bei Sonderrechten darf man schneller fahren (Anhalteweg innerhalb der Reichweite der Signale!?)
"Auch diese Frage bedarf indes keiner abschließenden Entscheidung. Denn das Einsatzfahrzeug war auch insoweit nach § 35 Abs. 5 a StVO von dem Gebot, die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerorts einzuhalten, befreit. Damit ist der Fahrer eines Einsatzfahrzeuges zwar nicht in jedem Fall berechtigt, mit......." [vollständiges Zitat anzeigen]
"Auch diese Frage bedarf indes keiner abschließenden Entscheidung. Denn das Einsatzfahrzeug war auch insoweit nach § 35 Abs. 5 a StVO von dem Gebot, die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerorts einzuhalten, befreit. Damit ist der Fahrer eines Einsatzfahrzeuges zwar nicht in jedem Fall berechtigt, mit überhöhter Geschwindigkeit zu fahren. Denn auch insoweit gilt die Einschränkung des § 35 Abs. 8 StVO. Von einem Verstoß gegen diese Sorgfaltspflicht kann unter den hier gegebenen Umständen aber nicht ausgegangen werden. Bei einer - unterstellten - Geschwindigkeit von ca. 70 km/h lag der Anhalteweg des klägerischen Fahrzeugs nicht außerhalb der Reichweite seines Martinshorns (vgl. dazu OLG Bremen aaO)."
vgl. LG Saarbrücken, Urteil vom 01.07.2011 - 13 S 61/11
Geschwindigkeitsverringerung beim Abbiegen
"Indem der Zeuge A den Abbiegevorgang mit normaler Geschwindigkeit durchgeführt hat, hat er gegen die Gebote der sichtangepassten Geschwindigkeit und der Rücksichtnahme verstoßen (§ 3 Abs. 1 Satz 2, § 1 Abs. 2 StVO). Wegen der nach hinten jedenfalls stark eingeschränkten Sicht bestand die Pflicht de......." [vollständiges Zitat anzeigen]
"Indem der Zeuge A den Abbiegevorgang mit normaler Geschwindigkeit durchgeführt hat, hat er gegen die Gebote der sichtangepassten Geschwindigkeit und der Rücksichtnahme verstoßen (§ 3 Abs. 1 Satz 2, § 1 Abs. 2 StVO). Wegen der nach hinten jedenfalls stark eingeschränkten Sicht bestand die Pflicht des Zeugen, sich in den Abbiegevorgang langsam und mit jederzeitiger Abbruchmöglichkeit hineinzutasten."
vgl. OLG Hamm, Urteil vom 02.07.2024 - 7 U 74/23
Kausalität bzgl. konkreten Unfallgeschehen
"Im Termin zur Verhandlung über die Berufung hat der Sachverständige sein Gutachten noch einmal mündlich erläutert und dabei dargestellt, dass sich die Geschwindigkeitsüberschreitung entscheidend unfallkausal ausgewirkt hat. Denn bei einer Vergleichsbetrachtung unter Zugrundelegung einer Annäherungs......." [vollständiges Zitat anzeigen]
"Im Termin zur Verhandlung über die Berufung hat der Sachverständige sein Gutachten noch einmal mündlich erläutert und dabei dargestellt, dass sich die Geschwindigkeitsüberschreitung entscheidend unfallkausal ausgewirkt hat. Denn bei einer Vergleichsbetrachtung unter Zugrundelegung einer Annäherungsgeschwindigkeit von nur 70 km/h wäre es bei gleicher Ausweichbewegung wie tatsächlich geschehen nur zu einer Streifkollision mit dem Beklagtenfahrzeug gekommen; bei einer Ausgangsgeschwindigkeit von 65 km/h wäre es dem Kläger bei gleicher Lenkbewegung sogar gelungen, an dem Beklagtenfahrzeug vorbeizufahren."
vgl. OLG Celle, Urteil vom 05.08.2020 - 14 U 37/20
kein faktisches Überholverbot wg. notwendigen Geschwindigkeitsverstoßes
"Der Umstand, dass der Kläger nur unter Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h überholen konnte, ist im Rahmen der Abwägung nach § 17 Abs. 1 und 2 StVO nicht zu Lasten des Klägers zu berücksichtigen.
<br>
Soweit aus dem Umstand, dass ein Überholvorgang nur unter Ü......." [vollständiges Zitat anzeigen]
"Der Umstand, dass der Kläger nur unter Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h überholen konnte, ist im Rahmen der Abwägung nach § 17 Abs. 1 und 2 StVO nicht zu Lasten des Klägers zu berücksichtigen.
Soweit aus dem Umstand, dass ein Überholvorgang nur unter Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit möglich ist, auf ein sog. faktisches Überholverbot geschlossen wird (so OLG Schleswig, Urteil vom 29.11.1995 - 9 U 50/95); OLG München NJW 1966, 1270; Heß, in: Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 22. A. 2012, § 5 Rn. 23) findet eine solche Konzeption nach Ansicht des Senats keine hinreichende Stütze im Gesetz: Insbesondere findet sich eine solche nicht in § 5 StVO. § 5 Abs. 2 StVO normiert lediglich, dass neben dem Ausschluss einer Behinderung des Gegenverkehrs mit wesentlich höherer Geschwindigkeit zu überholen ist. Der Katalog der Überholverbote in § 5 Abs. 3 StVO greift ebenfalls nicht.
Nach der Konzeption der §§ 5 und 3 StVO trifft vielmehr denjenigen, der nur unter Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit überholt, "lediglich" der Vorwurf, gegen § 3 StVO zu verstoßen. Damit lässt sich die Konzeption eines "faktischen Überholverbots" allein damit begründen, dass der Unfall sich nicht ereignet hätte, wenn der Kläger die zulässige Höchstgeschwindigkeit eingehalten hätte, schlicht weil er dann geschwindigkeitsbedingt nicht hätte überholen können. Eine solche Sichtweise vernachlässigt aber, dass sich die Kollision nach den Feststellungen des Sachverständigen auch bei Einhalten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit durch den Kläger ereignet hätte, die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit also gerade nicht kausal geworden ist. Bei einer solchen Konstellation verbietet sich nach Auffassung des Senats jedenfalls die Annahme eines faktischen Überholverbots."
vgl. OLG Hamm, Urteil vom 04.02.2014 - 9 U 149/13
Pflichtenverstoß ist nur bei Unfallrelevanz kausal
"Die im Video eingeblendete Geschwindigkeit stimmt mit der real gefahrenen überein. Der Sachverständige legt aber im Weiteren plausibel dar, dass die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um lediglich 10 km/h sich nicht unfallursächlich ausgewirkt hat. Demnach hätte sich dadurch ledig......." [vollständiges Zitat anzeigen]
"Die im Video eingeblendete Geschwindigkeit stimmt mit der real gefahrenen überein. Der Sachverständige legt aber im Weiteren plausibel dar, dass die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um lediglich 10 km/h sich nicht unfallursächlich ausgewirkt hat. Demnach hätte sich dadurch lediglich eine um 0,13 Sekunden verlängerte Erkennbarkeit der Zeichen 250/2018-30 ("Verbot für Fahrzeuge aller Art" und "Baustellenfahrzeuge frei") ergeben. Zwar wäre bei rechtzeitiger Erkennbarkeit dieser Zeichen (endgültig) klar geworden, dass die Einfahrt in die Baustellenausfahrt nicht zugelassen/vorgesehen sein sollte, also die unmittelbar zuvor (verdeckend) angebrachten Zeichen 209/205 ("Rechts" und "Vorfahrt gewähren") irreführend waren. Angesichts des geringen Abstands zwischen den beiden Zeichenpaaren/Pfosten, wirkt sich die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um nur 10 km/h aber praktisch nicht aus. Auch eine Erkennbarkeit von 1,13 Sekunden hätte ein Reflektieren der irreführenden Zeichen 209/205 ("Rechts" und "Vorfahrt gewähren") nicht rechtzeitig möglich gemacht. Anderes ist jedenfalls nicht zur Überzeugung der Kammer bewiesen."
vgl. LG Nürnberg-Fürth, Endurteil vom 08.06.2017 - 2 S 5570/15
überhöhte Geschwindigkeit ist unerheblich, wenn nicht unfallkausal
"Zwar ist der Kläger nach eigenen Angaben schneller als die an der Unfallörtlichkeit zugelassenen 50 km/h gefahren. Dieser Geschwindigkeitsverstoß gem. § 3 StVO kann jedoch in die Haftungsabwägung zu Lasten des Klägers nicht eingestellt werden, da er nach dem Sachverständigengutachten in der kritis......." [vollständiges Zitat anzeigen]
"Zwar ist der Kläger nach eigenen Angaben schneller als die an der Unfallörtlichkeit zugelassenen 50 km/h gefahren. Dieser Geschwindigkeitsverstoß gem. § 3 StVO kann jedoch in die Haftungsabwägung zu Lasten des Klägers nicht eingestellt werden, da er nach dem Sachverständigengutachten in der kritischen Situation nicht kausal für den Unfall geworden ist, der konkrete Unfall vielmehr auch bei Einhalten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit nicht vermeidbar war."
vgl. OLG Hamm, Urteil vom 04.02.2014 - 9 U 149/13
um sie als Verstoß zu werten, muss eine Geschwindigkeitsüberschreitung feststehen
"Ebenso wenig ist - wie das Landgericht zu Recht festgestellt hat - zulasten der Beklagten eine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit - mangels streckenbezogener Höchstgeschwindigkeiten galt am Unfallort eine Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h nach § 3 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. c StVO - fes......." [vollständiges Zitat anzeigen]
"Ebenso wenig ist - wie das Landgericht zu Recht festgestellt hat - zulasten der Beklagten eine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit - mangels streckenbezogener Höchstgeschwindigkeiten galt am Unfallort eine Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h nach § 3 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. c StVO - festzustellen. Der Sachverständige hat lediglich eine Annäherungsgeschwindigkeit des Motorrads zwischen 100 und 120 km/h feststellen können (Gutachten I, S. 15, eGA I-68), so dass eine höhere Geschwindigkeit zu Lasten der Beklagten als 100 km/h nicht bewiesen ist."
vgl. OLG Hamm, Urteil vom 02.07.2024 - 7 U 74/23
Vorbeifahrt am Bus: wenn nicht langsam möglich, dann muss gewartet werden
"Der Beklagte zu 1 ist jedoch nicht mit der gebotenen Vorsicht an dem Bus vorbeigefahren, da er nach den insoweit gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO bindenden und auch nicht angegriffen Feststellungen des Landgerichts aufgrund der Feststellungen des Sachverständigen und der Angabe des Beklagten zu 1, er sei......." [vollständiges Zitat anzeigen]
"Der Beklagte zu 1 ist jedoch nicht mit der gebotenen Vorsicht an dem Bus vorbeigefahren, da er nach den insoweit gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO bindenden und auch nicht angegriffen Feststellungen des Landgerichts aufgrund der Feststellungen des Sachverständigen und der Angabe des Beklagten zu 1, er sei mit etwa 15 bis 20 km/h gefahren, mit mindestens 15 km/h an dem Bus vorbeigefahren ist. Damit hat er - wie der Unfall eindrücklich zeigt - nicht jede Gefährdung der aussteigenden und von ihm wahrgenommenen Kinder ausgeschlossen. Nach den bindenden Feststellungen des Landgerichts wäre der Unfall schon bei Einhaltung der Schrittgeschwindigkeit vermieden worden. Soweit sich die Beklagten dahin einlassen, dass es technisch nicht möglich sei, mit einem "normalen Fahrzeug" 6 km/h zu fahren, kann der Senat dies aufgrund seiner langjährigen Erfahrung als Spezialsenat bereits ausschließen. Jedenfalls hätte der Beklagte zu 1 dann aber zum Ausschluss jeder Gefahr schlicht stehen bleiben müssen."
vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 27.02.2024 - 7 U 120/22
weit höheres Verschulden des vorbeifahrenden Kfz ggü. querendem Schulkind an Bushaltetelle
"cc) Vor diesem Hintergrund ist die vom Landgericht angenommene Haftungsquote jedenfalls nicht zulasten der Beklagten zu beanstanden. Eine Abwägung der gegenseitigen Verursachungsbeiträge ergibt jedenfalls eine deutlich überwiegende Haftung der Beklagtenseite.
<br>
Dass verkehrswidrige Verhalten ......." [vollständiges Zitat anzeigen]
"cc) Vor diesem Hintergrund ist die vom Landgericht angenommene Haftungsquote jedenfalls nicht zulasten der Beklagten zu beanstanden. Eine Abwägung der gegenseitigen Verursachungsbeiträge ergibt jedenfalls eine deutlich überwiegende Haftung der Beklagtenseite.
Dass verkehrswidrige Verhalten des (wohl einsichtsfähigen), aber jedenfalls nach § 3 Abs. 2a StVO besonders schutzwürdigen Klägers tritt hinter dem groben Verstoß des Beklagten zu 1 gegen § 20 Abs. 1 StVO und gegen § 3 Abs. 2a StVO deutlich zurück.
Dem steht auch die von den Beklagten angeführte Rechtsprechung nicht entgegen. Die Entscheidung des 9. Zivilsenats des OLG Hamm betraf eine 17jährige, also einen Sachverhalt außerhalb des Anwendungsbereichs des § 3 Abs. 2a StVO (vgl. OLG Hamm Urt. v. 13.4.2010 - 9 U 62/08, NZV 2010, 566; ebenso unpassend OLG Hamm Beschl. v. 26.4.2012 - 6 U 59/12, NJW-RR 2012, 1236). Auch die Entscheidung des Kammergerichts betrifft angesichts der konkreten Verkehrsverhältnisse eine völlig andere Situation (vgl. KG Urt. v. 5.3.1987 - 22 U 4399/86, VerkMitt 1987, Nr. 101). Ebenso betreffen die Entscheidung des OLG München gänzlich andere Fallgestaltungen; § 3 Abs. 2a StVO kam dort nicht zur Anwendung (vgl. OLG München Urt. v. 5.5.2017 - 10 U 1750/15, NJW-RR 2017, 1305; OLG München Urt. v. 10.11.2017 - 10 U 491/17, BeckRS 2017, 130754; siehe auch OLG München Urt. v. 11.4.2014 - 10 U 4757/13, BeckRS 2014, 10204, wo kein Verstoß gegen § 3 Abs. 2a StVO festgestellt werden konnte). So lag es auch in der zitierten Entscheidung des BGH, weil im dortigen Fall kein Kind beteiligt war (vgl. BGH Urt. v. 28.3.2006 - VI ZR 50/05, r+s 2006, 298)."
vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 27.02.2024 - 7 U 120/22
wer Vorfahrt hat, muss nicht kriechen
"Unabhängig davon kann jedoch auch nicht konstatiert werden, dass die nachgewiesene Geschwindigkeit von zumindest 15 km/h den örtlichen Verhältnissen unangepasst gewesen wäre. Zwar fuhr der Beklagte Ziffer 2 unmittelbar vor der Kollision auf eine ihm bekannte Kreuzung zu, die infolge des aus seiner Si......." [vollständiges Zitat anzeigen]
"Unabhängig davon kann jedoch auch nicht konstatiert werden, dass die nachgewiesene Geschwindigkeit von zumindest 15 km/h den örtlichen Verhältnissen unangepasst gewesen wäre. Zwar fuhr der Beklagte Ziffer 2 unmittelbar vor der Kollision auf eine ihm bekannte Kreuzung zu, die infolge des aus seiner Sicht auf der linken Seite befindlichen Bewuchses nur sehr eingeschränkt einsehbar war. Er musste damit rechnen und seine Fahrweise entsprechend darauf einrichten, dass sich andere Verkehrsteilnehmer womöglich von links annähern und sich langsam in die Kreuzung hineintasten werden. Dies war in Anbetracht des zum linken Fahrbahnrand verbleibenden Abstands von ca. 1,45 m und der Geschwindigkeit von nur 15 km/h problemlos möglich (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 9. Februar 2001 – 10 U 119/00). Wird des Weiteren bedacht, dass der Beklagte Ziffer 2 gegenüber keinem der potentiell im Kreuzungsbereich auftauchenden Verkehrsteilnehmern ein Vorfahrtsrecht zu gewähren hatte, so ginge es zu weit, von ihm – in Erwartung einer möglichen Vorfahrtsverletzung durch Dritte – zu verlangen, seine Geschwindigkeit wegen der Herannäherung an eine unübersichtliche Kreuzung (auf unter nachweisbare 15 km/h) zu reduzieren (LG Ellwangen, Urteil vom 18. Dezember 1986 – 3 O 500/86)."
vgl. LG Hechingen, Urteil vom 11.12.2020, Az. 1 O 207/19