Abwägung: Alleinhaftung bei Vorfahrtsverstoß rechts-vor-links ohne Fremdverschulden
"Im Ergebnis ist daher festzuhalten, dass der Kläger gegen das Vorfahrtsrecht des Beklagten Ziffer 2 gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 StVO verstoßen hat, wohingegen dem Beklagten Ziffer 2 selbst kein Sorgfaltspflichtverstoß vorzuwerfen ist, er sich mithin im Rahmen des nach der Straßenverkehrsordnung erlaub......." [vollständiges Zitat anzeigen]
"Im Ergebnis ist daher festzuhalten, dass der Kläger gegen das Vorfahrtsrecht des Beklagten Ziffer 2 gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 StVO verstoßen hat, wohingegen dem Beklagten Ziffer 2 selbst kein Sorgfaltspflichtverstoß vorzuwerfen ist, er sich mithin im Rahmen des nach der Straßenverkehrsordnung erlaubten Tuns bewegt hat. Eine grundsätzlich mögliche Mithaftung des Beklagten Ziffer 2 aus einer gegebenenfalls wegen der (erlaubten) Mitbenutzung der linken Fahrbahn sogar erhöhten Betriebsgefahr (OLG Hamm, Urteil vom 16. August 2019 – 7 U 3/19; KG, Beschluss vom 23. Juli 2009 – 12 U 212/08) tritt gegenüber dem groben Verschulden des Klägers und der erhöhten Betriebsgefahr des von ihm in der Schräglage der Kurvenfahrt gesteuerten und in dieser Situation besonders instabilen Motorrads (OLG Stuttgart, Urteil vom 5. Dezember 2018 – 9 U 76/18) bei der nach § 17 Abs. 1 StVG gebotenen Abwägung jedoch gänzlich zurück (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 9. Februar 2001 – 10 U 119/00; OLG Oldenburg, Urteil vom 28. März 1973 – 2 U 162/72; LG Ellwangen, Urteil vom 18. Dezember 1986 – 3 O 500/86; LG Hamburg, Beschluss vom 22. Februar 2018 – 306 S 10/18 = NZV 2018, 333; zu einer Haftungsverteilung von 25 % zu 75 % zu Lasten des unter eines Vorfahrtsverstoßes nach rechts abbiegenden Fahrzeugführers (hier also des Klägers): OLG Oldenburg, Urteil vom 4. November 1981 – 3 U 72/81 = BeckRS 2009, 17687, wobei sich die Abweichung von der vollen Haftung des Abbiegenden aus dem Umstand ergab, dass der andere Verkehrsteilnehmer keinen Grund für den „Verstoß“ gegen das Rechtsfahrgebot hatte)."
vgl. LG Hechingen, Urteil vom 11.12.2020, Az. 1 O 207/19
Alleinhaftung der echten Nachzüglerin gegenüber Querverkehr nach längerer Grünphase
"cc) Nach alledem ist bei der Haftungsabwägung auf Seiten der Klägerin nur die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeuges zu berücksichtigen. Dass den Zeugen Y ein Verschulden an dem Unfall trifft, ist - wie ausgeführt - nicht festzustellen. Demgegenüber ist der Beklagten zu 2) vorzuhalten, erheblic......." [vollständiges Zitat anzeigen]
"cc) Nach alledem ist bei der Haftungsabwägung auf Seiten der Klägerin nur die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeuges zu berücksichtigen. Dass den Zeugen Y ein Verschulden an dem Unfall trifft, ist - wie ausgeführt - nicht festzustellen. Demgegenüber ist der Beklagten zu 2) vorzuhalten, erheblich gegen die allgemeine Sorgfaltspflicht aus § 1 Abs. 2 StVO verstoßen zu haben. Wegen ihres langen Aufenthalts im Kreuzungsbereich war die Beklagte zu 2) gehalten, eine Gefährdung des Querverkehrs auszuschließen. Sie durfte nicht (mehr) auf ihren Nachzüglerstatus vertrauen, sondern hatte nunmehr den Vorrang zu gewähren (vgl. auch KG, Beschluss vom 12.05.2011 - 22 U 40/11 -, BeckRS 2011, 25735). Dieses Verschulden der Beklagten zu 2) wiegt so schwer, dass dahinter die Betriebsgefahr des Klägerfahrzeuges vollständig zurücktritt."
vgl. OLG Hamm, Urteil vom 26.08.2016 - 7 U 22/16
Alleinhaftung des Radfahrers, der ungebremst auf PKW auffährt
"Der Kläger ist ungebremst auf den Pkw des Beklagten zu 1 aufgefahren, hat also überhaupt nicht reagiert, obwohl in Anbetracht des Seitenabstandes zwischen dem Pkw und der Gosse von ca. einem Meter eine Ausweichmöglichkeit nach rechts bestanden hätte (s. unter I 3). Bei dieser Sachlage ist auszuschlie......." [vollständiges Zitat anzeigen]
"Der Kläger ist ungebremst auf den Pkw des Beklagten zu 1 aufgefahren, hat also überhaupt nicht reagiert, obwohl in Anbetracht des Seitenabstandes zwischen dem Pkw und der Gosse von ca. einem Meter eine Ausweichmöglichkeit nach rechts bestanden hätte (s. unter I 3). Bei dieser Sachlage ist auszuschließen, dass der Kläger bei einem größeren Seitenabstand rechts mit einem Ausweichmanöver reagiert hätte.
Es kann dahinstehen, ob der Unfall für den Beklagten zu 1 im Sinne von § 7 Abs. 2 StVG unabwendbar war oder ein besonders sorgfältiger Idealfahrer den Kläger in Anbetracht der Verkehrssituation überhaupt nicht überholt und damit den Unfall vermieden hätte. Zutreffend führt das Landgericht aus, dass die gegebenenfalls zu berücksichtigende Betriebsgefahr des Fahrzeugs des Beklagten zu 1 jedenfalls hinter dem überwiegenden Verschulden des Klägers zurückträte."
vgl. OLG Celle, Urteil vom 15.01.2004 - 14 U 91/03
Alleinhaftung des spurwechselnden LKW beim Abbiegen gegenüber einem PKW mit einfacher Betriebsgefahr
"3. In rechtlicher Hinsicht liegt damit auf Seiten der Beklagten ein Verstoß ihres Fahrers gegen die Sorgfaltsanforderungen beim Spurwechsel nach § 7 Abs. 5 StVO vor. Demnach darf ein Fahrstreifen nur gewechselt werden, wenn eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Für ein Versch......." [vollständiges Zitat anzeigen]
"3. In rechtlicher Hinsicht liegt damit auf Seiten der Beklagten ein Verstoß ihres Fahrers gegen die Sorgfaltsanforderungen beim Spurwechsel nach § 7 Abs. 5 StVO vor. Demnach darf ein Fahrstreifen nur gewechselt werden, wenn eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Für ein Verschulden des Beklagten-Fahrers spricht insoweit bereits der Beweis des ersten Anscheins (st. Rspr. z.B. OLG München Endurteil v. 23.3.2022 – 10 U 7411/21 e, BeckRS 2022, 6219; OLG Köln, 22.04.2015 – 11 U 154/14, juris; KG NZV 2011, 185; OLG Sachsen-Anhalt NZV 2008, 618; OLG Bremen VersR 1997, 253; KG NZV 2004, 28). Tatsächlich ist aber aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme, insbesondere des schlüssigen „Anerkenntnisses“ des Beklagten-Fahrers davon auszugehen, dass ein schuldhafter Verstoß ohnehin positiv bewiesen ist.
Hinzu tritt, dass der Beklagten-Lkw, der ausweislich der Erhebungen des Sachverständigen ein Leergewicht von ca. 8,6 t hat (Sachverständigengutachten S. 14), den linken Fahrstreifen unter Verstoß gegen § 7 Abs. 3 S. 1 StVO befahren hat.
Dem Kläger wiederum kann ein unfallursächlicher Sorgfaltsverstoß nicht vorgeworfen werden. Insbesondere steht nicht fest, dass er sich mit seinem Fahrzeug neben den Beklagten-Lkw „setzte“, als dessen Ansetzen zum Spurwechsel bereits erkennbar war. Dass im Hinblick auf die vom Sachverständigen festgestellten geringfügige Geschwindigkeitsdifferenz – auch unter Berücksichtigung der Angaben des Klägers hierzu – das Klägerfahrzeug rechts schneller als der Beklagten-Lkw fuhr, begründet keinen Sorgfaltsverstoß. Nach § 7 Abs. 3 S. 2 StVO durfte der Kläger im Bereich der Unfallstelle, wo mehrere markierte Fahrstreifen für eine Richtung vorhanden sind, rechts schneller fahren als links.
Auch wenn letztlich nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Kollision für den Kläger nachweislich unabwendbar im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG war (schließlich hatte der Kläger nach eigenen Angaben mindestens bereits zwei vergleichbare Unfälle an dieser Stelle gehabt, sodass er sich möglicherweise noch vorausschauender hätte verhalten können), ist im Zuge der Abwägung von einer 100-prozentigen Haftung der Beklagten auszugehen. Dem klaren Verstoß des Beklagten-Fahrers beim Spurwechsel (§ 7 Abs. 5 StVO) steht die nicht erhöhte Betriebsgefahr des Kläger-Fahrzeugs gegenüber. Dies führt nach einheitlicher und ständiger Rechtsprechung zu einer vollen und alleinigen Haftung des Spurwechslers (z.B. OLG München Endurteil v. 23.3.2022 – 10 U 7411/21, BeckRS 2022, 6219; OLG Saarbrücken 1.8.2019 – 4 U 18/19; OLG Hamm 27.10.2014 – 9 U 60/14; OLG München 13.7.2018 – 10 U 1856/17).
"
vgl. LG Nürnberg-Fürth, Endurteil v. 15.02.2024 – 2 O 4326/22
Alleinhaftung des Spurwechslers für anschließenden Auffahrunfall
"Nach der Rechtsprechung (OLG Hamm VersR 1992, 624; OLG Bremen VersR 1997, 253; KG VersR 2006, 563; vgl. auch Grüneberg, Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen, 11. Aufl. 2008, Rn. 157) hat die Betriebsgefahr regelmäßig ganz hinter einem Verstoß gegen § 7 Abs. 5 StVO zurückzutreten. Eine davon abweich......." [vollständiges Zitat anzeigen]
"Nach der Rechtsprechung (OLG Hamm VersR 1992, 624; OLG Bremen VersR 1997, 253; KG VersR 2006, 563; vgl. auch Grüneberg, Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen, 11. Aufl. 2008, Rn. 157) hat die Betriebsgefahr regelmäßig ganz hinter einem Verstoß gegen § 7 Abs. 5 StVO zurückzutreten. Eine davon abweichende rechtliche Beurteilung ist hier nicht gerechtfertigt. Dem Beklagten Ziff. 1 ist ein äußerst riskanter und unfallträchtiger Fahrfehler zur Last zu legen. Eine Mithaftung des Klägers käme deshalb nur dann in Betracht, wenn dem Kläger ein die Betriebsgefahr erhöhender Verursachungs- oder Verschuldensbeitrag vorgeworfen werden könnte. Daran fehlt es vorliegend."
vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 07.04.2010 - 3 U 216/09
Alleinhaftung des sturr weiterfahrenden ohne Rücksichtnahme
"4. Der Klägerin kann allenfalls - wie das Amtsgericht zutreffend festgestellt hat - vorgeworfen werden, dass sie ihr Fahrzeug in schräger Position an den Fahrbahnrand lenkte. Anerkanntermaßen kann es der Billigkeit entsprechen, gegenüber einem grob leichtfertig handelnden Schädiger eine nicht erhebl......." [vollständiges Zitat anzeigen]
"4. Der Klägerin kann allenfalls - wie das Amtsgericht zutreffend festgestellt hat - vorgeworfen werden, dass sie ihr Fahrzeug in schräger Position an den Fahrbahnrand lenkte. Anerkanntermaßen kann es der Billigkeit entsprechen, gegenüber einem grob leichtfertig handelnden Schädiger eine nicht erheblich ins Gewicht fallende mitursächliche Betriebsgefahr bei der Abwägung außer Betracht zu lassen (BGH, Urteil vom 20. Februar 1990 - VI ZR 124/89 -, Rn. 12, juris). Um einen solchen Fall geht es hier, da der Beklagte zu 2) jedenfalls grob gegen § 1 Abs. 2 StVO verstoßen hat, indem er einfach weiterfuhr und dabei eine Beschädigung des klägerischen Fahrzeugs mutwillig in Kauf nahm, anstatt - wie es von Nöten gewesen wäre - anzuhalten und sich mit der Klägerin über das weitere Vorgehen zu verständigen."
vgl. LG Saarbrücken, Urteil vom 13.06.2024, Az. 13 S 85/23
Alleinhaftung des überholenden Ausbremsers
"2. Damit lässt sich ein verkehrswidriger Verursachungsbeitrag - auch nicht aufgrund eines Anscheinsbeweises gegen den Auffahrenden, dass er entweder den erforderlichen Sicherheitsabstand nicht eingehalten hat, § 4 Abs. 1 StVO, unaufmerksam war, § 1 StVO, oder mit einer den Straßen- und Sichtverhältn......." [vollständiges Zitat anzeigen]
"2. Damit lässt sich ein verkehrswidriger Verursachungsbeitrag - auch nicht aufgrund eines Anscheinsbeweises gegen den Auffahrenden, dass er entweder den erforderlichen Sicherheitsabstand nicht eingehalten hat, § 4 Abs. 1 StVO, unaufmerksam war, § 1 StVO, oder mit einer den Straßen- und Sichtverhältnissen unangepassten Geschwindigkeit gefahren ist, § 3 Abs. 1 StVO (vgl. BGH Urt. v. 13.12.2016 - VI ZR 32/16, r+s 2017, 153 Rn. 10 ff. m. w. N.) nicht feststellen.
Die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu einer überhöhten Geschwindigkeit des Beklagten zu 1 war insoweit nicht erforderlich. Denn aufgrund der geringen, wenn auch verkehrswidrig überhöhten Eigengeschwindigkeit des Klägers von nur ca. 12 km/h beim Überholen und Schneiden vor dem Ausbremsen ist nicht nachvollziehbar oder ersichtlich, dass der Beklagte zu 1 die zulässige Höchstgeschwindigkeit im dem verkehrsberuhigten Bereich (Zeichen 315.1 und Anl. 3 zu § 42 Abs. 2 StVO lfd. Nr. 12 Nr. 1 "Schrittgeschwindigkeit") maßgeblich überschritten hätte.
Ohnedies würde die Haftung der Beklagten im vorliegenden Einzelfall bei einer hier allenfalls geringfügigen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit angesichts des grob verkehrswidrigen Verhaltens des Klägers vollständig zurücktreten (vgl. im Ergebnis OLG Düsseldorf Urt. v. 12.12.2005 - 1 U 91/05, BeckRS 2006, 7147 = juris Rn. 17; Helle in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., § 4 StVO (Stand: 09.06.2023), § 4 Rn. 27 f. m. w. N.; siehe auch zum Haftungsausschluss für unerwartete körperliche Verletzungen von Mittätern nach einem Fahrzeugdiebstahl BGH Urt. v. 27.2.2018 - VI ZR 109/17, r+s 2018, 273 Ls.; i.A. an KG Urt. v. 13.6.2005 - 12 U 65/04, DAR 2005, 620)."
vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 08.02.2024 - 7 U 30/23
Alleinhaftung des verkehrswidrigen Linksabbiegers ggü. überholendem Motorrad
"Auf Seiten des Klägers ist hingegen lediglich die einfache Betriebsgefahr in Ansatz zu bringen. Der Senat verneint eine Mithaftung des Klägers zu 25 %, da diesem - wie ausgeführt - ein Verschulden nicht nachgewiesen werden kann und die nicht erhöhte Betriebsgefahr des Überholenden nach gefestigter R......." [vollständiges Zitat anzeigen]
"Auf Seiten des Klägers ist hingegen lediglich die einfache Betriebsgefahr in Ansatz zu bringen. Der Senat verneint eine Mithaftung des Klägers zu 25 %, da diesem - wie ausgeführt - ein Verschulden nicht nachgewiesen werden kann und die nicht erhöhte Betriebsgefahr des Überholenden nach gefestigter Rechtsprechung des Senats regelmäßig hinter dem Verschulden desjenigen, der verkehrswidrig nach links abbiegt, vollständig zurücktritt (Senat Hinweisbeschl. v. 21.12.2021 - 7 U 41/21, BeckRS 2021, 54315 Rn. 14; Senat Urt. v. 3.12.2021 - I-7 U 33/20, NJW-RR 2022, 676 Rn. 18; ebenso: OLG Saarbrücken Beschl. v. 12.3.2015 - 4 U 187/13, BeckRS 2015, 8438 Rn. 43; OLG Jena Urt. v. 28.10.2016 - 7 U 152/16, NJW-RR 2017, 605 Rn. 17)."
vgl. OLG Hamm, Urteil vom 08.07.2022 - 7 U 106/20
Alleinhaftung eines Fahrzeuges, das trotz Martinshorn kein Vorrecht hat
"Bei einer höheren Geschwindigkeit wird jedoch in der Regel die überwiegende Mitverursachung oder Alleinhaftung auf Seiten des Sonderrechtsfahrzeugs angenommen (vgl. Burmann/Heß/Jahnke/Janker a. a. O., § 35 StVO Rdnr. 18 m. w. N.). Der Beklagte zu 2 war - wie erwähnt - unbedingt gehalten, nur mit äu......." [vollständiges Zitat anzeigen]
"Bei einer höheren Geschwindigkeit wird jedoch in der Regel die überwiegende Mitverursachung oder Alleinhaftung auf Seiten des Sonderrechtsfahrzeugs angenommen (vgl. Burmann/Heß/Jahnke/Janker a. a. O., § 35 StVO Rdnr. 18 m. w. N.). Der Beklagte zu 2 war - wie erwähnt - unbedingt gehalten, nur mit äußerster Vorsicht in den Kreuzungsbereich einzufahren (Schrittgeschwindigkeit), weil in beide Fahrtrichtungen - sowohl des Beklagten zu 2 als auch der Zeugin M. - nicht der jeweils heranfahrende Querverkehr wahrgenommen werden konnte (vgl. die Lichtbilder auf S. 3 des Sachverständigengutachtens W.). Die Zeugin M. konnte damit auch dann, wenn man unterstellt, dass sie das Martinshorn rechtzeitig gehört hat, nicht sehen, dass aus ihrer Richtung von links der Wagen der Unfallforschung herankam und trotz Rotlichts mit nahezu ungebremster Geschwindigkeit in die Kreuzung hineinfuhr. Andererseits hätte der Beklagte zu 2 in jedem Fall bedenken müssen, dass der Verkehr auf der bevorrechtigten G.-W.-Straße bei Grünlicht in die Kreuzung einfährt und deshalb bei Missachtung des Rotlichts eine ganz erhebliche Unfallgefahr bestand.
cc) Da auf Seiten des Klägers kein Verschuldensbeitrag nachgewiesen ist, bliebe allein die Anrechnung der Betriebsgefahr für den Pkw zu diskutieren. Gegenüber dem leichtfertigen Fahrverhalten des Beklagten zu 2, durch das der Verkehrsunfall allein verschuldet und maßgeblich verursacht wurde, ist die Betriebsgefahr jedoch ohne erhebliches Gewicht und kann deshalb zurücktreten. Somit bleibt es bei der Haftung der Beklagten. Entsprechend ist die Klage und damit auch die Berufung begründet."
vgl. OLG Celle, Urteil vom 03.08.2011 - 14 U 158/10
blindlings kreuzender Fahrradfahrer haftet allein
"Danach liegt ein grobes Fehlverhalten in diesem Sinne ohne Weiteres vor, wenn ein wartepflichtiger Radfahrer blindlings und ohne Halt aus einem Feldweg auf eine Landstraße einbiegt (OLG Saarbrücken, Urteil vom 04.07.2013, 4 U 65/12 – juris) oder ein Radfahrer versucht, gleichsam blindlings von dem re......." [vollständiges Zitat anzeigen]
"Danach liegt ein grobes Fehlverhalten in diesem Sinne ohne Weiteres vor, wenn ein wartepflichtiger Radfahrer blindlings und ohne Halt aus einem Feldweg auf eine Landstraße einbiegt (OLG Saarbrücken, Urteil vom 04.07.2013, 4 U 65/12 – juris) oder ein Radfahrer versucht, gleichsam blindlings von dem rechts von der Fahrbahn verlaufenden Radweg über die gesamte Breite der stadtauswärts führenden Fahrspur einer Straße hinweg in die gegenüberliegende Zufahrt zu mehreren Häusern einzubiegen (Senat, Urteil vom 08.01.2016, 9U125/15 –Justiz online). Der vorliegende Fall ist den in den zitierten Entscheidungen zu beurteilenden Fällen in vielerlei Hinsicht ähnlich. Der Erblasser ist von der falschen Seite her, ohne sein Vorhaben anzuzeigen und ohne den Vorrang des Beklagten zu 1) zu beachten, und insbesondere ohne eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auszuschließen, vom Fahrradweg, man muss tatsächlich sagen: blindlings, über die Straße gefahren und hat somit die wesentliche Ursache des Unfalls gesetzt. Die daraus gezogene Wertung des Landgerichts, dass hinter diesem groben Verschulden die einfache Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeuges zurückzutreten hat, ist daher in keiner Weise zu beanstanden."
vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 08.03.2022 - 9 U 157/21
grundsätzlich haften Auffahrender und Überholer allein
"Ausgehend von der grundsätzlichen Alleinhaftung des Auffahrenden wie des Überholers kommt eine Mithaftung nämlich regelmäßig nur bei vorwerfbarem Fehlverhalten in Betracht (Grüneberg, Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen, 17. Auflage 2022, Rn. 115 und N01, beckonline), welches hier - wie dargestell......." [vollständiges Zitat anzeigen]
"Ausgehend von der grundsätzlichen Alleinhaftung des Auffahrenden wie des Überholers kommt eine Mithaftung nämlich regelmäßig nur bei vorwerfbarem Fehlverhalten in Betracht (Grüneberg, Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen, 17. Auflage 2022, Rn. 115 und N01, beckonline), welches hier - wie dargestellt - auf Seiten des Zeugen R1. nicht vorliegt."
vgl. LG Münster, Urteil vom 11.07.2024 - 8 O 7/22
Haftungsverteilung innerhalb eines Gespanns
"b) Nach § 19 Abs. 4 Satz 2 StVG ist im Verhältnis der Halter des Zugfahrzeugs und des Anhängers zueinander nur der Halter des Zugfahrzeugs verpflichtet. Dies gilt nicht, soweit sich durch den Anhänger eine höhere Gefahr verwirklicht hat als durch das Zugfahrzeug allein; in diesem Fall hängt die Ver......." [vollständiges Zitat anzeigen]
"b) Nach § 19 Abs. 4 Satz 2 StVG ist im Verhältnis der Halter des Zugfahrzeugs und des Anhängers zueinander nur der Halter des Zugfahrzeugs verpflichtet. Dies gilt nicht, soweit sich durch den Anhänger eine höhere Gefahr verwirklicht hat als durch das Zugfahrzeug allein; in diesem Fall hängt die Verpflichtung zum Ausgleich davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem Zugfahrzeug oder dem Anhänger verursacht worden ist (§ 19 Abs. 4 Satz 3 StVG). Das Ziehen des Anhängers allein verwirklicht im Regelfall keine höhere Gefahr (§ 19 Abs. 4 Satz 4 StVG).
aa) Die Entscheidung über die Haftungsverteilung ist Sache des Tatrichters und im Revisionsverfahren nur darauf zu überprüfen, ob alle in Betracht kommenden Umstände vollständig und richtig berücksichtigt und der Abwägung rechtlich zulässige Erwägungen zugrunde gelegt worden sind (st. Rspr., zuletzt Senat, Urteil vom 22. November 2022 - VI ZR 344/21, NJW 2023, 1123 Rn. 11).
bb) Danach ist die Beurteilung, dass die Klägerin (Haftpflichtversicherer des Zugfahrzeugs) im Verhältnis zur Beklagten (Haftpflichtversicherer des Anhängers) allein verpflichtet ist (§ 19 Abs. 4 Satz 2 StVG), nicht zu beanstanden."