Abstand muss so groß sein, dass bei plötzlichem Abbremsen unfallvermeidende Reaktion möglich
"Doch muss ein Verkehrsteilnehmer jederzeit damit rechnen, dass ein Vorausfahrender plötzlich bremst: Gemäß § 4 Abs. 1 S. 1 StVO muss der Abstand von einem vorausfahrenden Fahrzeug in der Regel so groß sein, dass auch dann hinter ihm gehalten werden kann, wenn es plötzlich gebremst wird. Gerade vor ......." [vollständiges Zitat anzeigen]
"Doch muss ein Verkehrsteilnehmer jederzeit damit rechnen, dass ein Vorausfahrender plötzlich bremst: Gemäß § 4 Abs. 1 S. 1 StVO muss der Abstand von einem vorausfahrenden Fahrzeug in der Regel so groß sein, dass auch dann hinter ihm gehalten werden kann, wenn es plötzlich gebremst wird. Gerade vor Lichtzeichenanlagen ist jederzeit wegen der Möglichkeit eines Umschaltens der Anlage mit einem plötzlichen Abbremsen von Vorausfahrenden zu rechnen (vgl. LG Landau, Urteil vom 31.08.2004, 1 S 109/04; OLG Düsseldorf, DAR 1975, 303; KG Berlin, VM 1983, 13; Hentschel- König , Straßenverkehrsrecht, 39. Auflage München 2007, § 4 StVO Rn. 7, 11; Geigel- Zieres , Der Haftpflichtprozess, 25. Auflage München 2008, 27. Kap. Rn. 146). Es liegt mithin kein atypischer Geschehensablauf vor, der den Beweis des ersten Anscheins für ein Verschulden des Beklagten zu 1) entkräftet, zumal der Kläger - wie nachstehend näher dargelegt wird - nicht ohne zwingenden Grund stark abbremste (zur Erschütterung des Anscheinsbeweises bei grundlosem Abbremsen vgl. OLG Frankfurt, NJW 2007, 87)."
vgl. AG Hildesheim, Urteil vom 07.08.2008 - 47 C 119/08
Alleinhaftung des Radfahrers, der ungebremst auf PKW auffährt
"Der Kläger ist ungebremst auf den Pkw des Beklagten zu 1 aufgefahren, hat also überhaupt nicht reagiert, obwohl in Anbetracht des Seitenabstandes zwischen dem Pkw und der Gosse von ca. einem Meter eine Ausweichmöglichkeit nach rechts bestanden hätte (s. unter I 3). Bei dieser Sachlage ist auszuschlie......." [vollständiges Zitat anzeigen]
"Der Kläger ist ungebremst auf den Pkw des Beklagten zu 1 aufgefahren, hat also überhaupt nicht reagiert, obwohl in Anbetracht des Seitenabstandes zwischen dem Pkw und der Gosse von ca. einem Meter eine Ausweichmöglichkeit nach rechts bestanden hätte (s. unter I 3). Bei dieser Sachlage ist auszuschließen, dass der Kläger bei einem größeren Seitenabstand rechts mit einem Ausweichmanöver reagiert hätte.
Es kann dahinstehen, ob der Unfall für den Beklagten zu 1 im Sinne von § 7 Abs. 2 StVG unabwendbar war oder ein besonders sorgfältiger Idealfahrer den Kläger in Anbetracht der Verkehrssituation überhaupt nicht überholt und damit den Unfall vermieden hätte. Zutreffend führt das Landgericht aus, dass die gegebenenfalls zu berücksichtigende Betriebsgefahr des Fahrzeugs des Beklagten zu 1 jedenfalls hinter dem überwiegenden Verschulden des Klägers zurückträte."
vgl. OLG Celle, Urteil vom 15.01.2004 - 14 U 91/03
Alleinhaftung des Spurwechslers für anschließenden Auffahrunfall
"Nach der Rechtsprechung (OLG Hamm VersR 1992, 624; OLG Bremen VersR 1997, 253; KG VersR 2006, 563; vgl. auch Grüneberg, Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen, 11. Aufl. 2008, Rn. 157) hat die Betriebsgefahr regelmäßig ganz hinter einem Verstoß gegen § 7 Abs. 5 StVO zurückzutreten. Eine davon abweich......." [vollständiges Zitat anzeigen]
"Nach der Rechtsprechung (OLG Hamm VersR 1992, 624; OLG Bremen VersR 1997, 253; KG VersR 2006, 563; vgl. auch Grüneberg, Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen, 11. Aufl. 2008, Rn. 157) hat die Betriebsgefahr regelmäßig ganz hinter einem Verstoß gegen § 7 Abs. 5 StVO zurückzutreten. Eine davon abweichende rechtliche Beurteilung ist hier nicht gerechtfertigt. Dem Beklagten Ziff. 1 ist ein äußerst riskanter und unfallträchtiger Fahrfehler zur Last zu legen. Eine Mithaftung des Klägers käme deshalb nur dann in Betracht, wenn dem Kläger ein die Betriebsgefahr erhöhender Verursachungs- oder Verschuldensbeitrag vorgeworfen werden könnte. Daran fehlt es vorliegend."
vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 07.04.2010 - 3 U 216/09
Alleinhaftung des überholenden Ausbremsers
"2. Damit lässt sich ein verkehrswidriger Verursachungsbeitrag - auch nicht aufgrund eines Anscheinsbeweises gegen den Auffahrenden, dass er entweder den erforderlichen Sicherheitsabstand nicht eingehalten hat, § 4 Abs. 1 StVO, unaufmerksam war, § 1 StVO, oder mit einer den Straßen- und Sichtverhältn......." [vollständiges Zitat anzeigen]
"2. Damit lässt sich ein verkehrswidriger Verursachungsbeitrag - auch nicht aufgrund eines Anscheinsbeweises gegen den Auffahrenden, dass er entweder den erforderlichen Sicherheitsabstand nicht eingehalten hat, § 4 Abs. 1 StVO, unaufmerksam war, § 1 StVO, oder mit einer den Straßen- und Sichtverhältnissen unangepassten Geschwindigkeit gefahren ist, § 3 Abs. 1 StVO (vgl. BGH Urt. v. 13.12.2016 - VI ZR 32/16, r+s 2017, 153 Rn. 10 ff. m. w. N.) nicht feststellen.
Die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu einer überhöhten Geschwindigkeit des Beklagten zu 1 war insoweit nicht erforderlich. Denn aufgrund der geringen, wenn auch verkehrswidrig überhöhten Eigengeschwindigkeit des Klägers von nur ca. 12 km/h beim Überholen und Schneiden vor dem Ausbremsen ist nicht nachvollziehbar oder ersichtlich, dass der Beklagte zu 1 die zulässige Höchstgeschwindigkeit im dem verkehrsberuhigten Bereich (Zeichen 315.1 und Anl. 3 zu § 42 Abs. 2 StVO lfd. Nr. 12 Nr. 1 "Schrittgeschwindigkeit") maßgeblich überschritten hätte.
Ohnedies würde die Haftung der Beklagten im vorliegenden Einzelfall bei einer hier allenfalls geringfügigen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit angesichts des grob verkehrswidrigen Verhaltens des Klägers vollständig zurücktreten (vgl. im Ergebnis OLG Düsseldorf Urt. v. 12.12.2005 - 1 U 91/05, BeckRS 2006, 7147 = juris Rn. 17; Helle in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., § 4 StVO (Stand: 09.06.2023), § 4 Rn. 27 f. m. w. N.; siehe auch zum Haftungsausschluss für unerwartete körperliche Verletzungen von Mittätern nach einem Fahrzeugdiebstahl BGH Urt. v. 27.2.2018 - VI ZR 109/17, r+s 2018, 273 Ls.; i.A. an KG Urt. v. 13.6.2005 - 12 U 65/04, DAR 2005, 620)."
vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 08.02.2024 - 7 U 30/23
Anhalten bei Gelblicht, wenn möglich
"Das Berufungsgericht hat allerdings festgestellt, dass der Beklagte zu 1 in die Kreuzung eingefahren ist, obwohl die Lichtzeichenanlage für ihn schon längere Zeit Gelb zeigte. Darin hat es mit Recht einen Verstoß gegen § 37 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 StVO gesehen, wonach das Wechsellichtzeichen Gelb an eine......." [vollständiges Zitat anzeigen]
"Das Berufungsgericht hat allerdings festgestellt, dass der Beklagte zu 1 in die Kreuzung eingefahren ist, obwohl die Lichtzeichenanlage für ihn schon längere Zeit Gelb zeigte. Darin hat es mit Recht einen Verstoß gegen § 37 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 StVO gesehen, wonach das Wechsellichtzeichen Gelb an einer Kreuzung anordnet, auf das nächste Zeichen zu warten. Hiergegen hat der Beklagte zu 1 verstoßen, denn das Berufungsgericht nimmt an, dass er in die Kreuzung eingefahren ist, obwohl die Lichtzeichenanlage für ihn schon mehrere Sekunden lang Gelb zeigte. Im Hinblick darauf ist es davon ausgegangen, dass es ihm möglich gewesen wäre, seinen Pkw vor der Kreuzung anzuhalten, wozu er mithin auch verpflichtet gewesen wäre."
vgl. BGH, Urteil vom 07.02.2012 - VI ZR 133/11
Anscheinsbeweis bei Auffahrunfall
"aa) In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass bei Auffahrunfällen, auch wenn sie sich auf Autobahnen ereignen, der erste Anschein dafür sprechen kann, dass der Auffahrende den Unfall schuldhaft dadurch verursacht hat, dass er entweder den erforderlichen Sicherheitsabstand nicht ein......." [vollständiges Zitat anzeigen]
"aa) In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass bei Auffahrunfällen, auch wenn sie sich auf Autobahnen ereignen, der erste Anschein dafür sprechen kann, dass der Auffahrende den Unfall schuldhaft dadurch verursacht hat, dass er entweder den erforderlichen Sicherheitsabstand nicht eingehalten hat (§ 4 Abs. 1 StVO), unaufmerksam war (§ 1 StVO) oder aber mit einer den Straßen- und Sichtverhältnissen unangepassten Geschwindigkeit gefahren ist (§ 3 Abs. 1 StVO) (Senatsurteile vom 13. Dezember 2011 - VI ZR 177/10, BGHZ 192, 84 Rn. 7; vom 30. November 2010 - VI ZR 15/10, NJW 2011, 685 Rn. 7; vom 16. Januar 2007 - VI ZR 248/05, NJW-RR 2007, 680 Rn. 5; vom 18. Oktober 1988 - VI ZR 223/87, NJW-RR 1989, 670, 671; vom 6. April 1982 - VI ZR 152/80, NJW 1982, 1595, 1596; ferner von Pentz, zfs 2012, 124, 126). Denn der Kraftfahrer ist verpflichtet, seine Fahrweise so einzurichten, dass er notfalls rechtzeitig anhalten kann, wenn ein Hindernis auf der Fahrbahn auftaucht (Senatsurteil vom 6. April 1982 - VI ZR 152/80, aaO)."
vgl. BGH, Urteil vom 13.12.2016 - VI ZR 32/16
Anscheinsbeweis bei Fahrspurwechsel
"Der Beklagte Ziff. 1 hat entgegen § 7 Abs. 5 S. 1 StVO den Fahrstreifen gewechselt, da eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer nicht nur nicht ausgeschlossen, sondern in hohem Maße durch ihn begründet war. Ist ein zeitlich und örtlich naher Zusammenhang zwischen einem Auffahrunfall und einem vora......." [vollständiges Zitat anzeigen]
"Der Beklagte Ziff. 1 hat entgegen § 7 Abs. 5 S. 1 StVO den Fahrstreifen gewechselt, da eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer nicht nur nicht ausgeschlossen, sondern in hohem Maße durch ihn begründet war. Ist ein zeitlich und örtlich naher Zusammenhang zwischen einem Auffahrunfall und einem vorausgegangenen Fahrspurwechsel zu bejahen, spricht der Beweis des ersten Anscheins für eine unfallursächliche Missachtung der sich aus § 7 Abs. 5 S. 1 StVO ergebenden gesteigerten Sorgfaltspflichten durch den vorausfahrenden Spurwechsler (OLG Bremen VersR 1997, 253; KG VersR 2006, 563; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 40. Aufl. 2009, § 7 StVO Rn. 17 m.w. Nachw.). So liegt der Fall auch hier. Ein Fahrstreifenwechsel darf wegen seiner auf der Hand liegenden latenten Gefahren nur unter Beachtung äußerster Sorgfalt durchgeführt werden (KG VRS 109, 10; OLG Brandenburg VersR 2003, 1566). Er ist nach § 7 Abs. 5 S. 1 StVO untersagt, wenn eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer nicht auszuschließen ist. Bei dichtem Verkehr oder Kolonnenbildung ist deshalb das Wechseln in aller Regel auf das Ausnutzen großer Lücken beschränkt, welche ausreichenden Abstand nach hinten und vorn ermöglichen (OLG Hamm VersR 1992, 624)."
vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 07.04.2010 - 3 U 216/09
Anscheinsbeweis beim Auffahrunfall an Lichtzeichenanlage
"16a) Unstreitig fuhr der Beklagte zu 1) auf das Fahrzeug des Klägers auf, als der Kläger sein Fahrzeug bei Umschalten der Wechsellichtzeichenanlage von Grün auf Gelb abbremste und anhielt. Bereits der „Beweis des ersten Anscheins“ spricht deshalb für ein Verschulden des Klägers (vgl. LG Landau, ......." [vollständiges Zitat anzeigen]
"16a) Unstreitig fuhr der Beklagte zu 1) auf das Fahrzeug des Klägers auf, als der Kläger sein Fahrzeug bei Umschalten der Wechsellichtzeichenanlage von Grün auf Gelb abbremste und anhielt. Bereits der „Beweis des ersten Anscheins“ spricht deshalb für ein Verschulden des Klägers (vgl. LG Landau, Urteil vom 31.08.2004, 1 S 109/04). Denn typischerweise beruht ein Auffahrunfall darauf, dass der Auffahrende unaufmerksam, zu schnell oder mit zu geringem Sicherheitsabstand zu dem Vorausfahrenden fuhr (vgl. Hentschel- König , Straßenverkehrsrecht, 39. Auflage München 2007, § 4 StVO Rn. 18; Geigel- Zieres , Der Haftpflichtprozess, 25. Auflage München 2008, 27. Kap. Rn. 147). Da sämtliche Zeugen sowie der Kläger und der Beklagte zu 1) übereinstimmend bekundet haben, dass beide Fahrzeuge vor dem Umschalten der Lichtzeichenanlage mit etwa 50 km/h, der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, fuhren, spricht der Beweis des ersten Anscheins vorliegend für ein Verschulden des Beklagten zu 1) wegen zu geringen Abstandes (Verstoß gegen § 4 Abs. 1 S. 1 StVO) oder Unaufmerksamkeit (Verstoß gegen § 1 Abs. 1 StVO)."
vgl. AG Hildesheim, Urteil vom 07.08.2008 - 47 C 119/08
Anscheinsbeweis gegen den Auffahrenden
"2. Zwischen den Parteien ist der Unfallhergang unstreitig, weshalb die Beklagten zunächst zu 100% für den Unfall haften, weil der Beklagte zu 2) durch sein Auffahren und die dadurch entstandene Kettenreaktion (Schieben des übernächsten Fahrzeugs in die vom Kläger benutzte Gegenfahrbahn) den Unfall v......." [vollständiges Zitat anzeigen]
"2. Zwischen den Parteien ist der Unfallhergang unstreitig, weshalb die Beklagten zunächst zu 100% für den Unfall haften, weil der Beklagte zu 2) durch sein Auffahren und die dadurch entstandene Kettenreaktion (Schieben des übernächsten Fahrzeugs in die vom Kläger benutzte Gegenfahrbahn) den Unfall verursacht hat. Bei Auffahrunfällen spricht bereits der erste Anschein dafür, dass der Auffahrende den Unfall schuldhaft dadurch verursacht hat, dass er entweder den erforderlichen Sicherheitsabstand nicht eingehalten hat (§ 4 I StVO), unaufmerksam war (§ 1 StVO) oder mit einer den Straßen- und Sichtverhältnissen unangepassten Geschwindigkeit gefahren ist (§ 3 I StVO) (vgl. BGH, Urteil vom 13. Dezember 2016 - VI ZR 32/16 -, [juris]; BGH Urteil vom 13. Dezember 2011, VI ZR 177/10, BGHZ 192, 84 Rn. 7). Die Beklagten haben den für das Auffahren auf das vorausfahrende Fahrzeug wirkenden Anscheinsbeweis nicht entkräftet bzw. erschüttert, da sie der vom Kläger geschilderten Unfalldarstellung nicht entgegentreten sind."
vgl. OLG München, Endurteil vom 25.10.2019 - 10 U 3171/18
Anscheinsbeweis gegen den Einbieger beim Auffahrunfall
"Kommt es - wie vorliegend - in unmittelbarem zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem Ausfahren zu einer Kollision mit dem fließenden Verkehr, so spricht bereits der Beweis des ersten Anscheins für ein Verschulden des Ausfahrenden (OLG Hamm, VersR 1979, 266266; KG, NZV 2006, 369369 ; Burmann in: ......." [vollständiges Zitat anzeigen]
"Kommt es - wie vorliegend - in unmittelbarem zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem Ausfahren zu einer Kollision mit dem fließenden Verkehr, so spricht bereits der Beweis des ersten Anscheins für ein Verschulden des Ausfahrenden (OLG Hamm, VersR 1979, 266266; KG, NZV 2006, 369369 ; Burmann in: Burmann/Heß/Jahnke/Janker, StVR, 22. A. 2012 § 10 StVO Rn. Rz. 8 m.w.N.)."
vgl. OLG Hamm, Urteil vom 04.02.2014 - 9 U 149/13
Anscheinsbeweis gegen den Spurwechsler bei zeitnahem Auffahrunfall
"2. Der sorgfaltswidrige Fahrbahnwechsel des Beklagten Ziff. 1 war (mit-)ursächlich für den streitgegenständlichen Verkehrsunfall. Nach der bereits zitierten Spruchpraxis des Kammergerichts und des OLG Bremen kann sich der Kläger auch insoweit mit Erfolg auf die Regeln über den Anscheinsbeweis berufe......." [vollständiges Zitat anzeigen]
"2. Der sorgfaltswidrige Fahrbahnwechsel des Beklagten Ziff. 1 war (mit-)ursächlich für den streitgegenständlichen Verkehrsunfall. Nach der bereits zitierten Spruchpraxis des Kammergerichts und des OLG Bremen kann sich der Kläger auch insoweit mit Erfolg auf die Regeln über den Anscheinsbeweis berufen. Der Spurwechsel hat zu einer Verkürzung des dem Kläger zur Verfügung stehenden Bremsweges geführt. Wenn, so der Sachverständige Dipl.-Ing. R& weiter, eine Geschwindigkeit von 30 km/h auf Seiten des Klägers unterstellt wird, betrug der Abstand zwischen dem Pkw des Klägers und demjenigen des Beklagten Ziff. 1 etwa 5 bis 7 m. Ein solcher Abstand war nicht ausreichend, um die Auffahrkollision zu vermeiden (S. 12 des Protokolls). Erst recht gilt dies, wenn eine Ausgangsgeschwindigkeit von 40 km/h zu Grunde gelegt wird (ebenfalls S. 12 des Protokolls). Ohne den Spurwechsel wäre es zu keinem Auffahren auf das Heck des vom Beklagten Ziff. 1 gesteuerten Fahrzeuges gekommen. Etwas anderes steht jedenfalls nicht zur Überzeugung des Senats fest."
vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 07.04.2010 - 3 U 216/09
Auffahrunfall: Definition
"Um einen Auffahrunfall handelt es sich, wenn zwei Fahrzeuge im gleichgerichteten Verkehr fahren, es zu einer Kollision der beiden Fahrzeuge kommt und mindestens eine Teilüberdeckung von Heck und Front vorliegt (KG BeckRS 2014, 06024; NZV 2008, 197; OLG Oldenburg NZV 1991, 428). Diese Voraussetzungen lie......." [vollständiges Zitat anzeigen]
"Um einen Auffahrunfall handelt es sich, wenn zwei Fahrzeuge im gleichgerichteten Verkehr fahren, es zu einer Kollision der beiden Fahrzeuge kommt und mindestens eine Teilüberdeckung von Heck und Front vorliegt (KG BeckRS 2014, 06024; NZV 2008, 197; OLG Oldenburg NZV 1991, 428). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Aus dem unstreitigen Parteivortrag ergibt sich, dass das klägerische Fahrzeug im Bereich des linken hinteren Scheibenrades,
Radlaufs und Stoßfängers beschädigt wurde. Schäden am Heck des klägerischen Fahrzeuges liegen nicht vor. Dies deckt sich auch mit der als Anlage HWC1 vorgelegten Unfallmitteilung der Polizei (Bl. 48 d.A.)."
vgl. AG Brühl, Urteil vom 17.05.2024 - 23 C 220/23
bei Kettenunfall kein typischer Geschehensablauf
"Vorliegend ist unstreitig, dass der Zeuge L seinerseits (leicht) auf das klägerische Fahrzeug aufgefahren ist und der Anhalteweg der Gesellschafterin der Klägerin dadurch verkürzt wurde.
Damit fehlt es im Verhältnis zwischen dem Zeugen L und der Klägerin an dem erforderlichen typischen Ge......." [vollständiges Zitat anzeigen]
"Vorliegend ist unstreitig, dass der Zeuge L seinerseits (leicht) auf das klägerische Fahrzeug aufgefahren ist und der Anhalteweg der Gesellschafterin der Klägerin dadurch verkürzt wurde.
Damit fehlt es im Verhältnis zwischen dem Zeugen L und der Klägerin an dem erforderlichen typischen Geschehensablauf, ein Anscheinsbeweis greift nicht ein.
Dies gilt auch im Verhältnis zum Beklagten zu 1 als erstem Fahrer in der Kette.
Damit ist die Frage, inwieweit die Gesellschafterin der Klägerin den gem. § 4 Abs. 1 Satz 1 StVO gebotenen Sicherheitsabstand zum Fahrzeug des Zeugen L eingehalten und ob sie wie gem. § 1 Abs. 2 StVO geboten auf dessen Vollbremsung reagiert hat, offen. Eine weitere diesbezügliche Aufklärung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens war jedoch nicht erforderlich, da auch für den Fall, dass der Gesellschafterin kein Verkehrsverstoß nachgewiesen werden kann, die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs im Verhältnis zu der des Beklagtenfahrzeugs im Rahmen der gebotenen Einzelabwägung der Verursachungsbeiträge des Beklagten zu 1 und der Gesellschafterin der Klägerin so deutlich überwiegt, dass diese dahinter vollständig zurücktritt."
vgl. OLG Hamm, Urteil vom 27.11.2020 - 7 U 24/19
Beweislast des Auffahrenden, dass es vorher einen Spurwechsel des Vorausfahrenden gab
"Bestreitet mithin der Vorausfahrende den vom Auffahrenden behaupteten Spurwechsel und kann der Auffahrende den Spurwechsel des Vorausfahrenden nicht beweisen, so bleibt - in Abwesenheit weiterer festgestellter Umstände des Gesamtgeschehens - allein der Auffahrunfall, der typischerweise auf einem Verschu......." [vollständiges Zitat anzeigen]
"Bestreitet mithin der Vorausfahrende den vom Auffahrenden behaupteten Spurwechsel und kann der Auffahrende den Spurwechsel des Vorausfahrenden nicht beweisen, so bleibt - in Abwesenheit weiterer festgestellter Umstände des Gesamtgeschehens - allein der Auffahrunfall, der typischerweise auf einem Verschulden des Auffahrenden beruht. Zutreffend hat das Berufungsgericht deshalb angenommen, dass es in Fällen wie dem vorliegenden nicht Aufgabe des sich auf einen Anscheinsbeweis stützenden Vorausfahrenden ist zu beweisen, dass ein Spurwechsel nicht stattgefunden hat (aA OLG München, Urteil vom 25. Oktober 2013 - 10 U 964/13, juris Rn. 7)."
vgl. BGH, Urteil vom 13.12.2016 - VI ZR 32/16
grundsätzlich haften Auffahrender und Überholer allein
"Ausgehend von der grundsätzlichen Alleinhaftung des Auffahrenden wie des Überholers kommt eine Mithaftung nämlich regelmäßig nur bei vorwerfbarem Fehlverhalten in Betracht (Grüneberg, Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen, 17. Auflage 2022, Rn. 115 und N01, beckonline), welches hier - wie dargestell......." [vollständiges Zitat anzeigen]
"Ausgehend von der grundsätzlichen Alleinhaftung des Auffahrenden wie des Überholers kommt eine Mithaftung nämlich regelmäßig nur bei vorwerfbarem Fehlverhalten in Betracht (Grüneberg, Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen, 17. Auflage 2022, Rn. 115 und N01, beckonline), welches hier - wie dargestellt - auf Seiten des Zeugen R1. nicht vorliegt."
vgl. LG Münster, Urteil vom 11.07.2024 - 8 O 7/22
Grundsatz beim Auffahrunfall und Ausnahmen
"Hält das Erstfahrzeug wegen eines einbiegenden Fahrzeugs zu Recht an, so ist in der Regel von der Alleinhaftung des Auffahrenden auszugehen (vgl. BGH, VersR 1957, 65). Ausgehend von der grundsätzlichen Alleinhaftung des Auffahrenden kommt eine Mithaftung des Erstfahrzeugs z.B. in Betracht, wenn sein Fa......." [vollständiges Zitat anzeigen]
"Hält das Erstfahrzeug wegen eines einbiegenden Fahrzeugs zu Recht an, so ist in der Regel von der Alleinhaftung des Auffahrenden auszugehen (vgl. BGH, VersR 1957, 65). Ausgehend von der grundsätzlichen Alleinhaftung des Auffahrenden kommt eine Mithaftung des Erstfahrzeugs z.B. in Betracht, wenn sein Fahrer selbst verspätet abbremst oder nur fehlerhaft von der Verletzung seines Vorfahrtrechts ausgegangen ist (vgl. Grüneberg, Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen, 17. Auflage, Rn. 116)."
vgl. LG Bochum, Urteil vom 07.06.2023 - 4 O 238/22
Grundsatz: Anscheinsbeweis gegen Auffahrenden
"Grundsätzlich spricht bei einem Auffahrunfall der erste Anschein dafür, dass der Auffahrende den Unfall schuldhaft dadurch verursacht hat, dass er entweder den erforderlichen Sicherheitsabstand nicht eingehalten hat, unaufmerksam war oder aber mit einer den Straßen- und Sichtverhältnissen unangepasst......." [vollständiges Zitat anzeigen]
"Grundsätzlich spricht bei einem Auffahrunfall der erste Anschein dafür, dass der Auffahrende den Unfall schuldhaft dadurch verursacht hat, dass er entweder den erforderlichen Sicherheitsabstand nicht eingehalten hat, unaufmerksam war oder aber mit einer den Straßen- und Sichtverhältnissen unangepassten Geschwindigkeit gefahren ist; denn der Kraftfahrer ist verpflichtet, seine Fahrweise so einzurichten, dass er notfalls rechtzeitig anhalten kann, wenn ein Hindernis auf der Fahrbahn auftaucht (BGH, Urteil vom 13.12.2016, VI ZR 32/16, NJW 2017, 1177; Urteil vom 16.01.2007, VI ZR 248/05 - juris; OLG Hamm, Beschluss vom 06.09.2018, 7 U 31/18 - juris).
"
vgl. OLG Hamm, Urteil vom 27.11.2020 - 7 U 24/19
kein Anscheinsbeweis bei plötzlichem Ausscheren
"Unter Anwendung dieser Grundsätze liegt hier kein typischer Auffahrunfall vor, da als besonderer Umstand das plötzliche Ausscheren des Zeugen K. nach links zu berücksichtigen ist. berücksichtigen ist." [vollständiges Zitat anzeigen]
"Unter Anwendung dieser Grundsätze liegt hier kein typischer Auffahrunfall vor, da als besonderer Umstand das plötzliche Ausscheren des Zeugen K. nach links zu berücksichtigen ist."
vgl. LG Münster, Urteil vom 01.06.2023 - 8 O 136/22
kein Anscheinsbeweis gegen Auffahrenden nach Spurwechsel des Vordermanns
"In Übereinstimmung mit der obergerichtlichen Rechtsprechung hat das Landgericht angenommen, dass ein gegen den Auffahrenden (hier den Kläger) sprechender erster Anschein, der sich letztlich auf die Nichteinhaltung eines der Geschwindigkeit entsprechenden Sicherheitsabstands oder auf Unaufmerksamkeit gr......." [vollständiges Zitat anzeigen]
"In Übereinstimmung mit der obergerichtlichen Rechtsprechung hat das Landgericht angenommen, dass ein gegen den Auffahrenden (hier den Kläger) sprechender erster Anschein, der sich letztlich auf die Nichteinhaltung eines der Geschwindigkeit entsprechenden Sicherheitsabstands oder auf Unaufmerksamkeit gründet, dann ausgeräumt ist, wenn der Vordermann (hier der Beklagte Ziff. 1) in zeitlich und örtlich nahem Zusammenhang mit dem Unfall einen Fahrstreifenwechsel vorgenommen hat (KG VersR 1997, 253; OLG Hamm VersR 1992, 624). An einem solchen nahen Zusammenhang ist vorliegend nicht zu zweifeln. Nach den glaubwürdigen Angaben des Zeugen Dr. L& musste der Beklagte Ziff. 1 nach dem Spurwechsel sofort bremsen und dann hat es auch schon geknallt, es ist quasi alles gleichzeitig passiert (S. 6 des Protokolls vom 11.11.2009). Damit liegt ein vom typischen Auffahrunfall abweichender Geschehensablauf vor."
vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 07.04.2010 - 3 U 216/09
mit Bremsen muss gerechnet werden, aber nicht mit einem Stop durch Unfall
"Zwar muss ein Kraftfahrer ein plötzliches scharfes Bremsen des Vorausfahrenden grundsätzlich einkalkulieren. Er muss jedoch nicht mit einem ruckartigen Stehenbleiben seines Vordermannes infolge Auffahrens auf ein Hindernis rechnen, durch das sein Anhalteweg außergewöhnlich verkürzt wird (BGH, Urteil......." [vollständiges Zitat anzeigen]
"Zwar muss ein Kraftfahrer ein plötzliches scharfes Bremsen des Vorausfahrenden grundsätzlich einkalkulieren. Er muss jedoch nicht mit einem ruckartigen Stehenbleiben seines Vordermannes infolge Auffahrens auf ein Hindernis rechnen, durch das sein Anhalteweg außergewöhnlich verkürzt wird (BGH, Urteil vom 09.12.1986 - VI ZR 138/85 - juris; Urteil vom 16.01.2007, VI ZR 248/05 - juris Rn. 6; Senat, Urteil vom 31.08.2018, 7 U 70/17 - juris Rn. 22; KG Berlin, Urteil vom 06.07.1995, 12 U 1976/94 - juris; OLG Düsseldorf, Urteil vom 12.06.2006, 1 U 206/05 - juris Rn. 30; Helle, in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, Stand 22.07.2019, § 4 StVO Rn. 47)."
vgl. OLG Hamm, Urteil vom 27.11.2020 - 7 U 24/19
nachfolgender Verkehr muss sich auf plötzliches Bremsen einstellen
"Auf ein plötzliches scharfes Bremsen des Vorausfahrenden musste sich der nachfolgende Verkehr ohnehin einstellen (vgl. BGH, Urteil vom 16.01.2007, VI ZR 248/05 - juris Rn. 6; OLG Karlsruhe, Urteil vom 28.04.2017, 9 U 189/15, NJW 2017, 2626 Rn. 24), (...)......." [vollständiges Zitat anzeigen]
"Auf ein plötzliches scharfes Bremsen des Vorausfahrenden musste sich der nachfolgende Verkehr ohnehin einstellen (vgl. BGH, Urteil vom 16.01.2007, VI ZR 248/05 - juris Rn. 6; OLG Karlsruhe, Urteil vom 28.04.2017, 9 U 189/15, NJW 2017, 2626 Rn. 24), (...)"
vgl. OLG Hamm, Urteil vom 27.11.2020 - 7 U 24/19
Vertrauensgrundsatz; Angleichungsbremsung zu einem Einbiegenden genügt, wenn Abbiegeabsicht nicht erkennbar ist
"Zwar hatte die Zeugin E. auch als Vorfahrtsberechtigte die Grundregel des § 1 Abs. 2 StVO zu beachten. Hiernach muss sich jeder Verkehrsteilnehmer so verhalten, dass kein Anderer geschädigt wird. Dieser Pflicht ist sie jedoch in hinreichendem Maße nachgekommen. Es lässt sich gerade nicht feststellen,......." [vollständiges Zitat anzeigen]
"Zwar hatte die Zeugin E. auch als Vorfahrtsberechtigte die Grundregel des § 1 Abs. 2 StVO zu beachten. Hiernach muss sich jeder Verkehrsteilnehmer so verhalten, dass kein Anderer geschädigt wird. Dieser Pflicht ist sie jedoch in hinreichendem Maße nachgekommen. Es lässt sich gerade nicht feststellen, dass sie die Kollision durch eine verspätete Reaktion verursacht hat.
Vielmehr durfte sie zunächst davon ausgehen, trotz eines Abstands von nur 19,5 m sei dem Beklagten zu 2) nicht zuletzt durch ihre Angleichungsbremsung die Eingliederung in den fließenden Verkehr gelungen. Einen Anhaltspunkt dafür, dass der Beklagte zu 2) nach bereits - so die Weg-Zeit-Betrachtung des Sachverständigen - 3 Sekunden Anstalten machte, nach links in eine Grundstückseinfahrt abzubiegen, hatte sie allein infolge des Abbremsens des PKW ca. 4 Sekunden vor der Kollision noch nicht; denn insoweit durfte sie nach dem sog. Vertrauensgrundsatz die Beachtung des § 9 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 StVO durch den Beklagten zu 2) erwarten. Dass dieser rechtzeitig den linken Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt hatte, haben die für einen Verursachungsbeitrag der Zeugin E. darlegungspflichtigen Beklagten schon nicht schlüssig dargelegt, was sich auch hier zu ihren Lasten auswirkt.
Folglich musste die Zeugin angesichts der Abstandsverringerung von 19,5 m auf 17,5 m infolge des bloßen Abbremsens des PKW 4 Sek. vor der Kollision bei Gefälle und winterlichen Straßenverhältnissen nicht sofort (konkret 3,4 Sekunden vor der Kollision), sondern erst dann reagieren, als sie Anlass hatte, davon auszugehen, dass der PKW - aus welchem Grund auch immer - bis zum Stillstand abgebremst werden würde."