1/3 Mitverschulden, wer unangeschnallt bei einem Fahruntüchtigen einsteigt
"Dabei sind im Rahmen des § 254 Abs. 1 BGB die §§ 827 bis 829 BGB entsprechend anwendbar (allg. Meinung, vgl. nur Palandt-Grüneberg, BGB, 80. Aufl. § 254 Rn. 9 m. w. N.).
Zum maßgeblichen Zeitpunkt, dem Zusteigen in das Fahrzeug des absolut fahruntüchtigen Zeugen B., befand sich der Kläger aufg......." [vollständiges Zitat anzeigen]
"Dabei sind im Rahmen des § 254 Abs. 1 BGB die §§ 827 bis 829 BGB entsprechend anwendbar (allg. Meinung, vgl. nur Palandt-Grüneberg, BGB, 80. Aufl. § 254 Rn. 9 m. w. N.).
Zum maßgeblichen Zeitpunkt, dem Zusteigen in das Fahrzeug des absolut fahruntüchtigen Zeugen B., befand sich der Kläger aufgrund seiner eigenen Alkoholisierung - die ihm rund zwei Stunden nach dem Unfall entnommene Blutprobe ergab eine BAK von 1,71 Promille - in einem vorübergehend die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit. Bewusstlos hingegen war der Kläger nach seinen eigenen Angaben vor dem Landgericht nicht. Allerdings ist gemäß § 827 Satz 2 BGB derjenige, der sich durch geistige Getränke in einen vorübergehenden Zustand dieser Art versetzt hat, in gleicher Weise verantwortlich, wie wenn ihm Fahrlässigkeit zur Last fiele, es sei denn, er ist ohne Verschulden in diesen Zustand geraten (vgl. OLG Karlsruhe, a. a. O., Juris Rn. 12).
Nach dem Vorbringen des Klägers aus der Berufungsbegründung, wonach er über einen längeren Zeitraum alkoholische Getränke zu sich genommen habe - wobei dieser Vortrag im Gegensatz zu seinen Angaben im Rahmen der persönlichen Anhörung vor dem Landgericht steht, denn dort hat er bekundet, keinen Alkohol mehr getrunken zu haben - ergibt sich allerdings in beiden Vortragsvarianten nichts dafür, dass der Kläger unverschuldet in den vorgenannten Zustand geraten wäre. Der Konsum alkoholischer Getränken - in welchem Umfang auch immer - erfolgte freiwillig und der Alkoholisierungsgrad ist unstreitig. Von einer Alkoholkrankheit und/oder regelmäßigem Alkoholkonsum vor dem Unfall ist nichts bekannt.
Demnach fällt dem Kläger ein fahrlässiges Mitverschulden zur Last.
Wenn das Landgericht das Mitverschulden des Klägers insgesamt mit einem Drittel bemessen hat, ist dies nicht zu beanstanden und liegt im Bereich dessen, was gemeinhin in derartigen Fällen obergerichtlich ausgeurteilt wird (vgl. nur OLG Karlsruhe a. a. O., KG, Urteil v. 12.01.2006, 12 U 261/04; OLG Frankfurt, Urteil v. 04.11.2011, 25 U 77/10).""
vgl. OLG Schleswig, Beschluss vom 08.04.2021 - 7 U 2/20
Allgemeines: Mitverschulden wegen nicht angelegten Anschnallgurtes
"a) Im Falle von Verletzungen infolge eines Verkehrsunfalls besteht nur dann eine anspruchsmindernde Mithaftung des Geschädigten, wenn im Einzelfall festgestellt ist, dass nach der Art des Unfalls die erlittenen Verletzungen tatsächlich verhindert worden oder zumindest weniger schwerwiegend gewesen wär......." [vollständiges Zitat anzeigen]
"a) Im Falle von Verletzungen infolge eines Verkehrsunfalls besteht nur dann eine anspruchsmindernde Mithaftung des Geschädigten, wenn im Einzelfall festgestellt ist, dass nach der Art des Unfalls die erlittenen Verletzungen tatsächlich verhindert worden oder zumindest weniger schwerwiegend gewesen wären, wenn der Verletzte zum Zeitpunkt des Unfalls angeschnallt gewesen wäre (vgl. BGH NZV 2012, 478, 479; VersR 1980, 824 f.; BGHZ 74, 25, 33; Senat, Urteil vom 07. Juni 2013 - 10 U 1931/12 -, [juris])."
vgl. OLG München, Endurteil vom 25.10.2019 - 10 U 3171/18
Allgemeines: Mitverschulden wegen nicht angelegten Anschnallgurtes: Herleitung und Quotenbestimmung
"b) Die Bemessung des Mitverschuldens wegen des Nichtanlegens des Sicherheitsgurtes erfolgt einheitlich. Zwar mag der Umstand, dass der Kläger sich nicht angegurtet hatte, für jede der von ihm erlittenen Verletzungen - unbeschadet der Ursächlichkeit des Nichtanlegens des Gurtes für diese Verletzungen ......." [vollständiges Zitat anzeigen]
"b) Die Bemessung des Mitverschuldens wegen des Nichtanlegens des Sicherheitsgurtes erfolgt einheitlich. Zwar mag der Umstand, dass der Kläger sich nicht angegurtet hatte, für jede der von ihm erlittenen Verletzungen - unbeschadet der Ursächlichkeit des Nichtanlegens des Gurtes für diese Verletzungen (mehrfragmentäre Querfraktur der Patella links, Längsfraktur der Patella rechts, offene Wunde am Knie rechts, Lungenlazeration, Verletzung der Arteria vertrebralis, beidseitige Rippenserienfrakturen, traumatischer Pneumothorax, Lungenkontusion) - von unterschiedlichem Gewicht gewesen sein. Dies führt aber nicht dazu, dass der Geschädigte Schadensersatz nur für die Verletzungen verlangen kann, die er auch erlitten hätte, wäre er angegurtet gewesen.
Nach herrschender Meinung in der Literatur und nach der Rechtsprechung des BGH (vgl. König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht 45. A. § 21a StVO Rn. 21 m.w.N.) ist es aus Gründen praktischer Handhabung geboten, bei verschiedener Auswirkung des Nichtangurtens auf einzelne Verletzungen unter Abwägung aller Umstände, insbesondere der von den Verletzungen ausgehenden Folgeschäden, deren vermögensrechtliches Gewicht je nach der Verletzung verschieden sein kann, der Verletzte also von einer Kürzung seiner Ersatzansprüche verschieden stark getroffen wird, eine einheitliche Mitschuldquote zu bilden (vgl. BGH, Urteil vom 28. Februar 2012 - VI ZR 10/11 -, [juris]; BGH, Urteil vom 01. April 1980 - VI ZR 40/79 -, [juris]).
c) Grundsätzlich können dem Schädiger auch bei der Frage, ob die vom Geschädigten erlittenen Verletzungen ganz oder zum Teil auf das Nichtanlegen des Gurtes zurückzuführen sind, die Regeln des Anscheinsbeweises zugutekommen. Voraussetzung hierfür ist, dass der Unfall einer der hierfür typischen Gruppen von Unfallabläufen zuzuordnen ist (vgl. König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht 45. Aufl., § 21a StVO Rn. 21 m.w.N.; BGH, NJW 1980, 2125; BGH, NJW 1991, 230, 231; OLG Hamm, VRS 76, 112, 114), was hier der Fall ist. Nach den Feststellungen des Sachverständigen Dr. S. in seinem Gutachten vom 21.02.2018 erfolgte die Kollision zwischen den beteiligten Fahrzeugen frontal. Vom Senat wird nicht verkannt, dass nach den ergänzenden Angaben des Sachverständigen Dr. S. in seiner Anhörung vom 06.06.2018 das klägerische Fahrzeug nach der Kollision in eine leichte Drehbewegung geriet, was die geschilderten Folgen in Bezug auf die Kollision des Thorax mit dem Airbag hatte (vgl. Bl. 374 d.A.). Dennoch zeigt das unfallanalytisch/biomechanische Gutachten auf, dass die wesentlichen Krafteinwirkungen auf den Körper des Klägers typische Einwirkungen eines Frontalunfalls waren.
Aufgrund der überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. S. steht fest, dass bei einer Belastungssituation in einer Frontalkollision wie der vorliegenden (kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung von etwa 60 km/h) ohne angelegten Dreipunkt-Sicherheitsgurt eine wesentliche Komponente des Rückhaltekonzepts im Pkw der Klagepartei fehlt (vgl. Seite 44 des Gutachtens vom 21.02.2018 = Blatt 306 der Akten). "Angeschnallt zu sein ist jedenfalls immer die bessere Alternative" (vgl. Anhörung des Sachverständigen Dr. S. vom 06.06.2018, Protokoll S. 8 = Bl. 377 d.A.). Daher durfte sich das Landgericht bereits frei von Rechtsfehlern im Lichte der Ausführungen des Sachverständigen Dr. S. davon überzeugen, dass der Kläger durch seinen Verzicht auf das Anlegen des Sicherheitsgurtes das Sicherheitssystem eines Fahrzeugs unterlaufen hat und dadurch dazu beigetragen hat, dass Sicherheitssysteme teilweise nicht verletzungsmindernd wirken.
Nach der Zurückweisung des Rechtsstreits zur erneuten Verhandlung und Entscheidung aufgrund des Endurteils des Oberlandesgerichts vom 12.05.2017 (vgl. Bl. 239 d.A.) hat das Landgericht lediglich ein unfallanalytisches und verletzungsmechanisches Gutachten eingeholt (vgl. Bl. 264 ff. d.A.) und den Sachverständigen Dr. S. am 06.06.2018 (vgl. Bl. 373 ff. d.A.) ergänzend angehört. Von einer medizinischen Begutachtung auf der Grundlage des biomechanischen Gutachtens hat das Landgericht abgesehen, was vom Kläger zu Recht in seiner Berufung gerügt wurde. Daher hat der Senat auf der Grundlage des biomechanischen Gutachtens des Sachverständigen Dr. S., den (früheren) medizinischen Sachverständigen Prof. Dr. M. in der mündlichen Verhandlung vom 27.07.2019 (vgl. Bl. 469 f. d.A.) vor dem Senat ergänzend angehört.
Die Feststellungen, inwieweit nach der Art des Unfalls die erlittenen Verletzungen tatsächlich verhindert worden oder zumindest weniger schwerwiegend gewesen wären, wenn der Kläger zum Zeitpunkt des Unfalls angeschnallt gewesen wäre, betreffen, wie der Senat bereits in seinem Hinweis vom 12.05.2017 (vgl. Bl. 239 d.A.) dargelegt hat, auch medizinische Fragen (vgl. KG NZV 2004, 460; 2005, 470; 2006, 145; Senat, Urt. v. 28.07.2006 - 10 U 1684/06 [Juris]). Der medizinischen Begutachtung kommt deshalb rechtlich ausnahmslos die sachverständige Letztentscheidung zu (BGH NJW 2003, 1116 = VersR 2003, 474 = DAR 2003, 217; Senat, Urteil vom 21. Oktober 2011 - 10 U 1995/11 -, [juris])."
vgl. OLG München, Endurteil vom 25.10.2019 - 10 U 3171/18
Anschnallpflicht ist drittschützende Pflicht; die Nichtbefolgung kann haftungsbegründend sein
"Die Schaffung eines individuellen Schadensersatzanspruchs durch § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 21a Abs. 1 StVO ist im Lichte des haftungsrechtlichen Gesamtsystems erforderlich und tragbar.
Der eindeutige drittschützende Charakter des § 21a Abs. 1 StVO bedingt es, dem durch die Verletzung der Anschnallp......." [vollständiges Zitat anzeigen]
"Die Schaffung eines individuellen Schadensersatzanspruchs durch § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 21a Abs. 1 StVO ist im Lichte des haftungsrechtlichen Gesamtsystems erforderlich und tragbar.
Der eindeutige drittschützende Charakter des § 21a Abs. 1 StVO bedingt es, dem durch die Verletzung der Anschnallpflicht Geschädigten einen Individualanspruch zu gewähren. Dies ist die haftungsrechtliche Folge in Sachverhalten, in denen der Geschädigte nicht zugleich der Anschnallpflichtige ist.
Besteht wie hier eine gesetzliche Vorschrift, die ein Handeln nicht nur zum Eigenschutz des Verpflichteten, sondern auch zum Schutz der Rechtsgüter Dritter verlangt, ist es nur konsequent, dem Verpflichteten im Falle eines eigenen Schadens die Verletzung der Vorschrift als Mitverschulden gegen sich selbst entgegenzuhalten und ihm im Falle der Schädigung des geschützten Dritten eine Haftung für diese Schäden aufzuerlegen.
Die so begründete Verschuldenshaftung des vorschriftswidrig nicht angeschnallten Insassen erscheint im Lichte des haftungsrechtlichen Gesamtsystems der Vorschriften des StVG und der StVO auch tragbar.
Auch wenn regelmäßig in vergleichbaren Haftungskonstellationen ein Anspruch auch gegen den Fahrzeugführer oder andere Verkehrsteilnehmer und insofern eine Haftung aus Gefährdungshaftung mit gesetzlicher Versicherungspflicht in Betracht kommen mag, ist eine Haftung des Anschnallpflichtigen nicht systemwidrig. Die Haftung setzt Verschulden voraus und unterliegt einer Schadensursächlichkeitsprüfung.
Der Umstand, dass Verkehrsteilnehmer im Straßenverkehr bei schuldhaften Pflichtverstößen für kausale, zurechenbare Schäden haften, belegt insoweit eine sich in das System einfügende Haftung (so z.B. OLG Saarbrücken, Urt. v. 13.04.2010, 4 U 425/09, juris: Haftung des auf die Fahrbahn tretenden Fußgängers für Schäden des dadurch zu Fall gekommenen Motorradfahrers; ebenso: LG Mönchengladbach, Urt. v. 29.03.2012, 1 O 1/06, juris)."
vgl. OLG Köln, Urteil vom 27.08.2024 - 3 U 81/23
auch alkoholisierter Fahrer muss Pflichten beachten
"Bei der Gesamtwürdigung des Mitverschuldens des Klägers darf jedoch nicht übersehen werden, dass den Beklagten als Fahrer eine größere Verantwortung traf als den klagenden Beifahrer. Dabei ist zu berücksichtigen, dass einen Fahrzeugführer eine Fürsorgepflicht gegenüber einem alkoholisierten Insa......." [vollständiges Zitat anzeigen]
"Bei der Gesamtwürdigung des Mitverschuldens des Klägers darf jedoch nicht übersehen werden, dass den Beklagten als Fahrer eine größere Verantwortung traf als den klagenden Beifahrer. Dabei ist zu berücksichtigen, dass einen Fahrzeugführer eine Fürsorgepflicht gegenüber einem alkoholisierten Insassen trifft und er insbesondere für das ordnungsgemäße Anlegen des Sicherheitsgurts des Beifahrers Sorge zu tragen hat (vgl. dazu Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 39. Aufl. § 21a StVO Rdnr 26 m.w.N.). Auch ein wegen Alkoholisierung absolut fahruntüchtiger Fahrer, der eine andere alkoholisierte Person in seinem Pkw mitnimmt, hat dafür zu sorgen, dass sich der Mitfahrer anschnallt. (vgl. OLG Hamm NZV 1996,33)."
vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 30.01.2009 - 1 U 192/08
Fürsorgepflicht des Fahrers
"Dabei ist zu berücksichtigen, dass einen Fahrzeugführer eine Fürsorgepflicht gegenüber einem alkoholisierten Insassen trifft und er insbesondere für das ordnungsgemäße Anlegen des Sicherheitsgurts des Beifahrers Sorge zu tragen hat (vgl. dazu Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 39. Aufl. § 21a StVO......." [vollständiges Zitat anzeigen]
"Dabei ist zu berücksichtigen, dass einen Fahrzeugführer eine Fürsorgepflicht gegenüber einem alkoholisierten Insassen trifft und er insbesondere für das ordnungsgemäße Anlegen des Sicherheitsgurts des Beifahrers Sorge zu tragen hat (vgl. dazu Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 39. Aufl. § 21a StVO Rdnr 26 m.w.N.). "
vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 30.01.2009 - 1 U 192/08
Haftungsabwägung: Unfallverursachung vs. Knie in Rückenlehne wg. Verletzung der Gurtpflicht durch Mitfahrer
"Ein Ausgleichsanspruch der Klägerin gegen die Beklagte besteht vorliegend jedoch nicht, weil bei der gebotenen Abwägung nach §§ 840 Abs. 1, 426 BGB i.V.m. § 254 Abs. 1 BGB der Verursachungs- und Verschuldensbeitrag der Beklagten vollständig hinter denjenigen des Versicherungsnehmers der Klägerin z......." [vollständiges Zitat anzeigen]
"Ein Ausgleichsanspruch der Klägerin gegen die Beklagte besteht vorliegend jedoch nicht, weil bei der gebotenen Abwägung nach §§ 840 Abs. 1, 426 BGB i.V.m. § 254 Abs. 1 BGB der Verursachungs- und Verschuldensbeitrag der Beklagten vollständig hinter denjenigen des Versicherungsnehmers der Klägerin zurücktritt.
Bei dieser Abwägung kommt es - entgegen der Ansicht der Beklagten - auf die Dauer der Verletzung der Anschnallpflicht als geeignetes Kriterium für die Abgrenzung des Verschuldensgrades nicht an. Denn die Anschnallpflicht besteht auch bei kurzzeitigem verkehrsbedingtem Halten, da dies den Vorgang der Fahrt nicht unterbricht (BGH, Urt. v. 12.12.2000, VI ZR 411/99, Rn. 9 ff., juris; OLG Celle NZV 2006, 164; Hühnermann in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, a.a.O., § 21 a, Rn. 3).
Letztlich kommt es aber auch schon aus grundsätzlichen Erwägungen nicht maßgeblich darauf an, wie hoch der Verschuldensgrad der Beklagten beim Verstoß gegen die Anschnallpflicht war.
Denn maßgeblich ist bei der Abwägung insoweit in erster Linie das Maß der Verursachung, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben; das beiderseitige Verschulden ist nur ein Faktor der Abwägung (BGH, Urt. v. 06.12.2022, VI ZR 284/19, Rn. 23; BGH, Urt. v. 18.11.2014, KZR 15/12, Rn. 40, juris; BGH, Urt. v. 13.12.2005 VI ZR 68/04, Rn. 16, juris; BGH, Urt. v. 20.01.1998, VI ZR 59/97, juris). Während es in Fällen des Mitverschuldens des Geschädigten für die Haftungsverteilung entscheidend darauf ankommt, ob das Verhalten des Schädigers oder das des Geschädigten den Eintritt des Schadens in wesentlich höherem Maße wahrscheinlich gemacht hat (BGH, Urt. v. 04.11.2008, VI ZR 171/07, Rn. 15, juris; BGH, Urt. v. 20.01.1998 - VI ZR 59/97, juris Rn. 8), ist bei der Haftungsverteilung zwischen mehreren Schädigern im Innenverhältnis zu fragen, ob das Verhalten des einen oder des anderen Schädigers den Eintritt des Schadens wahrscheinlicher gemacht hat. Die vorzunehmende Abwägung kann zu einer Quotelung, aber auch zur alleinigen Belastung eines Ersatzpflichtigen führen (BGH, Urt. v. 10.07.2014, III ZR 441/13, Rn. 21, juris).
Den maßgeblichen und damit hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit bedeutenderen Verursachungsbeitrag für die konkret hier in Rede stehende Wirbelsäulenverletzung hat der Versicherungsnehmer der Klägerin gesetzt, in dem er in schwerster Weise gegen die StVO verstoßen hat (erheblicher Geschwindigkeitsverstoß und hoch alkoholisiert) und dadurch in den Gegenverkehr geraten ist. Er hat dabei maßgeblich die Gesundheit der Geschädigten verletzt, wobei unstreitig - bis auf die Wirbelsäulenverletzung - alle anderen erheblichen Verletzungen der Geschädigten kausal allein auf das Verhalten des Versicherungsnehmers der Klägerin zurückzuführen sind.
Stellt man auf den Grad der Wahrscheinlichkeit des eingetretenen Schadens ab, so ist es angesichts dieses objektiv erheblichen Verkehrsverstoßes bei hoher Kollisionsgeschwindigkeit deutlich wahrscheinlicher, dass die Geschädigte im Bauch- und Rückenbereich Verletzungen erleidet, für die der Versicherungsnehmer - ggf. auch durch Hinzutreten weiterer kausaler Umstände - haftet. Demgegenüber war es - bei isolierter Betrachtung - wesentlich unwahrscheinlicher, dass bedingt durch den fehlenden Gurt der Beklagten eine Wirbelsäulenverletzung kausal verursacht wird.
Zur Begründung dieser Wahrscheinlichkeitswertung nimmt der Senat auf die bisher entschiedenen Fälle der Haftung des Anschnallpflichtigen im Rahmen der Berücksichtigung des eigenen Mitverschuldens Bezug.
Fälle im Zusammenhang mit dem Verstoß gegen die Gurtanlegepflicht durch den Geschädigten sind - bei Identität von Geschädigtem und Anschnallpflichtigem - vielfach Gegenstand rechtlicher Auseinandersetzungen gewesen (vgl. Rechtsprechungsübersicht bei Greger in: Greger/Zwickel, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 6. Auflage 2021, § 25, Rn. 25.84). Die stets von den konkreten Umständen des Einzelfalls abhängende Bemessung der Haftungsquote des Unfallgegners einerseits und des gurtpflichtigen Geschädigten andererseits reicht dabei bis zu einem 100 %igen Mitverschulden des Gurtpflichtigen bezogen auf die konkret durch den Gurtpflichtverstoß verursachten Verletzungen (BGH, Urt. v. 30.09.1980, VI ZR 213/79, Rn. 18, juris; Greger in: Greger/Zwickel, a.a.O.). Haftet der Unfallverursacher nur aufgrund von § 7 Abs. 1 StVG, kann der Verstoß gegen die Anschnallpflicht bis zu einer auf die Körperschäden und deren Folgen bezogenen Mithaftungsquote von 50%, unter Umständen auch darüber hinaus führen (BGH, a.a.O.). In Ausnahmefällen kann der durch die Verletzung der Anschnallpflicht begründete Beitrag gänzlich zurücktreten.
Dies hat der BGH in einem Fall so gesehen, in dem der stark alkoholisierte Unfallgegner (1,83 Promille) mit seinem Fahrzeug mit hoher Geschwindigkeit zunächst rechts gegen den Bordstein, sodann in die Gegenfahrbahn geriet und hier frontal mit dem Pkw des nicht angeschnallten Geschädigten zusammenstieß (BGH, Urt. v. 20.01.1998, VI ZR 59/97, juris). Ebenso hat das OLG Karlsruhe einen solchen Ausnahmefall angenommen, wenn der Unfallgegner in einer Rechtskurve auf regennasser Fahrbahn die innerorts zulässige Höchstgeschwindigkeit um ca. 80 km/h überschreitet, dadurch die Kontrolle über sein Fahrzeug verliert, auf die Gegenfahrbahn gerät und dort in voller Fahrt mit einem ordnungsgemäß entgegenkommenden Fahrzeug frontal zusammenstößt (OLG Karlsruhe, Urt. v. 06.11.2009, 14 U 42/08, juris).
Ein solcher - vergleichbarer - Ausnahmefall liegt auch hier vor mit der Folge, dass ein etwaiger, durch den Verstoß gegen die Anschnallpflicht der Beklagten begründeter Verursachungsbeitrag gegenüber dem außerordentlich schwerwiegenden Unfallbeitrag des Versicherungsnehmers der Klägerin zurücktritt. Die in der zitierten Rechtsprechung getroffenen Wertungen, die den Mitverschuldensanteil des Geschädigten zurücktreten lassen, sind auch im vorliegenden Fall anwendbar, in dem die gurtanlegepflichtige und die geschädigte Person auseinanderfallen.
Sie gelten insbesondere für eine Wahrscheinlichkeitsbetrachtung hinsichtlich der jeweiligen Schadensverursachung.
Denn vergleichbar den oben genannten Konstellationen hat der Versicherungsnehmer der Klägerin hier die an der Unfallstelle zulässige Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h um mehr als 100% überschritten und befand sich weit über der Grenze zur absoluten Fahruntüchtigkeit (1,7 Promille). Mit dieser objektiv gefährlichen Fahrweise hat der Versicherungsnehmer der Klägerin eine ungewöhnlich hohe Gefahr für schwerwiegende Unfälle begründet. In der von ihm geschaffenen Situation hat sich diese Gefahr verwirklicht, in der sich der Gurtverstoß der Beklagten - hier unterstellt - schadensbegründend (mit) ausgewirkt hat. Sein überaus gefährliches Verhalten hat das Risiko für den Eintritt eines schweren Unfalls und in der Folge auch für die Rückenverletzungen der Geschädigten erst maßgeblich begründet. Demgegenüber tritt der objektive Verursachungsbeitrag der Beklagten, der in einem bloßen Unterlassen der Erfüllung der Anschnallpflicht lag, vollständig zurück.
Es mag zwar Fälle geben, in denen dem Gurtverstoß ein eigener maßgeblicher Mitverursachungsanteil beizumessen ist. Dies mag etwa dann in Betracht kommen, wenn der Insasse aufgrund des fehlenden Gurts bei an sich nicht rechtswidrigen und ungefährlichen Fahrmanövern auf einen anderen Fond-Insassen fällt und diesen verletzt. Mit einer derartigen Konstellation ist der vorliegende Sachverhalt nicht im Ansatz vergleichbar.
Die Gefährlichkeit des Unterlassens der Beklagten wirkte sich hier erst aufgrund der enormen Wucht des Aufpralls des bei der Klägerin versicherten Fahrzeugs auf das gegnerische Fahrzeug in gravierender Weise aus.
Ergänzend kommt hinzu, dass auch das Maß des Verschuldens des Unfallverursachers aufgrund dessen äußerst rücksichtsloser Fahrweise dasjenige der Beklagten klar überwiegt. Der Unfallverursacher hat nicht nur gegen die Vorschriften der §§ 2 Abs. 1, 3 Abs. 1, 41 Abs. 1 in Verbindung mit Zeichen 274 der Anlage 2 StVO verstoßen, sondern auch den Straftatbestand des § 315c Abs. 1 StGB verwirklicht. Demgegenüber wiegt das Verschulden der Beklagten hier nicht schwer."
vgl. OLG Köln, Urteil vom 27.08.2024 - 3 U 81/23
Mitverschulden des unangeschnallten Beifahrers
"Die Kausalität zwischen dem Verstoß des Klägers gegen die Anschnallpflicht und dem Umfang der erlittenen Verletzungen liegt hier - auch ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens - auf der Hand. Durch den Kopfanprall gegen die Windschutzscheibe sowie den Anprall des Oberkörpers gegen das Armatu......." [vollständiges Zitat anzeigen]
"Die Kausalität zwischen dem Verstoß des Klägers gegen die Anschnallpflicht und dem Umfang der erlittenen Verletzungen liegt hier - auch ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens - auf der Hand. Durch den Kopfanprall gegen die Windschutzscheibe sowie den Anprall des Oberkörpers gegen das Armaturenbrett hat der Kläger typische und sehr schwere Verletzungen erlitten, die durch den Sicherheitsgurt gerade hätten vermieden werden sollen und können. Der unstreitig angeschnallte Zeuge B. hat bei der Frontalkollision mit nahezu voller Überdeckung der beteiligten Fahrzeuge unstreitig wesentlich geringere Verletzungen erlitten als der Kläger, insbesondere im Kopf- und Rumpfbereich. Daraus lässt sich zwanglos der Schluss ziehen, dass das Verletzungsbild bei dem Kläger, wäre er angeschnallt gewesen, gleichfalls deutlich weniger intensiv ausgefallen wäre.
Ebenso wenig ist zu beanstanden, dass das Landgericht ein Mitverschulden des Klägers gemäß §§ 9 StVG, 254 BGB den § 827 Satz 2 BGB zur Anwendung gebracht hat.
Der Kläger hat den ihm entstandenen Schaden "mitverschuldet".
Gemäß § 254 Abs. 1 BGB muss sich der Geschädigte ein ihn treffendes Verschulden bei der Entstehung des Schadens anrechnen lassen.
Dies betrifft vorliegend sowohl die Tatsache, dass der Kläger nicht angeschnallt war, als auch und insbesondere die Tatsache, dass er mit einem erheblich alkoholisierten Kraftfahrer mitgefahren ist."
vgl. OLG Schleswig, Beschluss vom 08.04.2021 - 7 U 2/20
Ohne Kausalität ist Verstoß gegen Gurtpflicht unerheblich
"Festzustellen bleibt demnach, dass letztlich nicht geklärt werden kann (und muss), ob die Klägerin angeschnallt war, da der Anschnallgurt aufgrund der besonderen Unfallkonstellation in diesem Einzelfall die konkreten Verletzungen der Klägerin nicht verhindert hätte........" [vollständiges Zitat anzeigen]
"Festzustellen bleibt demnach, dass letztlich nicht geklärt werden kann (und muss), ob die Klägerin angeschnallt war, da der Anschnallgurt aufgrund der besonderen Unfallkonstellation in diesem Einzelfall die konkreten Verletzungen der Klägerin nicht verhindert hätte."
vgl. LG Verden, Urteil vom 23.08.2019 - 8 O 264/17