der Schnittlinie der bevorrechtigten Straße (...). Denn zuvor gilt gerade der Pflichtenkanon des § 8 Abs. 2 Satz 1 StVO zur mäßigen Annährung und des § 8 Abs. 2 Satz 2 StVO zum Warten vor dem Hineinfahren."


§ 8 Abs. 2 S. 3 StVO - Hineintasten



OLG Hamm, Urteil vom 09.05.2023 - 7 U 17/23 (externer Link):

"Die Pflicht zum Hineintasten - also zum zentimeterweisen Vorrollen, um gegebenenfalls sofort anhalten zu können (vgl. nur BGH Urt. v. 21.5.1985 - VI ZR 201/83, NJW 1985, 2757 = juris Rn. 15) - gemäß § 8 Abs. 2 Satz 3 StVO beginnt nach dem Gesetzeswortlaut, der Historie (BT-Drs. 420/70 S. 57), der Systematik und dem Sinn und Zweck der Norm erst mit dem Hineinfahren in die Kreuzung / die Einmündung, also mit dem Überfahren der Schnittlinie der bevorrechtigten Straße (vgl. auch etwa LG Saarbrücken Urt. v. 27.4.2018 - 13 S 165/17, NJW-RR 2018, 864 = juris Rn. 13 m. w. N.; OLG Saarbrücken Urt. v. 29.3.2018 - 4 U 56/17, r+s 2018, 492 = juris Rn. 56; KG Urt. v. 28.1.2010 - 12 U 40/09, NZV 2010, 511 = juris Rn. 10)."


§ 839 BGB kommt bei Müllwagen in Betracht



LG Münster, Urteil vom 26.04.2002 - 16 O 83/02 (externer Link):

"Die Haftung der Beklagten aus § 839 BGB, Art. 34 GG ist begründet, weil der Zeuge U. fahrlässig die ihm gegenüber dem Kläger obliegende Amtspflicht, die ihn als Beamter im haftungsrechtlichen Sinne traf, dadurch verletzt hat, dass er dessen Pkw beschädigt hat, indem er gegen den Pkw gelaufen ist.

Unstreitig hat die Beklagte ihre Müllabfuhr nicht in privatrechtlicher Form organisiert, sondern öffentlichrechtlich. Diese ist danach dem hoheitlichen Bereich zuzuordnen. Die Beklagte ist die Anstellungskörperschaft des Zeugen U., den sie im Rahmen der Müllabfuhr eingesetzt hat. Dieser war danach im haftungsrechtlichen Sinne "Beamter". Ihm oblag im Rahmen seiner Tätigkeit bei der Müllabfuhr auch die Amtspflicht, Fahrzeuge anderer Verkehrsteilnehmer, wie das des Klägers, nicht zu beschädigen."

195