"Ein Ausgleichsanspruch der Klägerin gegen die Beklagte besteht vorliegend jedoch nicht, weil bei der gebotenen Abwägung nach §§ 840 Abs. 1, 426 BGB i.V.m. § 254 Abs. 1 BGB der Verursachungs- und Verschuldensbeitrag der Beklagten vollständig hinter denjenigen des Versicherungsnehmers der Klägerin zurücktritt.
Bei dieser Abwägung kommt es - entgegen der Ansicht der Beklagten - auf die Dauer der Verletzung der Anschnallpflicht als geeignetes Kriterium für die Abgrenzung des Verschuldensgrades nicht an. Denn die Anschnallpflicht besteht auch bei kurzzeitigem verkehrsbedingtem Halten, da dies den Vorgang der Fahrt nicht unterbricht (BGH, Urt. v. 12.12.2000, VI ZR 411/99, Rn. 9 ff., juris; OLG Celle NZV 2006, 164; Hühnermann in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, a.a.O., § 21 a, Rn. 3).
Letztlich kommt es aber auch schon aus grundsätzlichen Erwägungen nicht maßgeblich darauf an, wie hoch der Verschuldensgrad der Beklagten beim Verstoß gegen die Anschnallpflicht war.
Denn maßgeblich ist bei der Abwägung insoweit in erster Linie das Maß der Verursachung, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben; das beiderseitige Verschulden ist nur ein Faktor der Abwägung (BGH, Urt. v. 06.12.2022, VI ZR 284/19, Rn. 23; BGH, Urt. v. 18.11.2014, KZR 15/12, Rn. 40, juris; BGH, Urt. v. 13.12.2005 VI ZR 68/04, Rn. 16, juris; BGH, Urt. v. 20.01.1998, VI ZR 59/97, juris). Während es in Fällen des Mitverschuldens des Geschädigten für die Haftungsverteilung entscheidend darauf ankommt, ob das Verhalten des Schädigers oder das des Geschädigten den Eintritt des Schadens in wesentlich höherem Maße wahrscheinlich gemacht hat (BGH, Urt. v. 04.11.2008, VI ZR 171/07, Rn. 15, juris; BGH, Urt. v. 20.01.1998 - VI ZR 59/97, juris Rn. 8), ist bei der Haftungsverteilung zwischen mehreren Schädigern im Innenverhältnis zu fragen, ob das Verhalten des einen oder des anderen Schädigers den Eintritt des Schadens wahrscheinlicher gemacht hat. Die vorzunehmende Abwägung kann zu einer Quotelung, aber auch zur alleinigen Belastung eines Ersatzpflichtigen führen (BGH, Urt. v. 10.07.2014, III ZR 441/13, Rn. 21, juris).
Den maßgeblichen und damit hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit bedeutenderen Verursachungsbeitrag für die konkret hier in Rede stehende Wirbelsäulenverletzung hat der Versicherungsnehmer der Klägerin gesetzt, in dem er in schwerster Weise gegen die StVO verstoßen hat (erheblicher Geschwindigkeitsverstoß und hoch alkoholisiert) und dadurch in den Gegenverkehr geraten ist. Er hat dabei maßgeblich die Gesundheit der Geschädigten verletzt, wobei unstreitig - bis auf die Wirbelsäulenverletzung - alle anderen erheblichen Verletzungen der Geschädigten kausal allein auf das Verhalten des Versicherungsnehmers der Klägerin zurückzuführen sind.
Stellt man auf den Grad der Wahrscheinlichkeit des eingetretenen Schadens ab, so ist es angesichts dieses objektiv erheblichen Verkehrsverstoßes bei hoher Kollisionsgeschwindigkeit deutlich wahrscheinlicher, dass die Geschädigte im Bauch- und Rückenbereich Verletzungen erleidet, für die der Versicherungsnehmer - ggf. auch durch Hinzutreten weiterer kausaler Umstände - haftet. Demgegenüber war es - bei isolierter Betrachtung - wesentlich unwahrscheinlicher, dass bedingt durch den fehlenden Gurt der Beklagten eine Wirbelsäulenverletzung kausal verursacht wird.
Zur Begründung dieser Wahrscheinlichkeitswertung nimmt der Senat auf die bisher entschiedenen Fälle der Haftung des Anschnallpflichtigen im Rahmen der Berücksichtigung des eigenen Mitverschuldens Bezug.
Fälle im Zusammenhang mit dem Verstoß gegen die Gurtanlegepflicht durch den Geschädigten sind - bei Identität von Geschädigtem und Anschnallpflichtigem - vielfach Gegenstand rechtlicher Auseinandersetzungen gewesen (vgl. Rechtsprechungsübersicht bei Greger in: Greger/Zwickel, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 6. Auflage 2021, § 25, Rn. 25.84). Die stets von den konkreten Umständen des Einzelfalls abhängende Bemessung der Haftungsquote des Unfallgegners einerseits und des gurtpflichtigen Geschädigten andererseits reicht dabei bis zu einem 100 %igen Mitverschulden des Gurtpflichtigen bezogen auf die konkret durch den Gurtpflichtverstoß verursachten Verletzungen (BGH, Urt. v. 30.09.1980, VI ZR 213/79, Rn. 18, juris; Greger in: Greger/Zwickel, a.a.O.). Haftet der Unfallverursacher nur aufgrund von § 7 Abs. 1 StVG, kann der Verstoß gegen die Anschnallpflicht bis zu einer auf die Körperschäden und deren Folgen bezogenen Mithaftungsquote von 50%, unter Umständen auch darüber hinaus führen (BGH, a.a.O.). In Ausnahmefällen kann der durch die Verletzung der Anschnallpflicht begründete Beitrag gänzlich zurücktreten.
Dies hat der BGH in einem Fall so gesehen, in dem der stark alkoholisierte Unfallgegner (1,83 Promille) mit seinem Fahrzeug mit hoher Geschwindigkeit zunächst rechts gegen den Bordstein, sodann in die Gegenfahrbahn geriet und hier frontal mit dem Pkw des nicht angeschnallten Geschädigten zusammenstieß (BGH, Urt. v. 20.01.1998, VI ZR 59/97, juris). Ebenso hat das OLG Karlsruhe einen solchen Ausnahmefall angenommen, wenn der Unfallgegner in einer Rechtskurve auf regennasser Fahrbahn die innerorts zulässige Höchstgeschwindigkeit um ca. 80 km/h überschreitet, dadurch die Kontrolle über sein Fahrzeug verliert, auf die Gegenfahrbahn gerät und dort in voller Fahrt mit einem ordnungsgemäß entgegenkommenden Fahrzeug frontal zusammenstößt (OLG Karlsruhe, Urt. v. 06.11.2009, 14 U 42/08, juris).
Ein solcher - vergleichbarer - Ausnahmefall liegt auch hier vor mit der Folge, dass ein etwaiger, durch den Verstoß gegen die Anschnallpflicht der Beklagten begründeter Verursachungsbeitrag gegenüber dem außerordentlich schwerwiegenden Unfallbeitrag des Versicherungsnehmers der Klägerin zurücktritt. Die in der zitierten Rechtsprechung getroffenen Wertungen, die den Mitverschuldensanteil des Geschädigten zurücktreten lassen, sind auch im vorliegenden Fall anwendbar, in dem die gurtanlegepflichtige und die geschädigte Person auseinanderfallen.
Sie gelten insbesondere für eine Wahrscheinlichkeitsbetrachtung hinsichtlich der jeweiligen Schadensverursachung.
Denn vergleichbar den oben genannten Konstellationen hat der Versicherungsnehmer der Klägerin hier die an der Unfallstelle zulässige Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h um mehr als 100% überschritten und befand sich weit über der Grenze zur absoluten Fahruntüchtigkeit (1,7 Promille). Mit dieser objektiv gefährlichen Fahrweise hat der Versicherungsnehmer der Klägerin eine ungewöhnlich hohe Gefahr für schwerwiegende Unfälle begründet. In der von ihm geschaffenen Situation hat sich diese Gefahr verwirklicht, in der sich der Gurtverstoß der Beklagten - hier unterstellt - schadensbegründend (mit) ausgewirkt hat. Sein überaus gefährliches Verhalten hat das Risiko für den Eintritt eines schweren Unfalls und in der Folge auch für die Rückenverletzungen der Geschädigten erst maßgeblich begründet. Demgegenüber tritt der objektive Verursachungsbeitrag der Beklagten, der in einem bloßen Unterlassen der Erfüllung der Anschnallpflicht lag, vollständig zurück.
Es mag zwar Fälle geben, in denen dem Gurtverstoß ein eigener maßgeblicher Mitverursachungsanteil beizumessen ist. Dies mag etwa dann in Betracht kommen, wenn der Insasse aufgrund des fehlenden Gurts bei an sich nicht rechtswidrigen und ungefährlichen Fahrmanövern auf einen anderen Fond-Insassen fällt und diesen verletzt. Mit einer derartigen Konstellation ist der vorliegende Sachverhalt nicht im Ansatz vergleichbar.
Die Gefährlichkeit des Unterlassens der Beklagten wirkte sich hier erst aufgrund der enormen Wucht des Aufpralls des bei der Klägerin versicherten Fahrzeugs auf das gegnerische Fahrzeug in gravierender Weise aus.
Ergänzend kommt hinzu, dass auch das Maß des Verschuldens des Unfallverursachers aufgrund dessen äußerst rücksichtsloser Fahrweise dasjenige der Beklagten klar überwiegt. Der Unfallverursacher hat nicht nur gegen die Vorschriften der §§ 2 Abs. 1, 3 Abs. 1, 41 Abs. 1 in Verbindung mit Zeichen 274 der Anlage 2 StVO verstoßen, sondern auch den Straftatbestand des § 315c Abs. 1 StGB verwirklicht. Demgegenüber wiegt das Verschulden der Beklagten hier nicht schwer." |