Anscheinsbeweis zwischen Falschbeschilderung und Unfall
"3. Dass die Verkehrssicherungspflichtverletzung der Beklagten für den Schaden am Klägerfahrzeug ursächlich geworden ist, folgt bereits aus den Grundsätzen des Anscheinsbeweises.
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In der Rechtsprechung des BGH ist anerkannt, dass bei der Verletzung von Schutzgesetzen sowie von Unfallverhütu......." [vollständiges Zitat anzeigen]
"3. Dass die Verkehrssicherungspflichtverletzung der Beklagten für den Schaden am Klägerfahrzeug ursächlich geworden ist, folgt bereits aus den Grundsätzen des Anscheinsbeweises.
In der Rechtsprechung des BGH ist anerkannt, dass bei der Verletzung von Schutzgesetzen sowie von Unfallverhütungsvorschriften ein Beweis des ersten Anscheins dafür spricht, dass der Verstoß für den Schadenseintritt ursächlich war, sofern sich gerade diejenige Gefahr verwirklicht hat, der das Schutzgesetz oder die Unfallverhütungsvorschrift entgegen wirken soll. Der Beweis des ersten Anscheins ist auch bei der Verletzung von Verkehrssicherungspflichten geboten, die wie Schutzgesetze und Unfallverhütungsvorschriften typischen Gefährdungen entgegenwirken sollen, wenn sich in dem Schadensfall gerade diejenige Gefahr verwirklicht, der durch die Auferlegung bestimmter Verhaltenspflichten begegnet werden soll (BGH, Urteil vom 09.09.2008 – VI ZR 279/06, r+s 2009, 35 m.w.N.).
Ein solcher Fall ist hier gegeben. Die korrekte Beschilderung nach RSA 95 sollte "klare Verhältnisse schaffen" und damit den Autobahnverkehr vor Missverständnissen hinsichtlich der Verkehrsführung und einem Schadenseintritt bewahren. Umstände, die die Wirkung des Anscheinsbeweises in Frage stellen könnten, sind weder vorgetragen, noch sonst ersichtlich. Eigene Sorgfaltsverstöße der Fahrerin des Klägerfahrzeugs reichen hierfür nicht aus; sie sind lediglich im Rahmen der (Mit-)Verschuldensabwägung relevant."
vgl. LG Nürnberg-Fürth, Endurteil vom 08.06.2017 - 2 S 5570/15
Haftungsverteilung Spurwechsler (75%) gegenüber 200 km/h (25%)
"(b) Dies schließt zwar andererseits nicht aus, dass die Betriebsgefahr im Einzelfall hinter einem groben Verschulden des Unfallverursachers zurücktritt. Bei einer aber - wie im vorliegenden Fall - eklatanten Überschreitung der Richtgeschwindigkeit des Klägerfahrzeugs um ca. 70 km/h ist dieses jedoch ......." [vollständiges Zitat anzeigen]
"(b) Dies schließt zwar andererseits nicht aus, dass die Betriebsgefahr im Einzelfall hinter einem groben Verschulden des Unfallverursachers zurücktritt. Bei einer aber - wie im vorliegenden Fall - eklatanten Überschreitung der Richtgeschwindigkeit des Klägerfahrzeugs um ca. 70 km/h ist dieses jedoch betriebsgefahrerhöhend zu berücksichtigen. Das OLG Düsseldorf hat insoweit in einer Entscheidung vom 21. November 2017 - I-1 U 44/17 zutreffend ausgeführt:
"Denn wer schneller als 130 km/h fährt, vergrößert in haftungsrelevanter Weise die Gefahr, dass sich ein anderer Verkehrsteilnehmer auf diese Fahrweise nicht einstellt und insbesondere die Geschwindigkeit unterschätzt (BGH, Urteil vom 17.03.1992 - VI ZR 61/91, juris). Die Erfahrung zeigt, dass immer wieder Verkehrsteilnehmer die Geschwindigkeit eines sich schnell nähernden Fahrzeugs, zumal wenn es von hinten herankommt, nicht richtig einzuschätzen und sich hierauf bei einem Wechsel der Fahrstreifen nicht einzustellen vermögen (BGH a.a.O.). Denn auch wenn die Überschreitung der Richtgeschwindigkeit von 130 km/h nach der Autobahn-Richtigkeitsgeschwindigkeits-Verordnung keinen Schuldvorwurf begründet, bedeutet das Fehlen unmittelbarer Sanktionen nicht die rechtliche Irrelevanz auch für das Haftungsrecht. Neben dem Umstand, dass regelmäßig ein oberhalb der Richtgeschwindigkeit fahrender Kraftfahrer den Unabwendbarkeitsnachweis für den Unfall gemäß § 7 Abs. 2 StVG (a.F.) nicht führen kann, wirkt sich eine hohe Ausgangsgeschwindigkeit auch dahingehend aus, dass sie bei der Abwägung der Verursachungsbeiträge nicht außer Ansatz bleiben kann (vgl. BGH a.a.O.)".
Der Senat erachtet daher infolge der Tatsache, dass der Kläger die geltende Richtgeschwindigkeit ganz erheblich überschritten hat und der Unfall für ihn bei Einhaltung der Richtgeschwindigkeit auch vermeidbar gewesen wäre, eine Haftungsverteilung von 75:25 zu Lasten der Beklagten für sachgerecht."
vgl. OLG München, Endurteil vom 01.06.2022 - 10 U 7382/21 e
Haftunverteilung: Verkehrssicherungspflicht in Baustelle (Haftung: 40%) zu Überfahren einer Fahrbahnmarkierung
"Die hier durch die unzureichende Beschilderung der Beklagten geschaffene Verkehrslage war für die Fahrerin des Klägerfahrzeugs unklar, was eine Schadenteilung rechtfertigt (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 14.11.1975 – 10 U 28/75, VersR 1976, 668). Dabei ist zu sehen, dass die fehlerhaft und damit irre......." [vollständiges Zitat anzeigen]
"Die hier durch die unzureichende Beschilderung der Beklagten geschaffene Verkehrslage war für die Fahrerin des Klägerfahrzeugs unklar, was eine Schadenteilung rechtfertigt (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 14.11.1975 – 10 U 28/75, VersR 1976, 668). Dabei ist zu sehen, dass die fehlerhaft und damit irreführende Beschilderung durch die Mitarbeiter der Beklagten auf einer Autobahn besonders schwer wiegt: Gerade auf einer Bundesautobahn muss sich ein Autofahrer wegen der dort üblicherweise gefahrenen hohen Geschwindigkeiten auf die Anordnungen der Straßenverkehrs- oder -baubehörde (§ 45 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 1, Abs. 2 S. 1, 3 StVO) und deren Beschilderung verlassen können (OLG Celle, Urteil vom 21.02.2006 – 14 U 163/05, DAR 2006, 267). Andererseits musste der Fahrerin des Klägerfahrzeugs trotz der geringen zur Verfügung stehenden "Überlegungszeit" zumindest durch die klar erkennbare durchgezogene Fahrbahnbegrenzung klar sein, dass die unzutreffende Beschilderung nicht im von ihr verstandenen Sinne gemeint gewesen sein konnte.
In der Rechtsprechung wird – dem hiesigen Fall durchaus nicht unähnlich - z.B. einem Fahrzeugführer ein überwiegendes Mitverschulden von 2/3 zugerechnet, wenn er mit einer Geschwindigkeit von 90 km/h die im Autobahnbaustellenbereich zulässige Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h erheblich überschritten hat und mit dem Überschreiten der Höchstgeschwindigkeit auch gegen das Sichtfahrgebot verstoßen hat und so reflektierende Absperrtafeln, die vor einer Baugrube aufgestellt waren, zu spät wahrgenommen hat, nachdem er veranlasst durch unzureichend aufgestellte Warnbaken in den Baustellenbereich gewechselt war (OLG Düsseldorf, Urteil vom 01.07.1998 – 15 U 124/97, Schaden-Praxis 1998, 415).
Nachdem es im Streitfall aber an einem unfallkausalen Geschwindigkeitsverstoß fehlt und auch sonst außer dem Überfahren der Fahrbahnmarkierung kein maßgebliches Mitverschulden festgestellt werden kann, hält die Kammer eine leicht überwiegende Eigenhaftung der Klägerin von 60% für angemessen und ausreichend, gleichzeitig aber auch geboten."
vgl. LG Nürnberg-Fürth, Endurteil vom 08.06.2017 - 2 S 5570/15
Verkehrssicherungspflicht auf öffentlichen Straßen
"Während die Träger der Bau- und Unterhaltungslast durch das Gesetz bestimmt werden, richtet sich die Verantwortlichkeit der Verkehrssicherungspflicht für Verkehrswege nach der allgemeinen Zuordnung von Gefahrzuständigkeiten (BGH, Urteil vom 18.11.1993 – III ZR 178/92, VersR 1994, 618). Sie trifft i......." [vollständiges Zitat anzeigen]
"Während die Träger der Bau- und Unterhaltungslast durch das Gesetz bestimmt werden, richtet sich die Verantwortlichkeit der Verkehrssicherungspflicht für Verkehrswege nach der allgemeinen Zuordnung von Gefahrzuständigkeiten (BGH, Urteil vom 18.11.1993 – III ZR 178/92, VersR 1994, 618). Sie trifft insbesondere den, der eine Gefahr veranlasst, einen gefährlichen Verkehr eröffnet oder über den räumlichen Bereich, aus dem die Gefahr kommt, rechtlich und tatsächlich zu bestimmen hat (BGH aaO). Im Streitfall fallen sowohl Bau- und Unterhaltungslast also auch Verkehrssicherungspflicht in demselben Träger zusammen:
Nach § 1 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 FStrG sind die Bundesautobahnen Bundesfernstraßen, für die nach § 5 Abs. 1 FStrG der Bund Träger der Straßenbaulast ist. Nach § 3 Abs. 1 FStrG umfasst die Straßenbaulast alle mit dem Bau und der Unterhaltung der Bundesfernstraßen zusammenhängenden Aufgaben – also auch die Absicherung einer etwaigen Baustelle. Nach § 20 Abs. 1 FStrG wird die Erfüllung der Aufgaben, die den Trägern der Straßenbaulast für die Bundesfernstraßen obliegen, durch die Straßenaufsicht sichergestellt, die die Länder im Auftrag des Bundes ausüben. Die nach Art. 62a Abs. 5 BayStrWG dem Bayerischen Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr als Straßenaufsichtsbehörde für die Bundesautobahnen zustehenden Befugnisse nimmt die Autobahndirektion Nordbayern als zentrale Landesbehörde des Freistaates Bayern wahr.
Die Beklagte hat die Absicherung der streitgegenständlichen Autobahnbaustelle als "Fachbetrieb für Verkehrseinrichtungen auf Straßen" von der ursprünglich verkehrssicherungspflichtigen Autobahndirektion Nordbayern übernommen. Dies hat das Amtsgericht im Tatbestand des angegriffenen Urteils als unstreitig und damit für die Kammer bindend festgestellt (§ 314 ZPO; vgl. BGH, Urteil vom 12.05.2015 - VI ZR 102/14, VersR 2015, 1165) festgestellt; im Übrigen ergibt sich die Übertragung der Sicherungspflicht auch aus der als Anlage B 1 vorgelegten "Verkehrsrechtlichen Anordnung" der Autobahndirektion Nordbayern vom 28.08.2014 (im Folgenden: "Anordnung"). So heißt es etwa aaO S. 4 Abs. 5: "Verantwortliche für die Verkehrsführung während und nach der Arbeitszeit sind oben aufgeführte Personen, ..." Im Absatz darüber und auf S. 3 u. ist ausdrücklich die Beklagte bezeichnet. Mit der zulässigen Übertragung der Pflicht zur Verkehrssicherung (vgl. nur BGH, Urteil vom 14.01.1982 - III ZR 58/80, NJW 1982, 2187; BGH, Urteil vom 25.04.1989 – VI ZR 146/88, VersR 1989, 730) ist die Beklagte verantwortlich und haftungspflichtig geworden (Staudinger/Hager (2009) BGB § 823 E 63 m.w.N. aus der Rspr.)."
vgl. LG Nürnberg-Fürth, Endurteil vom 08.06.2017 - 2 S 5570/15