Anscheinsbeweis, Anbeweis und Erschütterung / Entkräftung der alkoholbedingten Unfallverursachung
"Während allerdings - wie bereits dargelegt - in Fällen absoluter Fahruntüchtigkeit ein Anscheinsbeweis für die vom Versicherer zu beweisende Ursächlichkeit der Alkoholisierung für den Versicherungsfall spricht, muss der Versicherer in Fällen relativer Fahruntüchtigkeit alkoholtypische Ausfallersc......." [vollständiges Zitat anzeigen]
"Während allerdings - wie bereits dargelegt - in Fällen absoluter Fahruntüchtigkeit ein Anscheinsbeweis für die vom Versicherer zu beweisende Ursächlichkeit der Alkoholisierung für den Versicherungsfall spricht, muss der Versicherer in Fällen relativer Fahruntüchtigkeit alkoholtypische Ausfallerscheinungen beweisen, die den Schluss auf die alkoholbedingte Herbeiführung des Versicherungsfalls rechtfertigen (BGH, Urteil vom 5.Dezember 1990 - IV ZR 13/90 - VersR 1991, 289; Senat, Urteil vom 22.November 2000 - 5 U 563/00-46 - ZfSch 2001, 214; Urteil vom 28. Januar 2009 - 5 U 698/05 - 102 -, juris; Urteil vom 9. September 2022 - 5 U 2/22, VersR 2022, 1296). Dabei genügt zur Entkräftung des dann auch in den Fällen relativer Fahruntüchtigkeit geltenden Anscheinsbeweises für den ursächlichen Zusammenhang zwischen der alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit und dem Unfall (Senat, Beschluss vom 20. April 2020 - 5 U 18/20; OLG Karlsruhe, Urteil vom 5. Januar 1989 - 12 U 49/89, juris; BeckOK VVG/Klimke, 16. Ed. 1.8.2022, VVG § 81 Rn. 101; Knappmann VersR 2000, 11 (14)) nicht jede beliebige Erklärung des Versicherungsnehmers, durch welche alkoholunabhängige Ursache es zu dem Unfall gekommen sein soll. Vielmehr muss die Darlegung des Versicherungsnehmers, mit der er belastet ist, einen alkoholunabhängigen Geschehensverlauf plausibel erklären. Er muss - mit zunehmender Höhe des Blutalkoholgehaltes gewichtigere - Anhaltspunkte dafür geben, dass eine andere Erklärung des Unfallverlaufs als seine alkoholbedingte Verursachung nicht fernliegt, sondern eine denkbare Möglichkeit darstellt (Senat, Urteil vom 7. April 2004 - 5 U 688/03, ZfSch 2004, 323; Senat, Urteil vom 28. Januar 2009 - 5 U 698/05 - 102, juris)."
vgl. Saarländisches OLG, Urteil vom 12.10.2022 - 5 U 22/22
Beweislast des § 827 BGB beim Versicherten
"2) Dem Kläger gelingt hier der Nachweis nicht, dass er sich bei Antritt der Fahrt in fahruntüchtigem Zustand in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befunden hat. Diesen Nachweis hat bei Anwendung des § 81 VVG der Versicherungsnehmer zu ......." [vollständiges Zitat anzeigen]
"2) Dem Kläger gelingt hier der Nachweis nicht, dass er sich bei Antritt der Fahrt in fahruntüchtigem Zustand in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befunden hat. Diesen Nachweis hat bei Anwendung des § 81 VVG der Versicherungsnehmer zu führen, wenn er sich auf die Vorschrift des § 827 BGB zu seiner Entlastung berufen will (BGH, Urteil vom 22. Juni 2011 - IV ZR 225/10 -, BGHZ 190, 120-131, Rn. 12; BGH, Urteil vom 29. Oktober 2003 - IV ZR 16/03 -, Rn. 15, juris; BGH, Urteil vom 20. Juni 1990 - IV ZR 298/89 -, Rn. 10, juris; BGH, Urteil vom 23. Januar 1985 - IVa ZR 128/83 -, Rn. 8, juris).
a) Der Kläger beruft sich hier darauf, dass er auf dem Grundstück seiner Bekannten gestürzt sei und in Folge dieses Sturzes, bei dem er sich auch Kopfverletzungen zugezogen habe, in einen geordneten amnestischen Dämmerungszustand verfallen sei mit der Folge, dass ab einem Zeitpunkt vor Antritt der Fahrt kein Erinnerungsvermögen vorhanden sei und erst nach Beendigung der Fahrt wieder sein Bewusstsein einsetze.
aa) Der Kläger hat zum Beweis hierfür seine eigene Parteivernehmung angeboten, der die Beklagte widersprochen hat (Bl. 37 d. A.). Eine Vernehmung des Klägers als Partei von Amts wegen gemäß § 448 ZPO war nicht zulässig. Die nach pflichtgemäßem Ermessen vom Gericht anzuordnende Parteivernehmung von Amts wegen setzt grundsätzlich das Bestehen einer gewissen Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit der Behauptungen der beweisbelasteten Partei aufgrund des bisherigen Verhandlungsergebnisses bei einer nonliquet-Situation im Übrigen voraus. Dieser "Anbeweis" kann sich aus einer schon durchgeführten Beweisaufnahme oder aus dem sonstigen Verhandlungsinhalt, insbesondere aus einer Anhörung nach § 141 ZPO oder aus Ausführungen der Partei nach § 137 Abs. 4 ZPO ergeben (BGH, Urteil vom 12. Dezember 2019 - III ZR 198/18 -, Rn. 20, juris). Der im Termin vor dem Landgericht anwesende Kläger hat von der Möglichkeit des § 137 Abs. 4 ZPO keinen Gebrauch gemacht. Ein sonstiger "Anbeweis" für die Richtigkeit seines Vortrages lag nicht vor."
vgl. KG, Beschluss vom 03.05.2022 - 6 U 39/21
Beweislast für alkoholbedingte Fahrfehler bei relativer Fahruntüchtigkeit
"Demgegenüber muss der Versicherer in den Fällen relativer Fahruntüchtigkeit alkoholtypische Fahrfehler oder sonstige Ausfallerscheinungen beweisen, die den Schluss auf die alkoholbedingte Herbeiführung des Versicherungsfalls rechtfertigen (BGH, Urteil vom 5. Dezember 1990 - IV ZR 13/90 - VersR 1991, ......." [vollständiges Zitat anzeigen]
"Demgegenüber muss der Versicherer in den Fällen relativer Fahruntüchtigkeit alkoholtypische Fahrfehler oder sonstige Ausfallerscheinungen beweisen, die den Schluss auf die alkoholbedingte Herbeiführung des Versicherungsfalls rechtfertigen (BGH, Urteil vom 5. Dezember 1990 - IV ZR 13/90 - VersR 1991, 289; Senat, Urteil vom 22. November 2000 - 5 U 563/00-46 - ZfSch 2001, 214; Urteil vom 7. April 2004 - 5 U 688/03 - ZfSch 2004, 323). Dabei sind die Anforderungen an die Beweiskraft entsprechender Hinweise umso geringer, je näher die Blutalkoholkonzentration an dem Grenzwert von 1,1 ‰ liegt (Senat, Urteil vom 7.April 2004 - 5 U 688/03 - ZfSch 2004, 323; Urteil vom 28. Januar 2009 - 5 U 698/05 - VersR 2009, 1068; OLG Düsseldorf, Urteil vom 20. April 2004 - 4 U 132/03, ZfSch 2004, 520; OLG Hamm, Urteil vom 25. August 2010 - I-20 U 74/10, juris)."
vgl. Saarländisches OLG, Urteil vom 12.10.2022 - 5 U 22/22
hier: keine Erschütterung des Verdachts des alkoholbedingten Fahrfehlers
"Gründe, die die Überzeugung von einem alkoholbedingten Fahrfehler der Klägerin erschüttern könnten, liegen bei sachgerechter Beurteilung aller Umstände des vorliegenden Falles nicht vor. Hinweise auf unfallursächliche technische Mängel waren weder behauptet noch ersichtlich. Die allgemeine Mögli......." [vollständiges Zitat anzeigen]
"Gründe, die die Überzeugung von einem alkoholbedingten Fahrfehler der Klägerin erschüttern könnten, liegen bei sachgerechter Beurteilung aller Umstände des vorliegenden Falles nicht vor. Hinweise auf unfallursächliche technische Mängel waren weder behauptet noch ersichtlich. Die allgemeine Möglichkeit, dass auch einer nüchternen Person der Unfall hätte unterlaufen können, reicht zur Erschütterung eines alkoholbedingten Fahrfehlers nicht aus (BGH, Urteil vom 24. Februar 1976 - VI ZR 61/75, VersR 1976, 729; Urteil vom 30. Oktober 1985 - IVa ZR 10/84, VersR 1986, 141; vgl. auch BGH, Urteil vom 8. Juli 1957 - II ZR 177/56, VersR 1957, 509). Solche Fahrfehler gibt es nämlich nicht (Heß/Höke, in: Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch 3. Aufl., § 30 Rn. 50). Vielmehr muss gerade im konkreten Fall die ernsthafte und nicht bloß theoretische Möglichkeit bestehen, dass der Unfall durch eine andere Ursache herbeigeführt worden ist, die auch ein nüchterner Fahrer nicht hätte vermeiden können; dass mithin die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit nicht ursächlich für das konkrete Unfallereignis war (vgl. OLG Naumburg, Urteil vom 16. September 2004 - 4 U 38/04, VersR 2005, 1233; OLG Düsseldorf, Urteil vom 13. Juni 2000 - 4 U 140/99, juris).
Der objektive Unfallverlauf ist anschaulicher Ausdruck eines alkoholbedingt typischen Fehlverhaltens, für das es sonst keinen ernsthaften anderen Grund gibt. Der behauptete Umstand eines vorausfahrenden stark bremsenden Fahrzeugs allein reicht hierfür nicht aus. Es ist kein Grund ersichtlich, warum der Unfall nicht mit der Trunkenheit der Fahrerin zu erklären ist bzw. der dafür spricht, dass sie die Gefahrenlage auch nüchtern nicht gemeistert hätte. Bereits nach eigenen Angaben der Klägerin konnte sie rechtzeitig reagieren und durch starkes Abbremsen eine Kollision mit dem vorausfahrenden Fahrzeug verhindern. Die Verkehrssituation, der sie ausgesetzt war, stellte angesichts dessen kein Hindernis dar, das die Klägerin auch ohne den Einfluss von Alkohol nicht hätte bewältigen können. Allein der Umstand, dass die Straße nass gewesen ist, ist nicht geeignet, die Ursächlichkeit der alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit auszuschließen. Dass auch verkehrstüchtige Kraftfahrer bisweilen auf unsicherem bzw. nassem Straßenbelag verunglücken und/oder wegen unangepasst überhöhten Tempos aus einer Kurve getragen werden, stellt die Kausalität des Alkohols nicht in Frage (vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 14. April 1988 - 3 U 24/87 -, juris); vielmehr ist nach den Umständen davon auszugehen, dass die Klägerin ohne ihren vorherigen Alkoholgenuss allgemein vorsichtiger gefahren wäre und den Unfall dann auch unter dieser Prämisse vermieden hätte (vgl. OLG Naumburg, Urteil vom 16. September 2004 - 4 U 38/04, VersR 2005, 1233).
dd)
Dieser Annahme kann die Klägerin schließlich auch nicht entgegenhalten, dass sie nach dem Unfall keine Ausfallerscheinungen gehabt habe. Ungeachtet der Frage, ob dieser Umstand überhaupt geeignet ist, die Beweiskraft der vorgenannten Fahrfehler zu entkräften (vgl. hierzu OLG Karlsruhe, Urteil vom 15. April 2014 - 9 U 135/13 -, juris), kann vorliegend ein gänzliches Fehlen von Ausfallerscheinungen nicht festgestellt werden."
vgl. Saarländisches OLG, Urteil vom 12.10.2022 - 5 U 22/22